schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 12, Band I, Seiten 26 und 27 (wp12b1_0050)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 12, Band I, Seiten 26 und 27
26
Enquete-Kommission

ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Au-
gustin, Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg van Essen, Heinz-Dieter Hackel,
Dirk Hansen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.

Aufgaben der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der
Folgen der SED-Diktatur“

– 12/2229 –

Überweisungsvorschlag:

Enquete-Kommission
Aufarbeitung SED-Diktatur

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aus-
sprache fünf Stunden vorgesehen. – Ich sehe keine Widerspruch. Es ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Rainer Eppel-
mann.

Rainer Eppelmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Unsere Vergangenheit holt uns immer wieder ein. Sie
ist stark und lebendig, und wir sind Zeugen dafür – wir alle –, daß sie uns
tagtäglich wieder einholt. Sie ist uns – zumindest noch – nahe. Und das ist gut
so; denn unsere Vergangenheit ist ein Schatz, weil sie auch unsere Erfahrungen
einschließt – die, die uns freuten und uns fröhlich machten, und die, die uns
weh taten oder uns traurig und wütend stimmten.

Unsere Vergangenheit umfaßt zugleich unsere Einsichten, das, was wir gelernt
haben, und das, was uns gelehrt wurde. Darum tun wir gut daran, uns unserer
Vergangenheit zu stellen – gemeinsam als Ostdeutsche und Westdeutsche, als
ein Volk.

Wir würden bei dieser Aufarbeitung versagen, wenn wir uns bei der Be-
schäftigung mit 45 Jahren deutscher Geschichte – schwergewichtig der DDR-
Geschichte – nur auf den Bereich der Staatssicherheit beschränken würden.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Die Erfahrungen, die wir in und mit 45 Jahren DDR gemacht haben, hat
unser ganzes Leben und alle Menschen umfaßt und nicht nur die vielleicht
500 000 offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit und ihre
unmittelbaren Opfer. Darum wünschte ich mir, daß sich möglichst viele der
80 Millionen Deutschen mit den Fragen und Problemen unserer Vergangenheit
intensiv befaßten. Es kann dabei gar nicht zu viele geben, sondern immer nur
zu wenige.

Jeder Mensch, jede Gruppe, jede Partei, jede Interessenvertretung könnte und
sollte sich danach fragen: Was haben wir in den letzten 45 Jahren erfahren?
Was haben wir falsch gemacht, was richtig? Was haben wir zugelassen, was

27
Debatte des Deutschen Bundestages 12.3.1992

unterstützt, was nicht gesehen? Was lehrt uns das? Wo müssen wir Gesetze
verändern, Verordnungen neu erlassen, wo möglicherweise Verhaltensweisen
korrigieren, um nicht wieder in die dumme Situation eines Kindes zu kommen,
das zum drittenmal die heiße Ofentür anfaßt und sich erneut die Finger
schmerzhaft verbrennt?

Es geht also darum, bewußt, differenziert, sensibel, gerecht und verständnisvoll
den Blick zurückzuwenden, damit wir Zukunft gewinnen können. Das heißt
für mich z. B.: Ich stelle fest, daß viele Grundsatzentscheidungen und
Detailentscheidungen von den Verantwortlichen und Regierenden der DDR
falsch getroffen worden sind; nicht nur mangels Wissens und Einsicht, sondern
auch gegen Sitte und Moral, zum Teil gegen geltendes Recht.

Das alles muß festgestellt, auf- und abgearbeitet werden; denn wir wollen nicht
nur faire Prozesse, sondern auch ehrliche und objektive Geschichtsbücher,
geschrieben aus der Optik der Betroffenen, der Opfer.

Gerade die Fehlentscheidungen und die Arroganz der Regierenden der DDR
haben dazu geführt, daß wir im Grunde in den letzten Jahren von der Substanz
gelebt haben und daß darum der Zusammenbruch, den wir jetzt haben, so
total und so schlimm ist – mit Millionen von Arbeitslosen, mit Tausenden
von Kurzarbeitern, mit vergiftetem Wasser, verseuchter Erde, mißbrauchten
Menschen. Wir Deutschen täten ein erstes wichtiges Werk der Aufarbeitung
unserer Vergangenheit, wenn wir die Schwierigkeiten von heute als das sehen,
was sie sind: Folgen der Untaten von gestern, Folgen von sozialistischer Enge
und parteipolitischer und ideologischer Arroganz der SED-Kommunisten und
ihrer Helfer.

Zu dem ersten Schritt der Aufarbeitung gehört aber auch die Erkenntnis,
daß die Elbe als deutscher Strom zwar für eine gewisse Zeit zwei deutsche
Staaten voneinander trennte, aber nicht die Deutschen unterschieden hat in
fleißige und erfolgreiche, mutige und intelligente auf der einen Seite und faule,
dumme, ungeschickte und feige auf der anderen Seite. Die Elbe hat aber auch
nicht, wie in den letzten Tagen immer wieder zu hören war, in Plattmacher,
Egoisten und Rücksichtslose auf der einen Seite und ganz liebe, ganz nette
und solche Menschen, die höchstens nur einmal am Sonntag an sich und sonst
immer nur ans Gemeinwohl denken, auf der anderen Seite getrennt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Was wir gegenwärtig erleben – auch mit uns und zwischen uns –, ist das oft
mühselige und schmerzhafte Bemühen, die deutsche Teilung zu überwinden,
ist das Bemühen, erlebte Geschichte zu begreifen und Neues aufzubauen
mit großer Kraftanstrengung und mit der Bereitschaft zur Geduld und zum
Teilen. Das hat auch eine ganz allgemein menschliche Dimension; denn wir
erkennen dabei: Faule sowie Fleißige gibt es beiderseits der Elbe, ebenso
Mutige und Feige, aber auch Egoisten mit besonders ausgebildeten Ellenbogen
und solche, die bereit sind abzugeben, zu helfen und zu teilen. Laßt uns darum