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Wahlperiode 12, Band I, Seiten 66 und 67
66
Enquete-Kommission

Wir brauchen mehr Ehrlichkeit und weniger Verdrängung, und wir brauchen
faire Maßstäbe.

(Peter Conradi [SPD]: Weniger Verdrehung!)
– Herr Duve, Sie machen – –

(Freimut Duve [SPD]: Das war ich nicht! Wir sind über 200 Kollegen!)

– Dann war es Herr Conradi. Aber Sie machen jetzt schon wieder einen
Zwischenruf. Sie haben sich vorhin beklagt, daß man Ihnen nicht so genau
zuhöre. Meine Sorge ist, daß Sie überhaupt nicht zuhören, weil Sie ständig
nur reden. Aber sei es drum.

Ich sage jedenfalls: Wir brauchen faire Maßstäbe.

(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])
Wer über de Maizière mit Häme herzog, tut sich heute bei Stolpe schwer.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Freimut
Duve [SPD]: Wer hat denn de Maizière fallenlassen?)

– Sie schreien immer, wenn es weh tut. Deswegen schreien Sie ruhig laut,
damit wir auch wissen, daß Sie getroffen sind.

Wer sich in der ehemaligen DDR zurechtfand, muß mit Fundamentalkritik
gegen die unter dem Grundgesetz gewachsene Freiheitsordnung behutsam sein,
wenn er nicht die Frage riskieren will, ob er sich mit Teilung und Sozialismus
doch besser abgefunden hatte als mit Einheit und Freiheit.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wem es um Demokratie und Freiheit geht, der muß den Willen der Mehrheit
zur Einheit, auch zur schnellen Einheit, respektieren.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Schäuble, würden Sie noch
eine Zwischenfrage des Kollegen Ullmann gestatten?

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte sehr.

Dr. Wolfgang Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Schäuble, sind Sie der
Meinung, daß Ihre Darstellung der Rolle von Herrn de Maizière in Ihrem
Buch über den Vereinigungsprozeß fair ist?

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Ja, ich denke, daß ich mich in meinem
Buch nach besten Kräften, die mir zur Verfügung und zu Gebote standen,
bemüht habe, meinen Freund Lothar de Maizière in seiner Rolle und auch in
seinen Widersprüchen, denen wir alle ausgesetzt sind, fair zu würdigen.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Deshalb mußte er als stellvertretender
Parteivorsitzender gehen!)

Ich finde auch, daß derjenige, der für die Aufarbeitung von Unrecht und für
Wiedergutmachung steht, nicht nur an die Oppositionellen der 80er Jahre
denken darf, sondern daß er auch an die Opfer seit 1945 denken muß,

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Debatte des Deutschen Bundestages 12.3.1992

gleichgültig, ob sie heute im Westen oder im Osten leben, wenn sie denn
überhaupt noch leben.

Die Enquete-Kommission kann einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangen-
heit leisten. 40 Jahre totalitärer Sozialismus und Teilung haben tiefe Wunden
geschlagen. Wenn die Debatte über die Vergangenheit Nachdenklichkeit und
Verständnis fördert, kann sie auch über alle Betroffenheit Heilung schaffen.

Lew Kopelew schreibt in der Schlußbetrachtung seines Buches „Und schuf
mir einen Götzen“ die folgenden Sätze:

Der Vergangenheit kann man nicht entrinnen, und dazu ist es nötig, sich zu
erinnern, an alles zu erinnern, was mit uns, mit unserem Land, mit der Welt
geschehen ist, nichts zu verbergen, nichts zu unterschlagen, immer wieder aufs
neue Zurückliegendes und kürzlich Geschehenes überdenken.

In der Zukunft blüht die Vergangenheit, in der Vergangenheit reift die Zukunft,
schreibt Anna Achmatowa. Darauf hoffe auch ich, auf die heilsamen Kräfte
des Gedächtnisses.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P.)

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat nun der Kollege Markus
Meckel.

Markus Meckel (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Was wir hier eben erlebt haben, zeigt, wie schwierig das ist, was wir
vorhaben. Ich bin beschämt über die Diskussion der letzten Minuten. Viele
große Erwartungen der Menschen im Osten unseres Landes sind mit dieser
Kommission und mit dem verbunden, was hier auch im Bundestag geschehen
soll. Ich hoffe, daß das, was wir dann tun werden, an die beiden ersten Redner
der heutigen Debatte anknüpft

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

und zur Klärung, zur wirklichen Differenzierung und zu fairen Maßstäben
führt. Denn mit dem, was wir heute beginnen wollen, stellen wir uns
eine Aufgabe, die für ein Parlament bisher wohl ohne Vergleich ist. Die
Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist eine Aufgabe, die wir in Deutschland
nicht zum erstenmal haben, der sich ein deutsches Parlament in dieser Weise
aber zum erstenmal stellt.

Das gesamtdeutsche Parlament versucht, seinen Beitrag zur Aufarbeitung der
Geschichte der DDR als eines Teils der deutschen Geschichte zu leisten. Es
macht damit deutlich, daß es eine Geschichte ist, die uns alle angeht.

In wie unterschiedlicher Weise dies der Fall ist, zeigt auch diese Debatte.

Die Aufarbeitung dieser Geschichte ist eine gesamtdeutsche Verantwortung
und muß deshalb gemeinsam geschehen. Diese zweite deutsche Diktatur
betrifft uns in Deutschland eben alle; Rainer Eppelmann hat dies eindrücklich