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er in welche Verstrickung geriet. Er muß sich jetzt in einem Rechtsstaat
verantworten, der keine wie auch immer
vom Recht abgehobene Legitimität zu beanspruchen hat.
Ich beneide nicht die Justiz und hielte es für fatal, wenn sie sich – unbenommen
ihrer eigenen unabhängigen Prüfung des Einzelfalls –, was die Wertung der
nationalpolitischen Zusammenhänge angeht, allein gelassen fühlte.
Allein kann die Justiz der großen Aufgabe gewiß nicht gerecht werden. Ihre
am Einzelfall normierten Verfahren könnten sich, wie schon unterschiedli-
che Urteile zum gleichen Sachverhalt zeigen, für eine Gesamtbewältigung
als untauglich erweisen. Eine bewährte Rechtsordnung darf nicht Schaden
nehmen, indem der Eindruck entsteht, es würden die Untergebenen hinter
Gitter geschickt und die Vorgesetzten ungeschoren davonkommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Aber ich hielte es für ungerecht, überforderte Staatsanwälte und Richter zur
Zielscheibe von Groll über den Stand der Dinge zu machen, einen Stand der
Dinge, von dem wir wissen, daß er von vielen im Osten, aber auch im Westen,
mit Enttäuschung und Irritation begleitet wird. Eher wäre danach zu fragen, ob
genug darüber nachgedacht worden war, wie sie mit dem fertig werden sollen,
was ihnen aufgeladen wurde, und ob nicht ganz andere Vorkehrungen hätten
getroffen werden müssen, vielleicht noch getroffen werden können, um im
Länder-Bund-Verhältnis neue und wirksame Formen kooperativer Rechtshilfe
zu entwickeln.
Für unseren deutschen Neubeginn wäre es unnötig belastend, würde ein
Aufarbeiten der Vergangenheit in dem Sinne betrieben, daß der rechtlich,
politisch oder moralisch zur Verantwortung Gezogene sich wie zwischen
zwei Spiegeln befindlich fühlte, um ein Bild eines tschechoslowakischen
Schriftstellers, der jetzt auch Diplomat ist, zu gebrauchen: Er, der mit der
Verantwortung Konfrontierte, meint, wenn er in den Spiegel vor sich schaut,
er blicke in die neue Richtung, und doch ist es in Wirklichkeit die alte.
Mit opportunistischem Verdecken oder voreiligem Vergessen haben solche
Erwägungen nichts zu tun. Daß allein mit den Mitteln des Rechtsstaats die
Vergangenheit nicht aufgearbeitet werden kann, wissen wir alle. Sorgfältig
vorbereitete Foren, ein vieltausendfaches offenes Gespräch der Bürger und
gerade auch die Kommission des Deutschen Bundestages können dabei helfen.
Was wir dabei vor allem brauchen, ist die Kraft zur Differenzierung.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink
[F.D.P.])
Aus dieser Kraft zur Differenzierung kann Konsens erwachsen. Und der
Blick nach vorn darf dann nicht durch Gespenster der Vergangenheit verstellt
werden. In diesem Sinne darf ich der Kommission eine überzeugende Arbeit
wünschen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und
der PDS/Linke Liste)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der Bundeskanzler Helmut
Kohl.
Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es war nicht meine Absicht, in dieser Debatte das Wort zu ergreifen,
weil ich glaube, es ist wichtig, daß vor allem Kolleginnen und Kollegen aus
den neuen Bundesländern – das ist jetzt der Ausdruck, Herr Brandt – hier
sprechen und wir aufmerksam zuhören.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Aber nachdem ich auf Grund einer Bemerkung des Kollegen Brandt hier das
Wort ergriffen habe, will ich zunächst einmal für die Bundesregierung sagen,
daß wir im Rahmen unserer Möglichkeiten alles tun werden, um die Arbeit
der Enquete-Kommission zu unterstützen. Ich halte diese Arbeit – hier stimme
ich dem Kollegen Brandt zu – für einen der wichtigsten historischen Aufträge
an unsere Generation. Denn ich bin weiterhin davon überzeugt, daß es uns
gelingen wird, die materiellen Verhältnisse in den neuen Bundesländern in
Ordnung zu bringen, daß wir jedoch sehr viel länger – hier stimme ich
wiederum dem Kollegen Brandt zu – daran zu tragen haben werden, die
seelischen Verwundungen dort zu heilen.
Herr Kollege Brandt, weil Sie den Vergleich gezogen haben: Ich erinnere
mich noch sehr gut an die Diskussion – ich war damals noch Schüler –,
als die Entnazifizierung begann. Damals haben manche im westlichen Teil
unseres Vaterlandes, in der späteren Bundesrepublik, geglaubt, das sei in
ein paar Jahren abgeschlossen. Wenn Sie heute die internationale Diskussion
betrachten, stellen Sie jedoch fest, daß gerade jetzt, gegenüber dem wieder-
vereinten Deutschland, dies alles wiederkommt – und das wird so bleiben,
solange Menschen leben, die die NS-Zeit ganz persönlich erlebt haben. Diese
Erfahrung ist, glaube ich, wichtig auch im Blick auf das, was wir jetzt
gemeinsam tun wollen.
Ich will meinen besonderen Respekt dem Kollegen Eppelmann bezeugen, der
hier in einer sehr einfühlsamen Weise eine Richtung für diese Arbeit gewiesen
hat. Ich möchte hoffen, daß wir das so begreifen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Gemeldet habe ich mich, Herr Kollege Brandt, weil Sie eine Bemerkung
machten, von der ich hoffe, daß sie nur mißverständlich formuliert war. Denn
das, was Sie zum Besuch des damaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR
1987 sagten, läßt sich natürlich so nicht halten, es sei denn, es soll eine
Legendenbildung begründen.
(Zustimmung bei der CDU/CSU – Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: