Fehler melden / Feedback
herunterzuspielen und ihre Schuld zu verkleinern, wurde und wird doch die
SED, weil sie immer recht hatte und recht haben mußte, weil sie sich –
wie Robert Havemann einmal bemerkte – als „Institut der ewigen Wahrheit“
verstand und feiern ließ, als allgegenwärtige Institution auch allverantwortlich
gemacht. Wer sich als Geber guter Gaben über viele Jahre preisen läßt, der
muß es auch ertragen, für alle Fehler und Mißstände verantwortlich gemacht
zu werden. Wer – so scheint es – jeden produktiven Meinungsstreit verbieten
wollte, muß immer damit rechnen, daß er mit Gewalt – und wenn es auch
nur die sanfte Gewalt Tausender von Kerzen ist – eines Tages davongejagt
wird.
Die Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutsch-
land ist eine schwierige Aufgabe, an deren Lösung eine rechtsstaatliche Justiz
sich nur in Grenzen beteiligen kann, die ihr nämlich die Verfassung und das
Recht setzen. Das hat uns auch der Honecker-Prozeß gelehrt.
Um so wichtiger ist heute die Arbeit der Enquete-Kommission. Mit der heuti-
gen Anhörung über die Machthierarchie der SED wird in den Blick genommen,
wie die SED-Diktatur überhaupt funktionieren konnte und welchen Anteil
einzelne Institutionen und Menschen daran hatten, daß sie über vierzig Jahre
lang überdauerte.
Ich danke schon jetzt allen denen, die durch ihre Beiträge in dieser Anhörung
anschaulicher machen werden, was die Machthierarchie der SED wirklich
darstellte, mit welchen Mitteln sie ihre Position zu wahren suchte und wie sie
ihre Macht schließlich verspielte.
Ich hoffe, daß wir, die wir heute hier sind, morgen abend klüger sein werden
und differenzierter Bescheid wissen. (Beifall)
Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister von Berlin: Herr Vorsit-
zender! Meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen! Ihr
Vorsitzender hat mich ermuntert, aufgefordert, einige Worte zur Begrüßung
der Enquete-Kommission hier in Berlin zu sagen. Das tue ich gern. Er hat
schon auf die besondere Bedeutung dieser Stadt im Rahmen der Aufgabe
hingewiesen, der Sie sich unterworfen haben.
Wenn die Wände dieses Hauses sprechen würden, könnten sie wohl so
manche Geschichte erzählen: Hier residierte im Dritten Reich die Reichsbank,
hier residierte die SED, hier beriet das einzige frei gewählte Parlament der
DDR. Und heute tagen Sie hier, die Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestages.
Ich glaube, nicht von ungefähr haben Sie sich in die Mitte Berlins begeben.
In Berlin spiegelt sich die Geschichte unseres Landes wider. Berlin ist ein
geeigneter Ort, um sich auch gerade mit der jüngsten Vergangenheit zu
beschäftigen. Aus diesem Grunde heiße ich Sie herzlich willkommen.
Diese Stadt Berlin ist die Bundeshauptstadt eines Landes, das mehr als jedes
andere mit und aus seiner Geschichte lebt. Ihre Aufgabe ist es, einen wichtigen
Abschnitt unserer schwierigen und wechselhaften Vergangenheit zu ergründen.
Wir wissen: Bei vielem, was geschieht, sind wir nur Ahnende, Vermutende,
nur selten Wissende. Wir haben jedoch die Möglichkeit, uns im nachhinein um
Aufklärung zu bemühen, können fragen, nachlesen und erforschen, und wir
möchten wissen, was sich ereignet hat, wer dafür Verantwortung und Schuld
trägt.
Damit ist sicherlich das Vergangene nicht mehr zu ändern oder zu „bewälti-
gen“, aber wir können durch Verstehen mehr Gewißheit über uns und über
unsere Mitmenschen gewinnen, und wir können – im glücklichsten Fall –
Fehler, die wir erkannt haben, in Zukunft vernünftig vermeiden.
Dabei stehen Deutsche zum wiederholten Male vor den Trümmern einer
Epoche. Ein Regime ist vergangen. In der DDR wurden im Namen einer Idee
Menschen unterdrückt, wurde Idealismus mißbraucht, wurden Landschaften
vergiftet und Städte dem Verfall preisgegeben. Dies alles ist das Werk
von Menschen, die sich – aus welchen Motiven aus immer – einer Partei
verschrieben hatten.
Heute sind wir umringt von den Problemen des Alltags. Die Einheit wird
als Glück, aber auch als schwere Bürde empfunden. Wir wollen gemeinsam
voranschreiten, eine moderne, eine demokratische Gesellschaft, ein europäi-
sches Deutschland zu sein. Aber beim Fortschreiten können wir auf den Blick
zurück mit Sicherheit nicht verzichten. Um uns selbst und unseren Nachbarn
zu begreifen, müssen wir zurückblicken und versuchen, das Gewesene zu
verstehen. Dazu einen Beitrag zu leisten, das ist der Auftrag Ihrer Kommission,
der Enquete-Kommission.
Sie haben dabei aus meiner Sicht eine gesamtdeutsche Aufgabe, denn deutsche
Geschichte nach 1945 ist unsere gemeinsame Geschichte. Wir sind ein
Volk, eine Nation. Es geht nicht darum, daß der Westen dem Osten die
Vergangenheit aufarbeiten will. Vergangenheit ist nicht teilbar. Schufte und
Edelleute, Wohlmeinende und Verblendete, Erfolgreiche und Gescheiterte hat
es auf beiden Seiten, auf allen Seiten gegeben. Die Irrtümer und Verbrechen
unserer Geschichte sind deutsche Irrtümer und deutsche Verbrechen.
Ich meine, dies genau sollte der Leitgedanke sein, meine Damen und
Herren, wenn wir uns alle gemeinsam auch mit der jüngsten Vergangenheit
beschäftigen. Ansonsten könnten wir ja gleich dazu übergehen, unsere
gemeinsame, unsere gesamte Geschichte nur aus einem Blickwinkel zu
betrachten. Dann wäre Goethe ein ostdeutscher Dichter – oder auch nicht, weil
er ja gerade in Frankfurt am Main geboren wurde –, Beethoven ein „Wessi“,
und Immanuel Kant – ja, was wäre der denn eigentlich? Also, schon aus
diesen Beispielen wird sehr deutlich: Künstliche Teilung unserer Geschichte
ist sinnlos und falsch.
Eine andere Überlegung hat meines Erachtens bei der Aufarbeitung der