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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 462 und 463
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Protokoll der 25. Sitzung

im Sinn hatten, sondern es eigentlich als etwas Bürgerliches, an die bürgerliche
Gesellschaft Gebundenes angesehen haben.

Bei einer Diskussion im Politbüro hat Hanna Wolf – da wurde über
irgendwelche Abweichungen diskutiert – gesagt: „Ja, die sind aber kluge
Anwälte!“ Da hat Ulbricht gesagt: „Na ja, Juristen waren die Abweichler
immer.“ – Darin kam so die ganze innere Einstellung zum Recht zum
Ausdruck.

Deswegen glaube ich schon: Der Vergleich sowohl mit dem Fürstentum als
auch mit dem Islam ist gar nicht so sehr von der Hand zu weisen, auch wenn
Analogien immer irgendwo ein bißchen hinken.

Die letzte Frage, die mir gestellt wurde, bezog sich auf den Begriff „Naturer-
eignis“. Ich habe nicht gesagt, daß es ein Naturereignis gewesen sei, ich habe
nur gesagt: Es ist über bestimmte politische Kräfte in der früheren Bundes-
republik hereingebrochen „wie ein unerwartetes Naturereignis“. Natürlich hat
es in allen Parteien unterschiedliche Positionen zur deutschen Frage gegeben
und mit unterschiedlichem Gewicht in den einzelnen demokratischen Parteien.
Die einen waren der Meinung: Die Zeit ist so weit vorangeschritten, daß es
am besten ist, wenn wir die Präambel des Grundgesetzes ändern.

Ich habe hier das Buch „Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes“,
herausgegeben von den Abgeordneten Dieter Haack (SPD), Hoppe, Lintner
und mir. Da haben sich damals alle Parteivorsitzenden zu meinem größten
Erstaunen selber hingesetzt und einen Artikel geschrieben. Ich hätte nie
geglaubt, daß ich einmal ein Buch herausgebe, in dem Herr Kohl einen Artikel
schreibt. Es ist erschienen zum 35. Jahrestag des Grundgesetzes. Lesen Sie
einmal nach, wie sich darin die Parteien alle geäußert haben.

Ich habe damals eben immer – das muß ich sagen – in der Bundesrepublik
auch als gewisser Outsider gesagt: Leute, das System ist nicht lebensfähig,
nicht nur das in der DDR, sondern auch das in der Sowjetunion; es ist nicht
lebensfähig, und innerhalb der nächsten zehn Jahre, in diesem Jahrhundert,
wird die Wiedervereinigung kommen! Dann sage ich mir: Ich bin doch nicht
ein kluger Mann; es gibt doch viele Männer und Frauen, die viel klüger sind
als ich. Wenn man das nicht sehen wollte oder konnte, dann hat man irgend
etwas anderes im Sinn gehabt. Und das war die Status-quo-Politik.

Die Status-quo-Politik, die ja in gewissen Aspekten und Zeiten ihre Berech-
tigung hatte – ich bestreite das gar nicht –, ist dann eben in eine Ideologie
übertrieben worden, wenn es hieß: Jede Änderung des Status quo bedeutet
Instabilität in Europa und darf folglich nicht stattfinden. Damit sagte man
ja eigentlich: Die Wiedervereinigung darf nicht stattfinden, denn sie ist eine
gravierende Veränderung des Status quo.

Es gibt heute sicherlich manche, die sagen bei der Entwicklung a) in
Jugoslawien, b) in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und c) bei den

463
Machthierarchie der SED

Schwierigkeiten, die wir jetzt mit der inneren Vereinigung haben: Wir haben
vielleicht recht gehabt; wir hätten das trotz Seiffert nicht machen sollen!

Aber meine These lautet ja nur: Man konnte das voraussehen und war wider
besseres Wissen nicht rechtzeitig auf diese Entwicklung vorbereitet.

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herr Weber, Herr Schenk und Herr
Seiffert, ganz herzlichen Dank für Ihr Mitwirken hier. Ich danke Ihnen auch,
daß Sie so viel Selbstbewußtsein hatten, daß Sie es ausgehalten haben, als Sie
feststellten, daß bei uns einige anderer Meinung waren als Sie. Aber was hat
eine Anhörung für einen Sinn, wenn wir uns immer nur wieder das sagen, was
wir selber alles schon wissen? Von daher jetzt nochmals ganz, ganz herzlichen
Dank!

Wir unterbrechen jetzt kurz die Anhörung und möchten um 17.05 Uhr
fortfahren.

(Unterbrechung von 16.50 Uhr bis 17.05 Uhr)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zur Einstimmung auf die dann folgende Fragerunde mit Zeitzeugen haben wir
einen Mitarbeiter des Sekretariats der Enquete-Kommission, Herrn Thomas
Ammer aus Bonn, gebeten, einige Ausführungen zu Strukturen und Methoden
der Machtausübung in der DDR zu machen. Ich möchte Sie um Ihre
Aufmerksamkeit für diesen Vortrag bitten.

Thomas Ammer: Es geht bei der Anhörung, die wir heute durchführen, u. a.
um zwei Problemkreise, die bei der Machtausübung und Machterhaltung der
SED-Führung eine wichtige Rolle spielten: Das ist erstens die Frage, wie die
Machthierarchie in der Funktionärsschicht aufgebaut, erhalten und regeneriert
wurde und wie die Zuverlässigkeit dieser Schicht zu garantieren war. Der
zweite Problemkreis ist, wie Entscheidungen vorbereitet, gefällt, ausgeführt
und kontrolliert worden sind.

Natürlich sind dies Problemkreise, die für die Existenz der DDR nicht allein
maßgeblich waren. Andere Dinge, die vorhin schon angesprochen wurden –
der sowjetische Einfluß, die Wirtschaftslage usw. – spielten auch eine Rolle.
Davon wird jetzt nicht die Rede sein.

Ich befasse mich im wesentlichen mit Vorgängen nach dem IX. Parteitag der
SED 1976. Frühere Ereignisse werde ich nur ausnahmsweise ansprechen.

Eine ganz entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren der SED-
Diktatur war die Existenz einer ganz eng mit der Parteispitze verbundenen
Schicht von Partei- und Staatsfunktionären, die die Politik der Führung
ausführte, sie gegenüber den Bürgern insgesamt vertrat und erforderlichen-
falls auch mit Zwangsmitteln durchsetzte. Nach Schätzungen, die ich jetzt
nicht im einzelnen belegen kann, aber nach verschiedenen Berechnungen
herausbekommen habe, dürfte diese Funktionärsschicht etwa einen Anteil von