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Manfred Ackermann
Phasen und Zäsuren des Erbeverständnisses der DDR
I. | „Kulturerbe“ – eine Bedeutung wird über die DDR gesamtdeutsch |
II. | Diskussionen über das Kulturerbe – die Rezeptionsgeschichte muß noch geschrieben werden |
III. | Kulturpolitik der SED/DDR – der zunehmend untaugliche Versuch staatlicher Machtsicherung |
IV. | Die Klassik – Orientierungspunkt von Anfang bis Ende der DDR |
V. | Denkmalpflege ist Erbepflege – unstreitig im Grundsatz ab 1975 |
VI. | Die DDR und ihre Geschichte – das Erbe kehrt zurück |
VII. | Kulturerbe – „eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation“ |
I. „Kulturerbe“ – eine Bedeutung wird über die DDR gesamtdeutsch
Eines der raren Beispiele, wo sich ein im Osten, in der DDR, durchgängig
verwendeter Ausdruck nach und nach auch im Westen, in der Bundesrepublik
Deutschland (alt), verbreitet hat, ist der Begriff und die Bedeutung von
„Kulturerbe“.
„Erbe“ /Ost wurde definiert als „die Gesamtheit der der Menschheit von
vergangenen Epochen überlieferten Kulturwerte“.1 „Erbe“ /West war vor
allem eine juristische Kategorie, und zwar in langer Tradition von Grimms
Deutschem Wörterbuch (Leipzig 1862) bis zu Meyers Enzyklopädischem
Lexikon (Mannheim 1973) oder dem Großen Duden (Mannheim 1976). „Erbe“
ist danach „allgemeinsprachlich“ ein eigentumsrechtlicher Begriff. Über die
Bedeutung von „jemandes Eigentum nach dessen Tod erhalten“ hinaus begriff
man traditionell und im Westen Deutschlands noch die Weitergabe von
Veranlagungen oder Begabungen (biologisch) als Erbe.
Zeitgleich zum West-Duden definierte die Akademie der Wissenschaften
der DDR (Zentralinstitut für Sprachwissenschaft) den Begriff in einem
- Kulturpolitisches Wörterbuch, Hrsg. Dietz-Verlag, 2. erw. u. überarbeitete Aufl., Berlin/Ost 1978, S. 386 f. Hier auch: „Die Bewertung des Kulturerbes erfolgt vom Standpunkt seiner praktischen Anwendung durch soziale Gruppen (Klassen, Nationen usw.), durch ganze Generationen und durch neue sozialökonomische Formationen.“ Zur Begriffsgeschichte nach 1945: DDR-Handbuch, Hrsg. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Band 1, 3. Aufl., Köln 1985, S. 766 f. Kulturpolitisches Wörterbuch, Hrsg. W.R. Langenbucher/R. Rytlewski /B. Weyergraf, Stuttgart 1983, S. 687 f.
erweiterten Sinn: Erbe als das „klassische, humanistische, nationale E. in der
Kunst“, als „Kultur-, Literatur-, Nationalerbe“ (Wörterbuch der deutschen
Gegenwartssprache, Berlin/Ost 1977).
Beide Bedeutungen finden sich nach Wiederherstellung der staatlichen Einheit,
wenn auch leicht distanziert gegenüber der Neuerwerbung aus dem Osten,
vereint: „man spricht z. B. vom kulturellen Erbe einer Nation“ (Hermann
Paul: Deutsches Wörterbuch, 9. Aufl., Tübingen 1992). Inzwischen kann davon
ausgegangen werden, daß der Begriff „Erbe“ zwar immer noch in erster
Linie eine vermögensrechtliche Bedeutung hat, daß aber die kulturhistorische
Dimension auch im Westen Deutschlands mehr und mehr üblich wird.
Beide Staaten in Deutschland begannen nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer
diametral entgegengesetzten historischen Erbe-Interpretation: In der SBZ/
DDR entschieden positiv als „klassisches Erbe der deutschen Kultur“ (s.u.),
in der BRD (alt) wenn überhaupt historisch, dann negativ als „Erbe des
Nationalsozialismus“. Ein Beispiel hierfür ist die Kultusministerkonferenz/
KMK der Länder mit ihrem grundlegenden Beschluß „Die deutsche Frage
im Unterricht“ vom 23. November 1978, die den Begriff zugespitzt gegen
den NS-Eskapismus der DDR richtete: „Die Verantwortung für die historische
Erbschaft aus der nationalsozialistischen Herrschaft betrifft alle Deutschen
gemeinsam.“ Diese Tendenz, negative Aspekte der eigenen Vergangenheit als
Erbe zu bezeichnen, setzt sich im übrigen ganz offiziell bis zur Gegenwart
fort – heute aktualisiert und gegen die DDR gewendet: So spricht 1993 das
Föderale Konsolidierungsprogramm der Bundesregierung, „Solidarpakt“, in
seiner Einleitung summarisch von vier Problemen der Einheit, eines davon ist
die „Bewältigung der Erblastschulden des Sozialismus“.
Dennoch: Heute wird der Begriff des Kulturerbes im vereinigten Deutschland
überwiegend positiv gewertet und bezieht sich auf in der Gegenwart als
wertvoll akzeptierte Überlieferungen der Geschichte (s.a. EG-Vertrag von
Maastricht, Artikel 128). Der neue gesamtdeutsche Bürger hat damit eine
jeweils spezifische zusätzliche Bedeutung des Erbebegriffes übernommen:
Deutsche/Ost = plus eigentumsrechtliche Bedeutung und Deutsche/West =
plus kulturgeschichtliche Bewertung. Teilweise, und zwar insbesondere in der
Denkmalpflege, übernimmt man sogar das Pathos der erloschenen DDR: „Seht,
welch’ kostbares Erbe!“ betitelte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz 1992
ihre Ausstellung bedrohter Baudenkmäler der neuen Länder.
II. Diskussionen über das Kulturerbe – die Rezeptionsgeschichte muß noch
geschrieben werden
Sowohl die Selbstdarstellungen (aus) der DDR wie auch die Ergebnisse
der DDR-Forschung im Westen sind vor dem Hintergrund der historischen