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Wahlperiode 12, Band IV, Seiten 138 und 139
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Protokoll der 40. Sitzung

Jetzt kommt die große Stunde der Zuhörenden, und zwar deswegen, weil wir
ab sofort die Chance haben, schlauer zu sein, besser informiert zu sein als
der Justizminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, denn er wird uns
jetzt verlassen. Bisher hat er mit zuhören können und sich genauso bereichern
können wie wir. Ab sofort ist er nicht mehr dabei, und nur wir allein werden
schlauer. Herzlichen Dank, daß Sie hier waren, Herr Helmrich!

(Beifall)

Wir hören jetzt den Staatsanwalt a.D., Herrn Rechtsanwalt Raab aus Wolters-
dorf zum Thema „Die Lenkung der Staatsanwaltschaft und die Funktion der
Staatsanwaltschaft bei der Lenkung der Justiz“.

Bitte, Herr Raab!

SV Gottfried Raab: Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
war auch in der DDR früher üblich, auf den Vorredner Bezug zu nehmen.
In diesem Falle bietet es sich an, weil ich jetzt wirklich einfach einmal die
These unterstützen möchte: Man muß nicht alles selbst erlebt haben, um es
zu wissen.

Ich bin nun seit 1976 in der Staatsanwaltschaft der DDR tätig gewesen und
kann mir also aus eigenem Erleben durchaus anmaßen, festzustellen: Bei dem,
was Herr Professor Rottleuthner hier so rein theoretisch wiedergegeben hat,
stimmt die These; man muß nicht dabei gewesen sein, um es gewußt zu
haben.

Wie gesagt, ich kann überwiegend nur aus der Sicht der Staatsanwaltschaft
sprechen. Zu meinem eigenen Werdegang ist darüber hinaus noch zu sagen:

Ich habe zunächst zwölf Jahre in der Produktion gearbeitet, habe dann, als die
Kommanditgesellschaft, in der ich gearbeitet habe, VEB wurde, von 1972 bis
1974 in Jena studiert, war danach bei der Staatsanwaltschaft in Jena und in
Stadtrhoda – also so ein bißchen Umland; man könnte sagen, hinter Gera –, bis
1982, und von 1982 bis 1990 war ich beim Generalstaatsanwalt der DDR.

Wenn man sich fragt, wie das eigentlich funktioniert hat, und den Hintergrund
dafür sucht, daß die SED Einfluß auf die Justiz – sprich: die Staatsanwaltschaft
und das OG – auch in der praktischen Anwendung ausgeübt hat, muß man
vielleicht doch zumindest den rechtstheoretischen Hintergrund – ohne ihn sich
gleich zu eigen zu machen – akzeptieren, der Gegenstand der Lehre war und
der eigentlich alles das erklärt, worüber man jetzt – ob man über die Justiz
redet oder über die Lebensmittelindustrie oder die chemische Industrie – nicht
hinwegkommt: Das war einfach der Anspruch der SED, immer im Sinne der
Arbeiterklasse zu reden. Und zu den Besten der gesamten Arbeiterklasse, für
die man sprach, gehörte man ja selbst; das war die sogenannte Avantgarde.

Insofern wurde alles – wie gesagt, ob es die chemische Industrie war
oder sonst etwas, eben auch die Justiz – nicht als klassenneutrales Werk
betrachtet, sondern man befand sich ja ständig – auch bei der Justiz –

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Lenkung der Justiz

im Klassenkampf. Man hatte also den geistigen Vater der Gewaltenteilung,
den Herrn Montesquieu, abgeschafft und rechtstheoretisch dadurch ersetzt,
daß man einfach Klassenjustiz machte. Insofern diente eben auch die Justiz
der DDR keinem anderen Ziel, als genau diese Klasseninteressen – oder, wenn
man es konkreter ausdrücken will, die Interessen der SED – am Ende dort
einzubringen, wo sie zur Geltung kommen sollten.

Dazu gab es mehrere Mittel und Methoden. Mir fällt zum Beispiel, wenn ich
an die Staatsanwaltschaft denke, nicht ein Staatsanwalt ein, der nicht Mitglied
der SED war. Das war eben bereits wieder eine Kadermethode bei der Auswahl
der Leute. Das ging zum Teil vor dem Studium los. Hinterher war es sowieso
klar. Wie gesagt, mir ist kein Staatsanwalt bekannt, der nicht in der SED
war.

Bei Richtern gab es Ausnahmen; das ist richtig. Aber es waren meines
Erachtens auch ziemlich wenige.

Dieser rechtstheoretische Hintergrund mußte auch technisch irgendwie zum
Tragen kommen, und das ging eben, beginnend bei der Kaderauswahl, über die
ständige ideologische Bildung oder Beeinflussung – der eine mag es „Bildung“
nennen, der andere „Beeinflussung“; wie auch immer, das stelle ich anheim –
und die SED – mit dem Begriff „Parteilehrjahr“; jedem bekannt, der sich damit
befaßt hat –, bis zu den Parteiversammlungen. Man sah sich dort eben nicht
nur schlechthin, sondern dort wurden auch konkrete Dinge rübergebracht.
Das fand seine Fortsetzung auch in den viel praktizierten Verfahren der
Personalunion – ebenfalls schon von meinem Vorredner angedeutet –: Man
stand als „niederer“ Richter – ich bezeichne das einmal so, damit Sie die
Strukturen einordnen können – oder als Staatsanwalt schlechthin – also weder
Abteilungsleiter noch sonst etwas – ständig vor dem Problem, daß man mit
zwei Chefs in einer Person konfrontiert wurde. Der Abteilungsleiter, der zum
Beispiel dem Staatsanwalt vorgesetzt war, war eben gleichzeitig auch Mitglied
der Parteileitung. Das war bei der Generalstaatsanwaltschaft ganz ausgeprägt,
wurde in den letzten zwei Jahren jedoch – so kann man sagen – ein bißchen
aufgeweicht. Aber in der Regel war es so. Als ich dorthin kam, waren – wie
gesagt – alle Abteilungsleiter gleichzeitig Mitglieder der Parteileitung.

So saß man ständig – auch wenn man nun einmal etwas anderes wollte oder
einen anderen Gedanken hatte – in der Klemme: Wenn ich es dem einen nicht
recht mache, mache ich es dann dem anderen eben auch nicht recht. Das ist
einfach so.

Ich konnte also sicherlich eine fachliche Diskussion anfangen aus juristischer
Sicht, kam aber – so erging es eigentlich jedem, der sich in dieser Situation
befand – an die Grenze, entweder meinem Dienstvorgesetzten zu widerspre-
chen – das ist, glaube ich, noch harmlos –, gleichzeitig aber auch meinem
Parteichef. Und dann kam man in die Situation, daß man in die Reihe rutschte:
Zunächst hatte man „die Politik der Partei nicht verstanden“; ich formuliere