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Nun galt es – das ist auch ihre Aufgabe, meine Damen und Herren, und unsere
gemeinsame Aufgabe –, eine Justitia zu unterstützen, die vornehm, gerecht und
mütterlich die schlimme Schwester an die Hand nahm und zu ihrem Ebenbild
heranzieht.
Lasen wir uns nicht davon irritieren – auch ich als ehemaliger Anwalt nicht
oder jetzt in meinem neuen juristischen Tätigkeitsbereich –, daß Justitia immer
dann am meisten kränkelt, wenn sie guter Hoffnung ist. Es ist ja nun ein
wissenschaftlicher Streit entstanden, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, ob
es ein Unrechtssystem, ein SED-Unrechtssystem war. Meine Damen und
Herren, lassen Sie die Wissenschaft dieses Thema bearbeiten. Wir haben gute
Hoffnung, daß dann auch das Kränkeln beseitigt wird.
Die Aufarbeitung oder die Bewältigung des Unrechtshaufens, vor dem wir
standen, den die SED und ihr Schutzschild, die Staatssicherheit, hinterlassen
haben, ist sicherlich so ein Kränkeln. Doch frei nach Goethe und auf die
Bedeutung dieser Mitarbeiter bezogen – einige Anwälte kenne ich auch,
die heute noch Anwälte sind und für das Ministerium für Staatssicherheit
gearbeitet haben –: Der Staatssicherheitsdienst fing mit einem heimlich an,
bald kamen ihrer mehrere dran, und wenn er erst ein Dutzend hat, so hat
er auch die ganze Stadt. Erfolgreich war er, geriet außer Rand und Band,
verstrickte, vergiftete und verführte im ganzen Land; aber alle menschlichen
Gebrechen sühnet reine Menschlichkeit.
Wenn wir das aus der Aufarbeitung dieser Geschichte und der Feststellung,
wie man als Praktiker diese Situation sieht, mitnehmen, dann werden wir einen
gemeinsamen guten Weg zur Beschleunigung einer rechtsstaatlichen Justiz in
unserem Land haben. (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Als nächsten bitte ich Herrn Rechtsanwalt
Taeschner aus Freiberg in Sachsen, das Wort zu nehmen.
Alexis Taeschner: Ich möchte im Stehen sprechen, nicht, weil ich ein Plädoyer
halten will. Aber ich habe meine Notizen, meine Vorbereitungen zur Seite
gelegt.
Ich gehöre zu dem Alter – ich werde 80 –, daß ich aus der Vogelperspektive
urteilen kann. Ich habe in der Weimarer Republik zu studieren begonnen,
und ich kann mir die Aussage erlauben, etwas mitgemacht zu haben.
Ich verkenne nicht, daß die jungen Wissenschaftler durchaus Geschichte
beschreiben können, auch wenn sie nicht dabei waren. Wie sollten sie es
denn sonst machen! Aber sie müssen auch versuchen, die objektiven Zeugen,
die jetzt noch da sind, zu nutzen und sich mit deren Material zu befassen. Es
sollen keine Namen genannt werden; es werden bei mir auch keine Namen
genannt.
In meinem Archiv ruhen die Dinge, die ich objektiv beweisen kann und die
das gesamte System entblättern. Ich habe den Pfarrer vertreten, der der geistige
Urheber der ersten Polizistenmordes bei der ersten Wahl war. Ich mache mir
zum Vorwurf, daß ich nicht alles habe; aber da bin ich dem Altpapierdrang
meines Kollegiums erlegen: Alles mußte abgegeben, alles mußte zerschnitzelt
werden, so daß ich nur für mich ganz besondere Sachen gemacht habe. Meine
Praxis ist immerhin 125 Jahre alt. – ich bin es nicht.
Deshalb muß ich gleich dazu sagen: Die Frage, ob der Anwalt in diesem
verruchten System, möchte ich beinahe sagen, notwendig war, weil er ein
Kämpfer war, müssen sich alle selber beantworten. Ich habe jedenfalls
einen Haufen Menschen um mich gehabt, die mir heute noch dankbar sind.
Und wenn ich heute, in dieser Rechtsordnung, rede, wie mir die Schnauze
gewachsen ist, sagen sie: Eechentlich, Her Taeschner, ham Se das früher
ooch schon gemacht! Ich muß sagen: Es hat auch in dieser gesteuerten
Justiz – genauso, wie es geschildert worden ist – gewisse Möglichkeiten
gegeben, in irgendeiner Form tätig zu werden, und wenn man sich einer Lobby
bediente. Man mußte wissen, wo man hin wollte, und man ist dabei natürlich
elendiglich angeeckt. Ich will das nicht in den Vordergrund rücken; aber ich
kann mich eines Prozesses erinnern, der heute noch nicht beendet ist, wo
der betreffende alte Arzt kistenweise Meißner Porzellan und Smaragde mit
der Schaufel bewegte; bis man das für den Staat DDR als Ärger hatte, ist
eine Geschichte für sich! Sie können sie im Film sehen. Der Herr von der
Generalstaatsanwaltschaft, der heute mein Kollege ist, hat das dargelegt. Wir
haben das vor drei Jahren gedreht. Damals haben wir nicht gewagt zu sagen,
daß es solche bösen Ärzte gibt; aber die junge, sympathische Frau habe ich
verteidigt. Die hat das Testament angefochten – seit wann kann man denn ein
Testament nicht anfechten? –, und hat sie ihre Erbschaft gekriegt? Nein, Herr
Schalck-Golodkowski hat sie. Das kann ich beweisen. Aber ich muß natürlich
sagen, daß das ein Einzelfall ist. Davon hängt nie das Schicksal eines Volkes
ab.
Es ist mir an einigen Stellen sehr schwergefallen, nicht auch abzuhauen. Aber
ich kenne gewisse Berufe – dazu zähle ich den Arzt, den Seelsorger und auch
den Anwalt –, die ihre Verpflichtung haben, dort auszuharren, wo sie sind;
und wenn sie es auch nicht ändern können, können sie doch an dieser und
jener Stelle mildern, soweit ihre Grütze reicht.
Man kann nämlich feststellen, daß es ein ganz einfaches Prinzip war,
das lautete: Man kann die Gerechtigkeit nicht mit dem Strohseil von
den Sternen holen, sondern Recht ist die Ausdrucksform der Macht der
jeweils herrschenden Klasse. Und wenn man weiß, daß die sozialistische
Gesetzlichkeit möglichst eingehalten werden muß, weil man keine opportunen
Dinge in den Vordergrund schieben kann, es sei denn, die Macht der
Arbeiterklasse wird angegriffen, dann muß man eben aufpassen, daß man
nicht angreift, sondern daß man das Ding hintenherum hinkriegt. So habe ich
immerhin 40 Jahre verbracht – zugelassen bin ich noch unter Adolf im Jahre