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Wahlperiode 12, Band V/1, Seiten 270 und 271
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Protokoll der 48. Sitzung

notwendigen Vertrauen in das eigene Volk, erneut eine unabhängige Position
in der Mitte Europas wahrnehmen zu können, ohne dabei den Fehlern der
Vergangenheit erneut zu verfallen. So gesehen war also Adenauers Westpolitik
und der damit verbundene Verzicht auf eine Wiederherstellung der Einheit
Deutschlands offensichtlich das wirksamste Mittel und vielleicht das einzige,
Deutschland vor sich selbst zu schützen, wie es schon damals der belgische
Außenminister Paul-Henri Spaak gemeint hatte.

Welche Funktion hat denn nun dieses Reden von Wiedervereinigung gehabt?
Ich teile nicht ganz die Auffassung, als sei gewissermaßen der internationale
Rahmen so vorgegeben gewesen, daß es dazwischen keine Handlungsspiel-
räume mehr gegeben hätte. Man muß bedenken, die Deutschen waren nicht
nur Opfer des Kalten Krieges, sie waren auch Akteure des Kalten Krieges,
und sie haben – aus einer bestimmten Interessenlage heraus – kräftig an der
Aufrechterhaltung der Frontstellung zwischen Ost und West mitgearbeitet. Ent-
scheidend war es in der Tat, um auf diese Weise die Rückkehr zur Souveränität
des westdeutschen Teilstaates zu ermöglichen unter Hintansetzung natürlich
der Ziele einer Wiedervereinigung Deutschlands. Die Wiedervereinigungsfrage
war also für Adenauer weniger eine außen- als eine innenpolitische Frage, eine
Frage der inneren Absicherung und Durchsetzung des westlichen Teilstaates
Bundesrepublik. Das Offenhalten der deutschen Frage und die permanente
Forderung nach Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, ohne praktisch
etwas dafür zu tun, war somit die Integrationsideologie der Bundesrepublik
Deutschland auf dem Weg zu sich selbst.

Zum Abschluß möchte ich kurz resümieren: Leistungen und Kosten der
Adenauerschen Politik. Es gibt viele, die in unserem Land zur Zeit nicht
müde werden immer wieder zu betonen, daß es keinen Beweis gebe,
daß Adenauer die Wiedervereinigung nicht gewollt habe. „Er hat daran
geglaubt“, schreibt Hans-Peter Schwarz. Nun werden Politiker ja nicht nach
ihrem Glauben beurteilt, sondern an ihren Taten gemessen, und es mag sein,
daß Adenauer an eine Wiederherstellung der Einheit Deutschlands geglaubt
hat. Doch, um in diesem Bild zu bleiben, ein praktizierender Gläubiger
in Sachen Wiedervereinigung war er jedenfalls nicht. Die These, wonach
Adenauer die Einheit Deutschlands nur zu gerne wieder hergestellt hätte,
wenn die internationale Lage dies erlaubt hätte, greift zu kurz. Die Option
für den Westen erfolgte zu einer Zeit, als gesamtdeutsche Lösungen noch
keineswegs vollends ausgeschlossen waren. Adenauers entschlossener Kampf
gegen jedes gesamtdeutsche Arrangement erweiterte und verengte zugleich
seinen außen- und deutschlandpolitischen Handlungsspielraum. Adenauer und
die ihn tragende Mehrheit der Westdeutschen insgesamt waren eben nicht nur
Opfer, sondern Akteure des Kalten Krieges, die Zug um Zug die Spaltung
Deutschlands vertieften. Adenauers oberstes Ziel, die rasche Rückkehr zu
Souveränität, war nur auf der Basis eines demokratisch verfassten, fest in

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Deutschlandpolitik 1949–60er Jahre

die westliche Hemisphäre verankerten westdeutschen Staates möglich. Seine
große Leistung besteht darin, einen neuen, nach außen verläßlichen, nach innen
stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Staat aufgebaut zu haben, der trotz der
großen inneren und äußeren Belastungen mehr als vier Jahrzehnte überdauert
hat, allerdings um den Preis einer ebenso langen Teilung Deutschlands.
Die Ambivalenz der Adenauerschen Politik wird unter dem Eindruck der
Vereinigung der beiden deutschen Staaten besonders deutlich. Die Vereinigung
der beiden deutschen Staaten ist nicht wegen, sondern ich möchte fast sagen,
trotz der Adenauerschen Politik erfolgt. Nicht die Politik der Entspannung,
sondern die Politik der Stärke hat die Etablierung und Festigung des
sogenannten Ostblocks auf Jahrzehnte gefördert. Gerade aus der Perspektive
der seit 1990 erfolgten Osterweiterung der Bundesrepublik stellt sich manche
Frage neu und mit um so größerer Dringlichkeit für das Zusammenwachsen der
Menschen in allen Teilen Deutschlands. Inwieweit hat also die Adenauersche
Politik und mit ihr die des Westens eine frühere Liberalisierung des Ostens
verhindert? Hätte eine flexiblere Politik des Westens die kommunistische
Herrschaft nicht viel eher in Bedrängnis gebracht? Hätten, mit anderen Worten,
vierzig Jahre deutscher Teilung möglicherweise verhindert oder zumindest
verkürzt werden können? Schließlich: Waren die Deutschen respektive die
Westdeutschen jemals bereit, einen Preis für die Wiederherstellung der Einheit
ihres durch eigenes Verschulden geteilten Landes zu zahlen?

In den 50er und 60er Jahren wurde die Brisanz dieser Fragen durch die
fehlende Einsicht in das eigene Verschulden, die Pflege neuer Feindbilder und
die Kultivierung nationaler Einheitsrhetorik überdeckt. Heute, nachdem uns
die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands – man könnte fast
sagen – beim Ausverkauf des sowjetischen Imperiums in den Schoß gefallen
ist, reicht die nationale Rhetorik nicht mehr aus. Sie hat uns inzwischen einge-
holt. Operative und rhetorische Deutschlandpolitik sind erstmals miteinander
in Einklang zu bringen. Nun müssen wir den Preis, nicht nur für die Ursachen,
sondern auch für die Folgen der Teilung Deutschlands zahlen, ob wir wollen
oder nicht. Ob er höher ausfällt, als er in den 50er Jahren ausgefallen wäre,
muß dahingestellt bleiben. (Beifall)

Amtierender Vorsitzender Dirk Hansen: Vielen Dank Herr Dr. Foschepoth.
Das Interesse, will ich mal zurückhaltend sagen, steigt zunehmend, hörbar,
aber ich bitte Sie, sich doch noch einen Augenblick zu gedulden, denn wir
wollen das Quartett komplettieren. Herr Dr. Wettig wird noch eine Spezialfrage
behandeln, die ja heute morgen anstehende Thematik der Stalin-Note. Lassen
Sie mich noch eine Bemerkung machen. Sie sehen hier einen ständigen
Wechsel des Vorsitzes. Nehmen Sie es als Indiz dafür, daß die FDP die
Kontinuität gewissermaßen belegt. Gerade in dem Themenkreis des heutigen
Vormittags ist das ja vielleicht nicht ganz unwichtig.

Priv. Doz. Dr. Gerhard Wettig: Herr Vorsitzender, meine Damen und