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Wahlperiode 12, Band V/1, Seiten 274 und 275
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Protokoll der 48. Sitzung
  1. Mit der Kompromißlosigkeit gegenüber allen möglichen politischen Ver-
    bündeten innerhalb der Bundesrepublik ging ein Konfrontationskurs durch
    die DDR bzw. mit deren Hilfe einher. Die Absperrmaßnahmen an der inner-
    deutschen Grenze, die Forcierung der ostdeutschen Sowjetisierungspolitik
    und die Kampagne für eine verschärfte Wiederaufrüstung der DDR – alles
    dies sind Dinge, die dann zwar erst etwas später öffentlich gemacht, aber
    zu diesem Zeitpunkt bereits fest ins Auge gefaßt worden sind, die also
    nicht als Reaktion auf enttäuschende Antworten der Westmächte gelten
    können.
  2. Es ist aufschlußreich, daß die notorisch von der Sorge vor dem Entzug
    der sowjetischen Unterstützung geplagte SED-Führung – ebenso ein
    so dogmatischer und intransigenter sowjetischer Spitzenfunktionär wie
    Molotow (dem die Note auch immer wieder vorgelegt worden ist) –
    keinerlei auch noch so geringe Unzufriedenheit zu erkennen gab. Das
    aber wäre mit Sicherheit zu erwarten gewesen, wenn die SED-Herrschaft
    auf irgendeine Weise auch nur andeutungsweise in Frage gestellt worden
    wäre.

Das sich dem erstaunten Beobachter eröffnende Bild – und ich muß bekennen,
auch ich bin ein solcher erstaunter Beobachter gewesen, als ich die sowjeti-
schen Akten einsah –, läßt klar erkennen, daß die sowjetische Deutschlandpo-
litik im Frühjahr 1952 weder eine diplomatische noch eine propagandistische
Aktion gewesen ist, sondern auf innenpolitische Veränderung, d.h. auf Umsturz
in der Bundesrepublik mittels der KPD und durch die KPD abzielte. Dabei
stellt sich für uns die Frage, wie die sowjetische Führung glauben konnte,
daß eine so stark antisowjetisch und antikommunistisch gesinnte Bevölkerung
wie die damaligen Bewohner Deutschlands, insbesondere auch Westdeutsch-
lands, überhaupt für ein solches Programm zu gewinnen sein sollte. Wie
konnte Stalin hoffen, mit seinen national frisierten Parolen des antiwestlichen
Kampfes politische Eroberungen unter den Deutschen zu machen? Warum hat
er diese Angel eines deutlich antiwestlich ausgerichteten Wiedervereinigungs-
angebots, wenn er sie schon auszuwerfen für richtig hielt, nicht wenigstens
durch den Anschein von Zugeständnissen an deutsche Demokratie-Wünsche
attraktiver zu machen gesucht? Das ist die Frage, die sich dem Historiker
stellt und nach meinem Eindruck zugleich die psychologische Erklärung für
die durch nichts Konkretes gestützte Ansicht, Stalin könne doch gar nicht
gemeint haben, die Deutschen ohne irgendeine Konzession für seine Offerte
zu interessieren. Aufgrund der Dokumente will ich versuchen, das Problem in
drei Stufen wenigstens teilweise zu beleuchten.

  1. Stalin gab, wie aus anderen Archivdokumenten hervorgeht, der Konsoli-
    dierung des eigenen Machtbereichs absoluten Vorrang vor allen in Aussicht
    stehenden Vorteilen der Interaktion mit den Westmächten.
  2. Stalin ist nach Ausweis aller vorhandenen Informationen nicht ein Kauf-
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Deutschlandpolitik 1949–60er Jahre
  1. mann gewesen, der in der DDR ein Handelsobjekt sah, das man gegebe-
    nenfalls gegen Wertvolleres eintauschen konnte. Er gerierte sich vielmehr
    als politischer Kämpfer, der in der DDR eine politische Bastion sah, die
    er sowohl zur politischen Verteidigung als auch zum politischen Angriff
    gegen den Westen benötigte.
  2. Noch überraschender ist, daß im Kreml eine fundamentale Fehlwahrneh-
    mung vorlag. Die Leiter der sowjetischen Politik täuschten sich völlig über
    die Haltung der Deutschen zum Kommunismus, zur Sowjetunion und zu
    deren Politik. Sie sahen zwar immer wieder im Einzelfalle, daß es bei
    den Deutschen Schwierigkeiten mit der sowjetischen Politik gab, aber
    sie haben daraus niemals die Konsequenz gezogen, daß ihr Vorgehen
    verkehrt sein könnte oder daß man an ihm irgendwelche Korrekturen
    anbringen müßte, um die Zustimmung des deutschen Volkes zu gewinnen.
    In ihrer Vorstellung war die eigene Politik von vornherein fraglos dazu
    geeignet, die Wünsche und Bedürfnisse der Deutschen und anderer Völker
    zu befriedigen, wenn man nur die richtige Strategie und Taktik bei der
    Durchsetzung wählte. Es kam daher allein darauf an, die unternommenen
    Anstrengungen, insbesondere die Aktionen der KPD, zu verstärken, um das
    Potential der vermeintlich in Deutschland zustimmungsfähigen Politik voll
    auszuschöpfen und die grundsätzlich vorhandene deutsche Zustimmung
    faktisch zu realisieren – eine groteske Fehleinschätzung der Situation, deren
    Existenz wir aber konstatieren müssen, wie verkehrt sie auch gewesen ist.

Das Fazit meiner Forschung ist, daß sich die sowjetische Führung weigerte,
auch nur die geringsten Zugeständnisse bezüglich einer irgendwie im Westen
akzeptablen Wiedervereinigung Deutschlands ins Auge zu fassen. Das heißt
mit anderen Worten: Auch wenn die westlichen Regierungen und die – in ihrer
außenpolitischen Handlungsfähigkeit diesen Regierungen nachgeordnete –
Bundesregierung unter Adenauer bereit gewesen wären zu einem weitreichen-
den Entgegenkommen gegenüber Stalin, hätte dies in keiner Weise die Chan-
cen für ein demokratisches Gesamtdeutschland erhöht, mit welchen außen-
und sicherheitspolitischen Bedingungen die westliche Seite auch einverstan-
den gewesen wäre. Stalin konnte sich – das ist meine Schlußfolgerung aus
meinen Dokumentenfunden – nur ein kommunistisches Gesamtdeutschland
unter seiner Oberherrschaft vorstellen.

Amtierender Vorsitzender Dirk Hansen: Meine Damen und Herren, ich
danke Herrn Dr. Wettig für seine Ausführungen.

(Pause)

Stellv. Vorsitzende Margot von Renesse (SPD): Was wir heute morgen
gehört haben, war sozusagen abgelagerter Sprengstoff, und das Eigentümliche
ist, daß der alte abgelagerte Sprengstoff nichts von seiner Brisanz verloren
zu haben scheint. Die alten Schmerzen und die alten Frustrationen sind,
vielleicht ist das auch sehr typisch deutsch, immer aktuell. Erlauben Sie,