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Wahlperiode 12, Band V/3, Seiten 2350 und 2351
2350
Peter Schütt

kamen, genossen durchweg hohe Privilegien und erregten dadurch nicht selten
die heimliche Bewunderung ihrer westdeutschen Kollegen, die in der Regel in
wesentlich bescheideneren Verhältnissen lebten. Das ist sicher ein wesentlicher
Grund für die schiefe Optik, mit der nicht wenige westdeutsche Intellektuelle
und Kulturschaffende die Situation in der DDR betrachteten.

SED und DKP waren selbstverständlich daran interessiert, daß die West-
besucher sich nach ihrer Rückkehr möglichst positiv über ihre Eindrücke
äußerten und daß ihre Berichte möglichst massenwirksam verbreitet wurden.
Der Durchbruch gelang bereits Anfang der siebziger Jahre mit Erika Runge,
deren Frauenprotokolle aus Rostock vom Suhrkamp-Verlag veröffentlicht und
später vom Ersten Fernsehprogramm der ARD ausgestrahlt wurden.14 Wolf-
gang Plat, zunächst hauptamtlicher Kulturfunktionär der KPD und der DKP,
wechselte sogar das Metier und drehte vor allem für den WDR Filmberichte
aus dem Alltag der DDR und anderen Ostblockstaaten. Franz-Xaver Kroetz
schrieb 1974 für die DKP-Buchreihe „Sozialismus konkret“ eine Reportage
über den „Sozialismus auf dem Dorf“, in der er die Kollektivierung der
Landwirtschaft in den höchsten Tönen pries. Dennoch war der SED-Kulturchef
Kurt Hager immer wieder unzufrieden und ungehalten über die „mangelhafte
Sozialismuspropaganda“ auch bei befreundeten Künstlern und Schriftstellern
im Westen und forderte wiederholt „ein tieferes Verständnis für die historische
Mission der SED“.

Um „fortschrittliche Kulturschaffende“ enger an sich zu binden, konnte die
SED vielfältige Hebel in Bewegung setzen, nicht nur den Apparat der DKP.
So half sie immer wieder Bernt Engelmann bei der Beschaffung von Ar-
chivmaterialien und Dokumenten über die Rolle des deutschen Großkapi-
tals. August Kühn erhielt für die Fertigstellung des Manuskripts zu seiner
proletarischen Familienchronik „Zeit zum Aufstehen“ die Hilfestellung von
erfahrenen Lektoren aus dem Ostberliner Aufbau-Verlag. Gisela Elsner, die
um die Mitte der achtziger Jahre in eine tiefe Lebenskrise gestürzt war, wurde
in verschiedenen DDR-Sanatorien mühsam wieder gesund gepflegt. Sie fühlte
sich deshalb verpflichtet, noch 1989 demonstrativ für Erich Honecker Partei
zu ergreifen und gegen die Gorbatschow-Fraktion für den DKP-Parteivorstand
zu kandidieren. Der Sturz der SED warf sie erneut in eine schwere Depression.
1991 beging sie Selbstmord. Gisela Elsners Lebens- und Leidensweg ist
zumindest in seiner letzten Konsequenz ein Einzelfall, aber er wirft dennoch
ein Licht auf die auch psychisch zwanghaften Bindungen, durch die einige
kommunistische Künstler an das DDR-Regime gefesselt waren. Diese Ver-
strickungen wirken bei manchen „Kulturschaffenden“ sogar noch über den
Übergang der DDR hinaus. Sie wollen von ihrem Traum nicht lassen und

 

  1. „Ich bin ein Bürger der DDR“. Dokumentarfilm von Erika Runge. ARD, 05.04.1973, 20.15 Uhr.
2351
Kulturpropaganda der DKP

singen wie der Liedermacher Franz-Josef Degenhardt nach der Wende: „Die
Enkel fechten’s besser aus!“

SED und DKP waren unermüdlich bestrebt, die „antiimperialistische Kultur-
front“ zu festigen und ihre Reihen zu schließen. Dennoch konnten sie im
November 1976 nicht verhindern, daß sich nicht zuletzt viele DKP-Mitglieder
und Sympathisanten aus dem Kulturbereich den Protesten gegen die Aus-
bürgerung Wolf Biermanns anschlossen, obwohl ein von Hannes Stütz, dem
Kulturreferenten beim DKP-Parteivorstand, zuerst in der UZ veröffentlichter
und am folgenden Tag im „Neuen Deutschland“ nachgedruckter Kommentar
die „Maßnahme“ ausdrücklich gerechtfertigt hatte. Auf die Biermann-Petenten
innerhalb der DKP wurde enormer Druck ausgeübt, um sie zum Widerruf ihrer
Unterschrift zu bewegen. Es wurde behauptet, die Aktion sei nicht von Günter
Wallraff, sondern von Agenten des Verfassungsschutzes organisiert worden.
Schließlich wurden mehr als einhundert Parteiordnungsverfahren eingeleitet,
die zum Ausschluß von siebzig Genossen führten. In Marburg wurde der
gesamte Vorstand der DKP-Hochschulgruppe exkommuniziert. Die Säuberung
wurde zugleich zum Anlaß genommen, um mit der ohnehin schwach aus-
geprägten „eurokommunistischen Unterströmung“ in der DKP aufzuräumen.
Gegenüber den „Bruderparteien“ in Italien, Spanien und Frankreich wurde
fortan ein strikter Abgrenzungskurs betrieben. Parteikontakte auch auf unterer
Ebene, etwa im deutsch-französischen Grenzgebiet an der Saar, wurden un-
tersagt. Jede Verbindung zu den „eurokommunistischen“ Parteien bedurfte der
Zustimmung der „Internationalen Abteilung“ beim Parteivorstand der DKP.

Bei der Suche nach den Sündenböcken wurden die SED- und DKP-Ideologen
jedoch auch im eigenen Lager fündig. Als einer der Träger des eurokom-
munistischen Bazillus und als Anstifter zum Protest gegen die Biermann-
Ausweisung wurde ausgerechnet Martin Walser ausgemacht – derselbe Walser,
der auf dem Kulturpolitischen Forum der DKP seine „11 Punkte aus dem
Arbeitsprogramm für Schriftsteller“ vorgetragen und sich noch auf der Lite-
raturkonferenz der Partei 1974 zur Literaturpraxis der Kommunisten bekannt
hatte. Aber Walser hatte zugleich in mehreren Interviews mit der „bürgerlichen
Presse“ den Verdacht geäußert, die DKP sei keine „hiesige Partei“. Wichtige
Entscheidungen würden in Ostberlin getroffen. Er wünsche sich eine „natio-
nale Partei“ wie in Italien oder Frankreich. Aber eben das widersprach den
Interessen der SED. Sie wollte unter allen Umständen ihren Interventionsap-
parat im Westen Deutschland erhalten und fürchtete eine Diskussion über die
Eigenständigkeit der DKP wie der Teufel das Weihwasser.15 Die Angst vor
dem Gespenst des Eurokommunismus trieb die SED noch fast zehn Jahre
später um. Die „Düsseldorfer Debatte“, eine kleine, von kritischen DKP-
Wissenschaftlern redigierte Zeitschrift, geriet wegen einiger Beiträge über

 

  1. Zur SED-Kritik an Martin Walser vgl. Ursula Reinhold, Erfahrung und Realismus. Weimarer Beiträge 7/1975, S. 70 ff.