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Martin-Michael Passauer
Die evangelischen Kirchen in der DDR. Einführende
Bemerkungen
Ich beginne mit einem Rückblick auf grundlegende theologische Erkennt-
nisse unserer Kirche. Die Evangelische Kirche lebt von ihren Bekenntnissen.
Eines der wichtigsten Bekenntnisse in der jüngeren Geschichte der Kirche
ist die Theologische Erklärung von Barmen aus dem Jahr 1934. Diese war
zunächst gedacht als eine Reaktion auf die Einführung des Arierparagraphen
durch das nationalsozialistische Regime. Die Evangelische Kirche hat mit
dieser Theologischen Erklärung von Barmen ein wichtiges Dokument ihres
Selbstverständnisses formuliert. Es ist aus meiner Sicht das erste theologische
Dokument seit der Reformationszeit, das kirchliche Verbindlichkeit für den
gesamten deutschen Protestantismus gewann – bis heute. Fast alle Grundord-
nungen der evangelischen Landeskirchen, sowohl in der ehemaligen West- als
auch in der ehemaligen Ost-Region, haben Teile der Theologischen Erklärung
von Barmen aufgenommen. Diese hat damit so etwas wie kirchlichen Ver-
fassungsrang gewonnen. Ich persönlich als Pfarrer bin zum Beispiel auch auf
diese Theologische Erklärung von Barmen ordiniert worden. Diese ist also ein
Bestandteil unseres Ordinationsgelübdes. Das ist deshalb besonders wichtig,
weil es in der Auseinandersetzung zwischen lutherischer und reformierter
Theologie sonst kaum gemeinsame verbindliche Texte gibt.
In Artikel V der Theologischen Erklärung von Barmen finden Sie eine
deutliche Beschreibung dessen, was Kirche und was Christsein in unserem
Land und in unserem Glauben ist. Es gibt nach der Theologischen Erklärung
von Barmen die Mitverantwortung der Kirche und der Regierten für den
Staat und dafür, daß dieser seine Grenzen nicht überschreitet. Es gibt ein
Mandat der Kirche, daß diese den Staat an seine Aufgaben erinnert, für
Recht und Frieden zu sorgen. Es gibt auch ein Mandat der Kirche aufgrund
dieser politischen Grundeinstellung, die jeweilige Obrigkeit als vorausgesetzt
anzusehen. Das bedeutet nicht, daß die Kirche der Obrigkeit hilft, sich zu
konstituieren. An dieser Stelle ist schon deutlich erkennbar, daß es die Kirche
nicht als ihren Auftrag – jedenfalls nicht nach der Theologischen Erklärung
von Barmen – ansehen kann, so etwas wie ein Widerstandsrecht in ihrer
eigenen Grundordnung zu verankern.
Mit der Barmer Theologischen Erklärung wurde so etwa wie ein Rahmen für
das Staat-Kirche-Verhältnis in der DDR von 1945 bis 1989 vorgegeben. Dieses
hat sich in drei verschiedenen Etappen vollzogen, die ich hier im einzelnen
skizzieren möchte.
Die Verfassungen beider deutschen Staaten von 1949 sind in ihren Aussagen
über die Religionsausübung noch vergleichbar. Beide stellen im Rückgriff auf
entsprechende Artikel aus der Weimarer Rechtsverfassung übereinstimmend
fest: Es gibt keine Staatskirche! Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die
Freiheit der Vereinigung zur Religionsgemeinschaften sind gewährleistet. Die
Kirchen bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Sie haben das
Recht, von ihren Mitgliedern aufgrund staatlicher Steuerlisten Steuern, also
Kirchensteuern, zu erheben.
Und nun zu den schon damals festzustellenden Unterschieden: Im Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland ist verankert, daß der Religionsunterricht –
heute wieder ein umstrittenes Thema in unseren Kirchen – nach Artikel 73
in den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist. Die DDR-Verfassung
1949 macht den Religionsunterricht zur Sache der Kirchen, allerdings mit dem
Recht – so wurde es jedenfalls 1949 noch festgelegt –, den Religionsunterricht
in den Schulräumen durchführen zu können. Ein anderer Unterschied: Das
Grundgesetz erwähnt nicht ausdrücklich das Recht der Kirchen, sich zu
öffentlichen Angelegenheiten zu äußern, da das als demokratisches Bürger-
recht ohnehin selbstverständlich ist. In der DDR-Verfassung wurde hingegen
ausdrücklich eine Verwahrung gegen den Mißbrauch kirchlicher Einrichtun-
gen und der Religionsausübung für verfassungswidrige oder parteipolitische
Zwecke festgeschrieben.
Der 1949 gegründete DDR-Staat war der Ausgangspunkt für die sofort ein-
setzende Umgestaltung der DDR in ein von der SED-Führung zentralistisch
gelenktes Herrschaftssystem. Nach dem Prinzip des sog. demokratische Zen-
tralismus wurden alle gesellschaftlichen Organisationen in der DDR, mit Aus-
nahme der Kirchen, direkt oder indirekt der SED-Führung unterstellt. Damit
begann in West wie Ost eine unterschiedliche Entwicklung der jeweiligen
Kirchen. In West gibt es eine Partnerschaft zwischen Staat und Kirche. Die
Rolle der Kirche ist klar. Die Meinung der Kirche wird in der Öffentlichkeit
geschätzt. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Landeskirchen und den Bun-
desländern wurde in Staat-Kirche-Verträgen geordnet. Alte Verträge, zumeist
aus der Weimarer Zeit, blieben dabei zum Teil bestehen, z. B. eben auch in
der katholische Kirche das Reichskonkordat von 1933.
Die zentralistische DDR sah sich weder als Rechtsnachfolger des Dritten
Reiches noch der Weimarer Republik und erkannte deshalb bereits vorhandene
Staatskirchenverträge und Konkordate nicht an. Es gab zwar eine stillschwei-
gende Duldungspraxis, aber diese begründete keinerlei Rechtsansprüche. Das
führte u. a. dazu, daß z. B. in unserer Kirche Berlin-Brandenburg der Empfang
der finanziellen Staatsdotationen nicht per Überweisung abgewickelt wurde,
sondern die Übergabe dieses Geldes dafür genutzt wurde, um jeweils auch