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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 76 und 77
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Protokoll der 67. Sitzung

Aber es hat natürlich auch damit zu tun, daß in dieser Phase die Breite der
Opposition und des Widerstandes in der entstehenden, sich herausbildenden,
sich verfestigenden Diktatur am stärksten gewesen ist. Danach, nach dem
17. Juni 1953, setzte eine neue Situation ein, die aber natürlich nicht nur
durch den 17. Juni geprägt war, sondern auch durch die Tatsache, daß mit
dem XX. Parteitag der KPdSU in Moskau 1956 und der sogenannten
Entstalinisierung auch die Bedingungen innerhalb der SED andere zu werden
schienen. Gleichzeitig zeigte sich sehr rasch, daß im System der SED-Diktatur
außerhalb der SED die Chancen von Widerstand immer geringer wurden,
soweit er organisierte Formen annahm oder konzeptionell war.

Das änderte sich natürlich. Wir werden das in den folgenden anderthalb Tagen
noch sehen.

Ich darf Herrn Eppelmann jetzt das Wort geben. (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Auch von mir sehr herzlichen Dank an die
Zeitzeugen in großer Achtung vor ihrer Biographie, bei Ihnen, Herr Wolfram,
besonders auch in hoher Achtung vor der Leistungsfähigkeit in Ihrem Alter.
Alle Achtung! (Beifall)

Unterbrechung von 14.23 bis 15.15 Uhr.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Lassen Sie uns zunächst fortfahren mit
einem Vortrag von Dr. Hubertus Knabe „Widerstand und Opposition in den
sechziger und siebziger Jahren“. Danach folgt eine von Professor Alexander
Fischer moderierte Gesprächsrunde von Zeitzeugen ebenfalls aus dieser Zeit.
Zunächst aber Herr Dr. Knabe.

Dr. Hubertus Knabe: Es ist keine beneidenswerte Aufgabe, 20 Jahre
politischer Kritik und Gegenwehr in der DDR, gespiegelt und gebrochen in
Hunderten von unterschiedlichen Biographien, in 30 Minuten Revue passieren
zu lassen. Ich muß mich darauf beschränken, einige wichtige Namen zu
nennen, Konfliktherde und Aktionen anzureißen, und ich hoffe, daß die
nachfolgende Diskussion dann mehr Licht auf die Motivationen, auf die
Erfahrungen und auf die programmatischen Vorstellungen der Akteure von
damals wirft.

Eigentlich hätte es in der DDR gar keine unabhängigen politischen Bestrebun-
gen – so möchte ich sie lieber nennen, nicht „Opposition und Widerstand“ –
in den sechziger und siebziger Jahren mehr geben dürfen, denn die organi-
sierten Gegner der SED waren zuvor allesamt zerschlagen, vertrieben und
gleichgeschaltet worden.

Mit der Schließung der Grenzen in Berlin – das ist die erste wichtige Zäsur für
diese zwei Jahrzehnte – stabilisierte und konsolidierte sich die SED-Herrschaft.
Ohne die Möglichkeit des Wegganges sahen sich die Menschen mehr und
mehr dazu gezwungen, sich mit den Verhältnissen auf irgendeine Weise zu
arrangieren.

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

Auf der anderen Seite konnte das kritische Potential nun aber auch nicht
mehr nach Westen entweichen und zwang die SED zu bestimmten Rück-
sichtnahmen. Eine ähnlich ambivalente Wirkung hatte zehn Jahre später die
Entspannungspolitik, die einerseits der SED-Diktatur auch international zur
Anerkennung verholfen hat, andererseits aber auch neue politische Erwartun-
gen weckte und nicht zuletzt mehr Kontaktmöglichkeiten eröffnete.

Mit der innen- und außenpolitischen Stabilisierung der DDR ging einher,
daß sich unabhängige politische Bestrebungen nun seltener aus einer funda-
mentalen Absage an das SED-Regime heraus formierten, dafür mehr und mehr
aus dem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit des sozialistischen
Systems. Dies lag nicht nur daran, daß Fundamentalopposition immer weniger
Erfolgsaussichten zu haben schien, sondern inzwischen war auch eine neue,
vom Sozialismus geprägte Generation herangewachsen, die nach der Einlösung
der politischen Utopie, der Versprechungen und Verheißungen fragte. Aufge-
brochen ist dieser Widerspruch hunderttausendfach, ausgelöst manchmal nur
durch ein bestimmtes persönliches Erlebnis oder auch durch den Eintritt in eine
neue Lebensphase. Wichtige politische Ereignisse wie die Niederschlagung
des „Prager Frühlings“, das Aufkommen des Eurokommunismus oder auch
die Ausbürgerung Wolf Biermanns verstärkten solche Entfremdungsprozesse
in regelrechten Schüben. Selbst als die Kritiker seit Mitte der siebziger Jahre
wieder verstärkt in den Westen abwanderten, wuchsen gleichsam immer neue
nach. Zeitpunkt, Ausformung und Stationen der Abkehr vom politischen
System der DDR unterschieden sich dabei von Individuum zu Individuum,
waren Teil des jeweiligen biographischen Prozesses, von dem wir vielleicht
nachher noch etwas mehr hören werden.

Unabhängige politische Bestrebungen lassen sich für den Historiker in den
sechziger und siebziger Jahren vor allem auf zwei Feldern nachweisen:
im Schutzraum der Kirchen sowie im Milieu der sozialistisch geprägten
Intellektuellen. Hier gibt es Erklärungen, staatliche Reaktionen, öffentlich
dokumentierte Auseinandersetzungen. Sehr viel schlechter belegt sind dagegen
die Aktivitäten, die nicht im Blickfeld der Öffentlichkeit standen, in Zahl und
Entschiedenheit aber womöglich die erstgenannten um ein vielfaches überra-
gen. Diesen unbekannten Widerstand zu dokumentieren, ist eine vordringliche
Aufgabe der Historiographie, nicht nur, um die ganze Breite der Verweigerung
zu dokumentieren, sondern auch, um den Betroffenen wenigstens im nachhin-
ein Gerechtigkeit und Aufmerksamkeit widerfahren zu lassen. Natürlich gibt
es zwischen diesen drei Feldern Überschneidungen, auf die ich später im
einzelnen noch eingehe.

Zur Kirche: Als einzige von der SED unabhängige Großorganisation stellten
die Kirchen, insbesondere die evangelischen, in den sechziger und siebzi-
ger Jahren das zahlenmäßig größte Potential organisierter gesellschaftlicher
Bestrebungen, die sich, wenngleich in unterschiedlichem Maße, dem Allein-