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wie Robert Havemann oder Rudolf Bahro, die einschneidenden Konsequenzen
einer offen oppositionellen Haltung auf sich zu nehmen. In der Regel
fochten sie ihre Kämpfe mit der Politbürokratie zudem allein aus, statt
eine gemeinsame Front zu bilden. Der einzige breite politische Protest, die
Erklärung gegen die Biermann-Ausbürgerung, konnte deshalb von der SED
durch den differenzierten Einsatz von Druck und Vergünstigungen schnell
wieder neutralisiert werden. Die weitverbreitete Unzufriedenheit, insbesondere
in der jungen Generation, blieb aus diesem Grunde diffus und fand keinen
Kristallisationskern, an dem sie die Form einer offenen Bewegung annehmen
konnte. Durch diese Individualisierung des Protestes gelang es der SED, ihre
Herrschaft in beiden Jahrzehnten weitgehend stabil zu halten.
Allerdings sind die meisten Protestpotentiale, die 1989 das Ende der SED-
Diktatur herbeiführten, in Keimform schon in sechziger und siebziger Jahren
festzustellen: die friedensengagierten Gruppen in den Kirchen, die unzufrie-
denen Intellektuellen, die verbitterte Jugend und die wachsende Zahl von
Ausreisenden. Viele Entwicklungen der achtziger Jahre wurden somit in den
vorangegangenen beiden Jahrzehnten vorbereitet. Diese Potentiale wirkten
jedoch in der Regel weitgehend unabhängig voneinander und begannen erst in
der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zusammenzuwachsen. Die gegenseitigen
Vorbehalte zwischen kritischen Christen, marxistischen Intellektuellen, aufbe-
gehrenden Jugendlichen und desillusionierten Ausreisewilligen erleichterten
deren Neutralisierung durch die SED.
Erst in den achtziger Jahren verbanden sich diese Potentiale zu jener breiten
Oppositionskultur, über die wir morgen sprechen werden, die auch durch
die vielfältigen Verfolgungsmaßnahmen nicht mehr beseitigt werden konnte.
(Beifall)
Gesprächsleiter Prof. Dr. Alexander Fischer: Vielen Dank, Herr Knabe,
für Ihre umfassenden und in ihrer gedanklichen Stringenz ausgezeichneten
Ausführungen, die uns einen vorbildlichen Ausgangspunkt für die jetzt an-
schließende Diskussionsrunde hier im Podium geben. Ich würde vorschlagen,
daß Sie vielleicht nachher in die Fragerunde der Abgeordneten und Sachver-
ständigen mit einbezogen werden.
Für die folgenden anderthalb Stunden schlage ich vor, daß wir die Benen-
nung dieser öffentlichen Anhörung genau nehmen. Sie heißt „Motivationen,
Möglichkeiten und Grenzen widerständigen und oppositionellen Verhaltens“.
Wir haben soeben eine Basis für die Diskussion erhalten. Ich schlage vor,
nach einer ganz kurzen Vorstellungsrunde in einem Dreierschritt die Dinge
aufzuarbeiten und erst einmal über die Motivationsprobleme, dann über die
Möglichkeiten und schließlich über die Grenzen zu diskutieren.
Ich bitte zunächst einmal Herrn Pfarrer Richter und Herrn Eisenfeld, Herrn
Kollegen Bierwisch und dann Herrn Borkowski und Herrn Molt, sich ganz
kurz vorzustellen.
Bitte, Herr Eisenfeld.
Bernd Eisenfeld: Ich bin Jahrgang 1941, gebürtiger Vogtländer. Es soll ein
Lexikon geben, das den Vogtländern nachsagt, sie seien ein kleines zänkisches
Bergvolk. (Heiterkeit)
Vielleicht war das der Ausgangspunkt, daß ich dann 1964 Berufsverbot erhielt
als sogenannter Rädelsführer bei den Bausoldaten; vielleicht war das der
Ausgangspunkt, daß ich mich 1968 vehement für den „Prager Frühling“
einsetzte und dann auch schon im Frühjahr operativ vom MfS entsprechend
bearbeitet wurde. Ich habe gegen die Intervention durch die Verteilung von
Flugblättern meinen Protest geltend gemacht, und ich habe auch unter dem
Dach der Kirche versucht, mich einzubringen.
Ich will ganz kurz den Zeitraum abstecken, in dem ich dann auch glaubte,
öffentlichkeitswirksam werden zu können. Das begann 1964, als ich einen
Brief an die Vorsitzende des Bundes Demokratischer Frauen in Österreich
richtete, mit Adresse und Absender, in dem ich das Grenzsystem der DDR als
grundrechtswidrig charakterisierte und auch Grenzsoldaten, die auf Flüchtlinge
schießen, als Verbrecher bezeichnete. Das war 1964, ein offener Brief
sozusagen, der aber nicht in die Hände des MfS fiel.
Wir hatten 1975 ein Treffen von Bausoldaten in Leipzig über das Thema
Menschenrechte. Dabei ging es nicht nur um friedenspolitische Aktivitäten,
sondern auch um Menschenrechtsfragen. Ich will Ihnen kurz zitieren aus einem
Bericht des MfS: „Sein Auftreten war ausgesprochen provokativ. Er erklärte,
daß der Vortragende die Situation zu rosig geschildert habe, obwohl im
Referat Angriffe gegen die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihre Partei,
gegen die sozialistische Wehr- und Bildungspolitik gemacht und die DDR
der Verletzung der Menschenrechte bezichtigt wurde. Er bezichtigt die DDR
der ständigen und bewußten Verletzung der Menschenrechte, insbesondere
solcher Rechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Freiheit der Wahl
des Wohnortes, Freizügigkeit für Reisen ins Ausland, auch ins sozialistische,
und Bildung. Dabei erklärte er, daß die Verfassung der DDR eine Farce
sein, die durch die Gesetze und internen Anweisungen der verschiedensten
Ministerien unterhöhlt und zum Teil außer Kraft gesetzt werde. Er kritisierte
die Kirche, zu wenig gegen die Staatsmacht aufzutreten und für den Aufbau
eines demokratischen Sozialismus einzutreten. Er bejahte die Möglichkeit,
im kirchlichen Raum seine Meinung frei äußern zu können, möchte aber
auch noch andere Möglichkeiten suchen, öffentlichkeitswirksam zu werden.
Dazu gehören nach seiner Meinung Mitarbeit in Schiedskommissionen,
gesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen, Elternausschüssen und
ähnliches.“
Im November wurde ich praktisch „verabschiedet“ durch einen Abschlußbe-
richt, in dem u. a. steht: „Der E. trat auf den Tagungen der Bausoldaten provo-
katorisch gegen die Politik unserer Partei und Regierung auf. Er beschuldigt