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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 128 und 129
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Protokoll der 67. Sitzung

und danach wird dann unser Kollege Gert Weisskirchen mit Zeitzeugen aus
dieser Zeit über die Problematik ins Gespräch kommen.

Zunächst also Herr Ammer.

Thomas Ammer: Ich muß einige organisatorische Vorbemerkungen machen,
damit das, was ich sage, verständlicher wird.

Ad eins: Ich bin Mitarbeiter des Sekretariats dieser Enquete-Kommission
und nicht Berichterstatter für die Gruppe 6. Das ist in der „Thüringer
Landeszeitung“ von heute falsch wiedergegeben.

Ad zwei: Die Textfassung, die draußen verteilt wird, entspricht nicht genau
dem, was ich hier vortrage. Da ist zum Teil mehr enthalten, zum Teil weniger.
Es ist also keine wörtliche Wiedergabe.

Eine weitere Vorbemerkung: Es möge mir bitte nachgesehen werden, daß ich
die sehr vielfältige Opposition, den sehr vielfältigen Widerstand in Jena nun
nicht detailliert darstelle, so daß sich vielleicht nicht jeder, der von den
hier in diesem Raum Anwesenden daran beteiligt war, darin wiederfindet.
Vollständigkeit ist auf Grund der Masse des Materials gar nicht möglich. Ich
habe festgestellt, daß man schon, wenn man über Opposition und Widerstand
nur in einer solchen Stadt schreiben will, einen Wissenschaftler mehrere Jahre
damit beschäftigen kann.

Schließlich noch eine letzte Vorbemerkung: Ich bitte es mir nachzusehen, wenn
ich nicht ganz davon abstrahieren kann, daß ich einen Teil der Vorgänge, über
die ich hier spreche, selbst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre miterlebt
habe, mich also auch gelegentlich in die Rolle des Zeitzeugen hineinbegeben
werde.

Die eigentlichen Ausführungen zur Sache möchte ich mit einer kurzen
Kommentierung zu einer Vorlesung von Wolf Biermann einleiten, die er
vor genau einem Monat hier an der Universität gehalten hat. Da liest man
in dem Text, der in der „Zeit“ vom 3. März veröffentlicht worden ist,
ein sehr freundliches Urteil über Jena, „daß es hier in Jena die einzige
stabile Opposition in der DDR-Provinz“ gab. So angenehm sich dieses
Urteil für Jenenser anhören mag – das Wort „einzige“ trifft natürlich nicht
zu; das muß man auch in aller Offenheit sagen. Es gab andere Städte, in
denen das ähnlich gelaufen ist – Leipzig, Dresden, Rostock –, und es gab
Kleinstädte, in denen über kurze Zeiträume sehr viel geschehen ist und in
denen große Widerstandsgruppen über einige Monate, manchmal auch einige
Jahre existierten, die dann in sehr tragischer Weise in den fünfziger Jahren
zugrunde gingen, zum Teil auch durch Todesurteil, wie wir es heute vormittag
schon gehört haben.

Es gibt noch ein zweites, weniger freundliches Urteil in dieser Vorlesung
Biermanns, dem ich hier widersprechen möchte, obwohl es nicht speziell
auf Jena bezogen ist. Ich will das einmal zitieren, weil man dagegen etwas

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

sagen muß. Er sagte da: „Nein, es war wahrhaftig nicht eure Schuld,
daß diese Tyrannei zusammenbrach. Wenn der Große Bruder im Osten nicht
gekippt wäre, würdet ihr heute noch ’Heil Honecker’ schreien. Ihr habt eure
Unterdrücker nicht verjagt.“

Hier muß man sagen, Biermann hat wohl etwas verwechselt. Die DDR-Bürger
haben natürlich den Großen Bruder nicht verjagt; den haben sie auch gar nicht
verjagen können. Die Jenenser werden wissen, daß da oben auf dem Jägersberg
eine ganze Panzerdivision lag, und wer wollte die denn wohl verjagen?

In dem Moment aber, als dieser Große Bruder sein Desinteresse an der DDR
sehr deutlich erkennen ließ – das war etwa 1988/89 –, haben die Bürger
der DDR ebendiese ohne ihren russischen oder sowjetischen Schutzschild
existierende Tyrannei sehr wohl verjagt. Das sollte man auch nicht vergessen,
und Biermann hat vielleicht allzusehr nur die Anpasser gesehen, die hier eine
Rolle gespielt haben.

Jena war nun tatsächlich ein Zentrum stabiler Opposition zunächst in der
SBZ und dann in der DDR, vor allem in den Jahren von 1947/48 bis
gegen Ende der fünfziger Jahre und dann wieder vom Ende der sechziger
Jahre bis zum Sturz des SED-Regimes. Man kann über die Gründe für
diese besondere Rolle Jenas spekulieren: geistige Traditionen, die in das
19. Jahrhundert zurückreichen, das Nebeneinander von einer alten und für
Jena ziemlich großen Universität und traditionsreichen Großbetrieben – Zeiss,
Schott, Jenapharm – mit hochqualifizierten, selbstbewußten Belegschaften,
und das in einer mittleren Stadt mit in den fünfziger und sechziger Jahren
noch weit unter 100.000 Einwohnern, schließlich auch die Anziehungskraft
des Oppositionszentrums Jena, das Ende der vierziger Jahre entstanden war
und das immer wieder, eben weil es in der DDR bekannt war, Zuzügler anzog
und sich auf diese Weise selbst regenerierte.

Ich werde im folgenden versuchen, ganz grob zu systematisieren, wie man die
oppositionellen und widerständigen Aktivitäten in Jena einteilen könnte.
In der Anfangsphase – sie geht, wie wir heute schon gehört haben, erst einige
Jahre nach Kriegsende los, nach meinem Eindruck etwa 1947/48 – ging es
um die Verteidigung von Freiräumen und Freiheiten, die mit dem Ende des
Naziregimes erst einmal überhaupt wieder zur Verfügung standen und natürlich
sukzessive dann bald eingeschränkt wurden: Freiheit der Meinungsäußerung,
Publikationsfreiheit, Freiheit von Forschung und Lehre, studentische Selbst-
verwaltung, Selbständigkeit der nichtkommunistischen Parteien.

In dieser Zeit über fünf Jahre von 1947/48 bis Anfang der fünfziger
Jahre konnten für oppositionelle Aktivitäten legale Institutionen teilweise
noch genutzt werden – die nichtkommunistischen Parteien, akademische
Einrichtungen, Universität, Studentenrat usw. Verbote, Verhaftungen und
andere Repressionsmaßnahmen haben dem dann Anfang der fünfziger Jahre
ein Ende gemacht.