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Wir befassen uns mit der Erhellung dessen, was totalitäres System war und
was seine Ursache war, die Denkweise, Verhaltensweise, ja dieses verheerende
Gefolgschaftsdenken, dieses immer wiederkehrende Denunziantentum und all
die gesellschaftlichen Mechanismen, die totalitäres Denken und totalitäre
Systeme befördern. Da das Interesse der Öffentlichkeit daran nicht gerade
groß und im Sinken begriffen ist in den 5 neuen Bundesländern, das ist
auch mir klar, und auch die Gründe dafür, daß sie zu suchen sind in den
sozialen Nöten, ja, verstärkt auch durch die Vorsicht, über sich schon wieder
die alten Kader zu sehen. Und insofern stelle ich durchaus die Frage an die
Behörde von Jochen Gauck, hier vertreten durch David Gill: Wie steht es
mit den Prioritäten? Wo liegen die Prioritäten für die Einsichtnahme in die
Unterlagen all derer, die sich in die wirtschaftliche Macht gerettet haben, von
der politischen hinein in die wirtschaftliche?
Es gibt auch einen anderen Grund. Durch diese sozialen Nöte wird auch beför-
dert eine zum Teil schon wieder aufkommende Verklärung der Vergangenheit,
so etwas hatten wir nach 1945 auch. Und weil niemand den Menschen so
recht helfen kann und sie sich alleine gelassen sehen, eine Abwendung von
der Demokratie und eine Hinwendung zur äußersten Rechten. Und umso
notwendiger erscheint es mir, die Vergangenheit nicht Vergangenheit sein
zu lassen, sondern lebendig zu halten, in Erinnerung zu halten. Ich möchte
dies nicht wieder geschehen sehen wie etwa nach 1945 im östlichen Teil
Deutschlands, wo die Geschichte des Widerstandes sehr einseitig geschrieben
wurde, insofern vermag ich auch nicht Herrn Professor Schroeder zu folgen,
der irritiert scheint über die Vielfalt der Gruppen und nach Profilierung sucht
im Sinne etwa von Spezialisierung und Vermeidung von Doppelarbeit. Nein,
Pluralismus tut not. Je vielgestaltiger und aus unterschiedlichen Blickwinkeln
herangehend man sich der Vergangenheit nähert, um so näher wird man auch
der Wahrheit kommen. Und ich möchte bei dieser Aufarbeitung sehen Karl-
Wilhelm Fricke ebenso wie Wolfgang Rüddenklau.
So ich um etwas bitte, ist meine Bitte an die Abgeordneten des Bundestages,
uns zu helfen. Wir stehen echt alle in finanziellen Nöten. In Berlin wäre vieles
schon gewonnen, würde uns das Haus 1 in der Normannenstraße unentgeltlich
zur Verfügung gestellt. Und mögen auch die finanziellen Nöte noch so
groß sein und der Haushalt noch so eng sein, die historische Aufarbeitung
zweier totalitärer Systeme in Deutschland darf darunter nicht leiden.
Bürgerinitiative Vergangenheitsbewältigung der Stadt Saalfeld, Herr
Morgenroth: Mit mir zusammen sind gekommen Bernd Backer und Josef
Rode, die dort in der Mitte sitzen. Wir sind eingeladen worden aufgrund eines
längeren Briefes, den wir der Enquete-Kommission, dem Innenministerium
in Bonn und dem Innenministerium in Erfurt übersandt haben, ein offener
Brief mit 300 Unterschriften ungefähr. Ich glaube, daß die Arbeit, die Sie
hier machen, sehr wichtig ist, aber Sie sind vielleicht nicht das Gremium,
das uns in unserem Bemühen weiterhelfen kann. Ich will Ihnen trotzdem
unser Problem nennen. Wir sind gewissermaßen eine Bürgerinitiative der
zweiten Generation, die es erst seit ungefähr einem halben Jahr gibt. Wir
haben uns gebildet, um eine ganze Reihe Eingaben von frustrierten Mitbürgern
aufzunehmen und zu sammeln, die die Hoffnung verloren haben, daß auf einer
offiziellen Schiene das, was sie bewegt, richtig bearbeitet werden kann, sie
sehen die Kommission für Korruption und Amtsmißbrauch und dergleichen
irgendwo in Watte laufen, daß die Arbeit sich verfangen hat, in vielen auch
nebensächlichen Aktivitäten.
Ich möchte Ihnen gern, damit Sie verstehen, wovon ich rede, ein paar
solcher Fälle nennen, die wir in diesem Brief auch mitgeteilt haben. Es
geht zum Beispiel um einen Mann, der Kampfgruppenkommandeur von
Saalfeld war, gleichzeitig Leiter der Urania, Erwachsenenbildung, der vor
der Wende und speziell in dieser zweiten Stelle sehr viel zur Verbildung
und zur Unterdrückung von Umweltgruppen und dergleichen beigetragen hat
in der öffentlichen Diskussion. Dieser Mann ist dann nach der Wende ganz
schnell von der Sabelschule übernommen worden als einer ihrer Lehrer, hat
dann dort gearbeitet. Er hat sich dann nicht ewig halten lassen, jetzt ist er
in Pension, aber was der Mensch auf der Straße sieht, dieser Herr fährt nun
in einem dicken schwarzen Audi durch die Gegend, wo andere arbeitslos
sind. Und die Leute fragen auch, ist es eigentlich gerecht, daß dieser Mann
mit dieser Vergangenheit eine dicke Pension bezieht, während andere Mütter,
alleinerziehend, irgendwo sehen müssen, wie sie ihre Kinder durchkriegen, sie
nicht auf den Schulausflug mitschicken können, weil sie keine Arbeit haben.
Das ist ein Fall, der die Leute verbittert. Oder der Fall einer Kaderleiterin
eines Krankenhauses, die dem MfS Zugriff zu den Akten gewährt hat. Sie
konnte nicht anders, sie hätte sonst ihre Existenz aufs Spiel gesetzt, sagt
sie. Aber wessen Existenz sie sonst noch aufs Spiel gesetzt hat durch die
Herausgabe, danach fragt sie nicht. Und von dem neuen Geschäftsführer oder
technischen Direktor des Krankenhauses, der aus den alten Bundesländern
gekommen ist, wird sie übernommen. Der Leiter der Abteilung Inneres beim
Rat des Kreises Saalfeld arbeitet vermutlich bis heute, wenn er nicht in
den letzten Tagen entlassen worden ist, noch immer im Landratsamt als
Mitarbeiter in einer wichtigen Position. Solche Fälle sind in diesem Brief
geschildert, und dann noch sind fast alle ehemaligen Betriebsleiter und jetzigen
Geschäftsführer von einflußreichen Saalfelder Betrieben wie der Maxhütte
und der Wema benannt. Es ist fast durchgängig, alle großen Betriebe, Zeiss
nicht zu vergessen, haben ihre Leute behalten. Das sehen die Leute, und
ich würde auf die Frage, die heute früh gestellt worden ist, nicht sagen,
das Interesse an der Aufarbeitung der Vergangenheit läßt nach, sondern der
Glaube läßt nach, daß es auf demokratischem Wege möglich sein könnte,
diese Vergangenheit aufzuklären und einer gerechten Beurteilung zuzuführen.