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müssen, um an Arbeit zu kommen, ich war erstaunt, wie viele westdeutsche
Produzenten sich wieder zu Deutschland bekennen, weil sie sagen, ich kann
zwar mit der heißen Nadel schnell irgendwo etwas nähen lassen, aber wenn es
das Topsacko sein muß, und wenn das nur 100-stückweise gefertigt wird, und
wenn es auch noch schnell gehen soll, das ist wie früher in der DDR. Auch
heute kommen die Gewebe nicht so planmäßig wie sie sollen, aber der Auslie-
fertermin ist der gleiche geblieben, und ich muß dem Kunden gegenüber
pünktlich sein, sonst will der nie wieder von mir ein Kostüm kaufen. Also
werden die Fristen für den Produzenten immer kürzer und das kann er im
Ausland nicht absichern. Sehr viele kommen jetzt und sagen, wir brauchen
kleine flexible Einheiten, und das ist natürlich die Chance für ein mittelständi-
sches Unternehmen, auch wenn es zur Bekleidungsindustrie gehört.
Noch ein Wort zur Marktpräsens. Wir haben es deutlich spüren müssen, wie
schwierig es ist, von heute auf morgen in einen anderen Markt zu kommen. In
Ostdeutschland ist es sicherlich auch nicht einfach, aber hier kannte man mich
und hatte durch den Firmennamen ein bestimmtes Interesse, und es war auch
relativ einfach, Kunden zu finden. Ich sage relativ einfach, ohne arrogant wir-
ken zu wollen. Wahnsinnig schwierig war es für mich, in Westdeutschland
überhaupt einen Agenten zu finden, der bereit ist, meine Kollektion erst einmal
in sein Verkaufslager zu nehmen, weil westdeutsche Unternehmer einfach gar
kein Vertrauen in ein ostdeutsches Unternehmen haben. Der Unternehmer im
Westen sagt, ich schmeiße jetzt ein anderes Unternehmen raus, mit dem ich
seit zehn Jahren hervorragende Beziehungen habe, aber woher weiß ich denn,
ob du nächstes Jahr überhaupt noch existierst. Davon ganz abgesehen, daß in
erster Linie schon ein bestimmtes Mißtrauen gegenüber neuen Produkten vor-
handen ist, was erst mit dem Aha-Effekt beseitigt wird, wenn man sich das
Produkt ansieht. Aber man muß erst einmal die Bereitschaft haben, daß das
Produkt angesehen wird. Wir haben uns darum bemüht, bei „Quelle“ in einige
Aufträge hineinzukommen. Ich weiß, daß „Quelle“ von knapp 700 auf 150
Lieferanten schrumpft, und es ist also fast ein Wunder, daß ich trotzdem die
Tür geöffnet bekam und bei „Quelle“ nachfragen durfte, ob ich einen Auftrag
bekomme. Und ich muß jeden Tag neu fragen, wann kommt nun der Mantel
von Lagerfeld, damit ich den auch wirklich produzieren kann. Ich muß jeden
Tag neu sagen, hier bin ich mit meiner Kollektion und es ist nicht das durch-
schnittliche Produzent-Kundenverhalten. Es ist schon wahnsinnig, erst einmal
überhaupt eine Chance zu bekommen, auch nur ein Kostüm in irgendeinen
Katalog zu bekommen. Es ist sicherlich unsere Aufgabe, nur, wir haben ja so
verdammt wenig Zeit, das alles zu tun und so verdammt wenig Geld und Luft,
das alles durchzustehen. In dem Rahmen habe ich feststellen müssen, daß ich
im Ausland eine wesentlich bessere Aufgeschlossenheit gefunden habe, auch
Bereitschaft uns aufzunehmen, wertfrei, ob ich nun aus dem Westen oder aus
dem Osten bin. Ein englischer Unternehmer sagte, das Kostüm gefällt mir und
ich kaufe das jetzt bei Dir. Wir mußten jetzt auf die Messen gehen, auch dort,
wo wir es uns eigentlich nicht leisten konnten. Wir mußten Geld in Werbung
stecken, obwohl wir es uns nicht leisten konnten. Sonst könnten wir heute
nicht sagen, daß wir ein Vertriebsnetz außerhalb von Deutschland aufgebaut
haben, was uns in einem bestimmten Umfang doch gewährt, daß wir schritt-
weise und erfolgreich arbeiten können.
Ein letztes Wort zur Auslandsfertigung und weiteren Inlandfertigungen: Auch
wir kommen nicht umhin, ins Ausland zu gehen, und im Ausland zu fertigen,
weil einfach auf Dauer ein deutscher Export ins Ausland nicht funktionieren
kann. Im europäischen Ausland ist es kein Problem, da gibt es keine Zölle und
keine Steuern. Gehe ich aber nach Osteuropa, habe ich ein Riesenproblem,
überhaupt zu exportieren, und um dort meine Ware noch zu vernünftigen Prei-
sen anzubieten. Verlagere ich die Produktion nach Osteuropa und verkaufe
dann dort, wird es mit Sicherheit einfacher. Wir werden die eigene Produktion,
die in Europa verkauft werden soll, aber weiter in Deutschland belassen. Wir
werden in anderen Ländern, ich z. B. in Tschechien, in Estland, in Rußland
und in Weißrußland, soweit Lukaschenkow nicht doch noch einen Bürgerkrieg
verursacht, fertigen, um die Ware, die dort gefertigt wird, dort zu verkaufen.
Wir werden dort mit entsprechenden Preisen handeln können, so daß wir dann
unsere Arbeit hier in Deutschland subventionieren können, damit unsere Pro-
duktionseinheit hier nicht noch weiter schrumpft, sondern sich wieder aufbau-
en kann.
Gesprächsleiter Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Frau Lotzmann,
ganz herzlichen Dank für ihren engagierten und spannenden Bericht. Ich glau-
be, wir freuen uns alle schon auf die Diskussion, für die es in Ihrem Bericht
eine Menge Ansatzpunkte gibt. Vorher wollen wir aber noch Herrn Werner
anhören.
Bernd Werner: Mein Name ist Bernd Werner. Mit diesem Namen firmiere
ich als Bernd Werner Bürohaus und Spielzeugland GmbH; d. h. ich bin ge-
schäftsführender Gesellschafter. Ich bin Jahrgang 1939 und habe das Geschäft
damals 1961 als jüngster Gewerbetreibender in Leipzig übernommen. Über-
nommen von meinen Großeltern, die dieses Geschäft 1913 in Leipzig gegrün-
det haben. Und an der gleichen Stelle habe ich bis 1990/91 weiter gehandelt,
auch heute noch. Es ist auf und ab gegangen, es kam der Zusammenbruch
1945. Meine Großeltern haben das Geschäft über die Wirren der Nachkriegs-
zeit gerettet. Dann kam die Zeit des 17. Juni 1953, wo es sehr finster für pri-
vate Gewerbetreibende in unserem Land aussah. Später wurde wieder ein
Lichtblick am Horizont gesehen und ich stieg, wie gesagt, 1961 in das Ge-
schäft ein, und bekam damals meinen Gewerbeschein und habe dieses Ge-
schäft als Büro- und Spielwarengeschäft voll privat bis 1972 weitergeführt.
1972 wurde ich Kommissionshändler. Ich möchte ganz laut sagen, das
Schlechteste war es nicht. Ich habe bloß ein bißchen spät angefangen. Wir
hatten als private Händler überhaupt keine Produktion. Wir hatten auch keine
Fertigung. Irgendwann einmal war das Kapital „aufgefressen“ bzw. wir konn-
ten kein neues Geschäftskapital anhäufen. Der Betrieb hat sich natürlich vor-
wärts entwickelt, aber es war kein Kapital mehr vorhanden. Der Kommissi-
onshandel hat es uns dann ermöglicht, doch vernünftig weiterzumachen. Und