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Wahlperiode 13, Band III/1, Seiten 62 und 63
62
Protokoll der 25. Sitzung

sammenbruch erlebt, als unser Staat zusammenbrach. Ich war froh darüber,
aber ich befürchte, und darüber bin ich nicht froh, daß wir Dingen entgegen-
schlittern, die uns irgendwann einmal aus der Hand gleiten. Hier appelliere ich
an Sie, tun Sie alles und machen Sie Ihre Kollegen in Bonn munter. Es ist
schlimmer als Sie glauben. Die breite Meinung der Bevölkerung ist schlecht
und das hat mit der „grünen Wiese“ nichts zu tun. Die „grüne Wiese“ macht
uns zu schaffen. Immerhin ist es so, daß wir 60 % aller Einkaufsmöglichkeiten
auf der „grünen Wiese“ haben, in Westdeutschland sind das 30 %. Unsere
Einkaufskraft ist viel geringer als die im Westen. Es besteht ein arges Mißver-
hältnis.

Das Schlimme ist, daß am Anfang Fördermittel für den Aufbau von Gewerbe-
gebieten verschleudert wurden. Auf diesen Gewerbegebieten wurden Handels-
einrichtungen mitgefördert. Große Unternehmen wie C&A u. a. haben die För-
dergelder abkassiert. Wir haben nichts bekommen. Die vielen kleinen Dinge
haben im Endeffekt große Probleme hervorgerufen. Ich danke Ihnen fürs Zu-
hören.

Gesprächsleiter Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Herzlichen Dank,
Herr Werner. Diese Anhörung dient dazu, daß die Partner in Bonn ein bißchen
besser erfahren, was hier in denen neuen Bundesländern passiert. Insofern sind
wir Ihnen sehr dankbar, daß Sie uns so offen und unkompliziert sagen, was Sie
für Probleme haben und wie Sie damit leben. Wir wissen aber auch, daß die
„grüne Wiese“ eben nicht in Bonn gepflastert wird, sondern hier, und daß wir
eine gestaffelte Verantwortung haben. Insofern denke ich auch, daß uns die
Anhörung hier hilft. Ich bin mir sicher, daß auch der Beitrag von Herrn Fell
uns in dem Sinne helfen wird.

Wolfgang Fell: Vielen Dank, Herr Vorsitzender, meine sehr verehrten Damen
und Herren. Es ist mehr als Routine, wenn ich Ihnen zunächst einmal dafür
danke, daß Sie sich mit Ihrer Arbeit, den ganz besonderen Problemen des
Mittelstandes zuwenden, und daß Sie mich eingeladen haben als Präsident der
Industrie- und Handelskammer Halle/Dessau, hierzu ein paar Anmerkungen zu
machen.

Ich möchte mich Ihnen kurz vorstellen. Mein Name ist Wolfgang Fell. Ich bin
verheiratet, habe zwei Söhne, gebürtiger Hallenser, Schulabschluß Polytechni-
sche Oberschule, anschließend die Lehre als Koch und Kellner in Halle, habe
anschließend in Leipzig Gaststätten- und Hotelwesen studiert, 1980 aus dem
volkseigenen Sektor ausgestiegen und bin nun in der private Wirtschaft tätig.
Als damaliger Kohlenhändler in Halle hatte ich einen Fuhrpark von 1953,
LKW’s mit einigen Anhängern aus dem Jahre 1936, heute ist der Betrieb total
modernisiert. Ich bin für meine Kollegen als Vorsitzender des mitteldeutschen
Handelsverbandes für Brennstoffe, Mineralöle im Wärme-Service verantwort-
lich für die Händler in Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg, Präsident der
Industrie- und Handelskammer Halle/Dessau und als Vizepräsident des Deut-
schen Industrie- und Handelstages in Bonn tätig.

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Mittelstand in den neuen Bundesländern

An wen kann man, an wen soll man nun denken unter der Überschrift Mittel-
stand in den neuen Bundesländern? Dies ist eine wichtige Frage. Die andere
wichtige Frage ist dann sicherlich, wie erlebt der Mittelstand den noch immer
turbulenten Um- und Aufbau der Wirtschaft in den neuen Bundesländern?
Wenn ich also der Frage nachgehe, wen sollte man in den Blick nehmen, dann
denke ich zunächst einmal daran, daß es auch zu sozialistischen Zeiten noch
eine kleine verschworene Gruppe von Selbständigen gegeben hat. Ich möchte
sie vielleicht die Alt-Selbständigen nennen, und zu dieser Gruppe zähle ich
selbst. Wie gesagt, im Jahr 1980 habe ich eine auskömmliche und sichere
Stellung als Großgaststättenleiter aufgegeben und bin Brennstoffhändler ge-
worden. Ich verrate Ihnen nichts Neues, daß diese Alt-Selbständigen natürlich
mit großen Hoffnungen in die Marktwirtschaft hineingegangen sind. Vielen ist
dieser Sprung in das kalte Wasser auch gelungen. Viele sind aber auch auf der
Strecke geblieben, und darunter namhafte, über 100 Jahre alte, Unternehmen.
Da man sich in den Städten und Dörfern als Selbständige gut kannte, sind dies
immer auch bedrückend menschliche Ereignisse gewesen. Oft stimmten unter
marktwirtschaftlichen Vorzeichen die Standorte nicht mehr. So mancher
Handwerker mit Laden und Werkstatt in der Innenstadt mußte aufgeben. Ganz
entscheidend dürfte aber gewesen sein, daß Selbständigkeit in der sozialisti-
schen Wirtschaft völlig andere unternehmerische Kompetenzen herausgebildet
hatte, als das unter marktwirtschaftlichen Vorzeichen notwendig war. Schlag-
wortartig läßt sich das kennzeichnen mit dem Hinweis, im Sozialismus kam es
darauf an, Ware zu beschaffen, der Verkauf lief von allein. Und jetzt ist es
umgekehrt. War früher der Lieferant der umworbene König, so ist jetzt der
Kunde, der unter allen Umständen und aller Überfülle auswählen kann.

Eine andere Gruppe von neuen Mittelständlern sind sicherlich diejenigen, die
ihre enteigneten Betriebe wieder zurückbekommen haben. Vor allem die Re-
privatisierungen machen bis heute große Probleme. 1990/91 galt der Grund-
satz: alles oder nichts. Die Betriebe mußten also vollständig, hinsichtlich Ge-
bäuden und Grundstücken, und auch der Schulden übernommen werden. Das
hat viele überfordert. Marode Gebäude und Ausrüstungssubstanz, oftmals
ökologisch belastete Grundstücke und Schulden, deren Verzinsung und Til-
gung nicht erwirtschaftet werden konnte.

Eine dritte Gruppe sehe ich dann in den Privatisierungen von Unternehmen.
Eine besonders auffällige Gruppe sind hier viele Bauunternehmen, die sich aus
den Kreisbaubetrieben heraus entwickelt haben. Hier finden wir die größten
Gefahrenpotentiale für Unternehmen und Beschäftigte. In vielen Fällen ist es
nicht gelungen, Vorarbeiter und Mitarbeiter in ihrem Denken aus sozialisti-
scher Zeit herauszuholen und auf Qualität, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit
einzustellen. Wesentlich erfolgreicher sind da die Alt-Selbständigen, kleine
Handwerksbetriebe. Hier können sich die Meister unmittelbar einbringen und
sie wirtschaften daher auch durchweg erfolgreicher als die 50 oder 100 Be-
schäftigte umfassenden größeren Baubetriebe.