Fehler melden / Feedback
dieses Studium galten nämlich spezielle Voraussetzungen, die im Studienplan
fixiert waren. Dazu gehörte „eine dreijährige praktische Tätigkeit vor Beginn
des Studiums (Ausübung einer hauptamtlichen Funktion in der FDJ oder ande-
ren gesellschaftlichen Organisationen oder Tätigkeit im erlernten Beruf in
Verbindung mit aktiver gesellschaftlicher Tätigkeit)“ bzw. „eine mindestens
dreijährige Dienstzeit...in der NVA bzw. in anderen bewaffneten Organen der
DDR“, wie es hieß.14
Ganz offensichtlich auch auf dem Hintergrund der Tatsache, daß es Probleme
gab, gerade in dieser Studienrichtung in bestimmten Disziplinen die Planzah-
len zu erfüllen, ist man dann in den achtziger Jahren auf folgende Veränderun-
gen gekommen: Man wollte Studenten aus anderen Fachrichtungen – Juristen,
Soziologen, Ökonomen – gewinnen für einen Fachrichtungs- und Hochschul-
wechsel an die Universität Leipzig und dort zu dem Ziel führen „Diplomlehrer
für Marxismus-Leninismus.“ Und eine allerletzte Überlegung aus einem Stu-
dienplan von 1989 war die, Absolventen aus verschiedenen Gesellschaftswis-
senschaften, also diplomierte Hochschulabsolventen, nach einem individuellen
Plan nachträglich zu qualifizieren, auch zum „Diplomlehrer für Marxismus-
Leninismus.“15
Alle diese Fragen, die Ausbildung dieser Studenten, ihre Zulassung und ihre
spätere sogenannte Absolventenlenkung – all das befand sich in der Obhut und
unter der Kontrolle der SED und der zuständigen staatlichen Leiter, und zwar
vom Zentralkomitee der SED mit seiner Abteilung Wissenschaften bis hinun-
ter zu den SED-Grundorganisationen und Parteigruppen, vom Ministerium für
Hoch- und Fachschulwesen bis hinunter zu den einzelnen Lehrgruppen. An der
Universität Leipzig existierte für die genannten Fragen eine ständige Arbeits-
gruppe beim Prorektor für Gesellschaftswissenschaften, und auf der Ebene der
SED wurden wiederholt spezielle sogenannte „Parteiaktivtagungen“ nur mit
Wissenschaftlern und Studenten dieser Studienrichtung durchgeführt.
Meine Damen und Herren, so deutlich ich das sage, die Fakten in aller Kürze
und Gedrängtheit, will ich nicht verschweigen und mich daran erinnern, daß
ich nicht wenige Studenten gerade dieser Fachrichtung auch als kritische und
engagierte Partner erlebt habe. Viele von ihnen hatten die Absicht, in ihrer
künftigen beruflichen Tätigkeit, also in dem sogenannten marxistisch-
leninistischen Grundlagenstudium, mit künftigen Studenten über politische,
philosophische, ethische, ökonomische, historische Fragen so zu debattieren
und zu streiten, daß Interessen geweckt, geistige Aktivitäten herausgefordert
und Alltagsprobleme und -sorgen nicht umgangen werden. Sie akzeptierten
sicherlich ganz grundsätzlich das gesellschaftliche System der DDR, aber
wollten ihren Beitrag dazu leisten, es zu verbessern. (Beifall)
- Vgl. Studienplan für die Grundstudienrichtung Diplomlehrer für Marxismus-Leninismus, hrsg. vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen der DDR. Berlin 1982, S. 10.
- Vgl. Studienplan für die Grundstudienrichtung Diplomlehrer für Marxismus-Leninismus, hrsg. vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen. Berlin 1989, S. 18 (maschinenschriftliche Vervielfältigung), S. 19.
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Professor Kiel. Wir
haben jetzt die Chance, an beide Referenten unsere Fragen zu richten. Ich
würde Sie darum bitten, wenn das möglich ist, auch immer gleich zu sagen, an
wen der beiden Herren die Frage geht. Es beginnt Markus Meckel.
Abg. Markus Meckel (SPD): Ich habe zwei Fragen, jeweils eine an beide
Redner: Die erste Frage an Herrn Professor Weiss: Sie haben sehr ausführlich
die Kaderpolitik von der Krippe bis zur Hochschule beschrieben. Ich möchte
nochmal für die Zeit nach 1990 nach den Folgen dieser Politik fragen. Wie
schätzen Sie das ein? Denn das, was Sie beschrieben haben, zeigt ja, daß es
sehr starke Prägungen gegeben hat durch die Ausbildung in der DDR. Wie
bewerten Sie, wie Menschen, die dies alles erlebt, sich zu einem großen Pro-
zentsatz dann auch eingefügt haben in dieses System, fähig und bereit sind,
heute damit umzugehen, gerade in dem Feld, in dem Sie arbeiten, an der Uni-
versität?
Meine zweite Frage, die in diesen Zusammenhang gehört: Wie würden Sie
bewerten – ich weiß nicht, ob Sie selbst an Evaluierungen beteiligt waren, in-
sofern wäre es dann eine Selbstbeurteilung –, wie diese Evaluierungen gelau-
fen sind? Entspricht das Ergebnis Ihren Erwartungen? Kann man – wie oft ge-
schehen – von einem Kahlschlag in der Wissenschaft sprechen? Wie schätzen
Sie diese Entwicklung ein? Das dritte in diesem Zusammenhang an Sie: Sie
sprachen auch von den Benachteiligten, von Erfahrungen, die nicht wieder
aufzuholen sind. Meine Frage: An welchen Stellen, in welchen Bereichen se-
hen Sie heute noch eine Möglichkeit, etwas zu tun? Das wäre wichtig, denn die
Enquete-Kommission hier hat sich vorgenommen, jetzt nicht nur historisch zu
fragen, sondern auch politische Empfehlungen zu geben. Uns wäre deshalb
sehr wichtig, wenn Sie uns dazu etwas sagen könnten.
An Herrn Professor Kiel habe ich die Frage: Sie haben – für mich sehr interes-
sant – uns Aufklärung gegeben über die Lehrerausbildung. Meine persönliche
Frage ist: Wie beurteilen Sie als Zeitzeuge heute selber Ihr damaliges Agieren,
das ja sehr stark eingebunden war in das System, das Sie uns eben analytisch
dargestellt haben? Haben Sie das aus Überzeugung getan? Wo fühlten Sie sich
gelenkt, vielleicht vergewaltigt? Wie können Sie heute damit umgehen? Ich
weiß nicht, ob Sie das beantworten wollen; ich würde auch akzeptieren, wenn
Sie das nicht wollen, weil ich glaube, dieser Beitrag hat uns etwas gebracht.
Aber wenn Sie dazu bereit sind, wäre das, wie ich denke, hilfreich, wenn Sie
auch als Zeitzeuge und nicht nur als Sachverständiger reden würden. Vielen
Dank.
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herr Professor Jacobsen bitte.
Sv. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Adolf Jacobsen: Ich habe zwei Fragen an Herrn
Weiss, eine mehr als Informationsfrage, und die zweite bezieht sich auf die
Folgen dessen, was Sie angedeutet haben.
Erstens: Wir werden uns ja im Rahmen der Enquete-Kommission in erhöhtem
Umfange mit der Frage der Handlungsspielräume auseinandersetzen müssen