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Summen können nur allmählich aufgebracht werden. Die Einführung der
Bildungsförderung nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAFöG) in
den neuen Bundesländern kostete 1994 etwa 456 Mio. DM und erreichte
120.000 Schüler und Studenten, also damit vorläufig eine wesentlich höhere
Quote als in den alten Bundesländern. Für die Erneuerung der Hochschulen in
den neuen Bundesländern standen bis Ende 1995 mindestens 2 Mrd. DM zur
Verfügung. Für die Forschungsförderung wurden bis Ende 1995 ungefähr 500
Mio. DM bereitgestellt. Bis 1997 werden allein für die Schaffung von Studen-
tenwohnraum rund 400 Mio. DM aufgewendet. Die Übergangsfinanzierung,
die bis Ende 1991 den Instituten und Einrichtungen der Akademie der Wissen-
schaften und anderer Akademien zur Verfügung stand, erreichte eine Größen-
ordnung von insgesamt 1,3 Mrd. DM. Für die Forschung und Technologieent-
wicklung in den neuen Bundesländern wurden 1995 insgesamt 1,7 Mrd. DM
eingesetzt.
Ich breche diese Aufzählung ab – man könnte sie fortsetzen –, weil ich nicht
den Eindruck erwecken möchte, die Neustrukturierung von Wissenschaft und
Bildung in den neuen Bundesländern sei allein ein finanzielles Problem. Trotz-
dem scheint es mir wichtig, daß die Transferleistungen und die Finanzierungs-
anstrengungen des Bundes, der Länder, der Kommunen und auch nichtstaatli-
cher Träger hier ein historisches Ausmaß erreicht haben. Mit Geld allerdings
allein wäre nur wenig auszurichten gewesen. Noch sehr viel mehr als die
gigantischen Geldsummen, die ich genannt habe, beeindrucken mich die viel-
fältigen Leistungen, die von Menschen erbracht worden sind, um den Um-
strukturierungsprozeß voranzutreiben. Hier erkenne ich eine echte Gemein-
schaftsleistung des vereinigten Deutschland, die nicht dadurch getrübt wird,
daß es dabei auch menschliches Versagen gegeben hat und gibt. Ich verweise
auf die grundlegende wichtige Arbeit der Bund-Länder-Kommission für Bil-
dungsplanung und Forschungsförderung, des Wissenschaftsrates und der
Kultusministerkonferenz. Die Parlamente der neuen Bundesländer schufen bis
1991 die gesetzlichen Grundlagen für Reformen im Schulwesen. Allein im
Land Mecklenburg-Vorpommern mußten ungefähr 500 Lehrpläne für die
beruflichen Schulen erarbeitet werden. In den anderen neuen Bundesländern
sind vergleichbare Zahlen festzustellen. Die in den Details oft schwierige
Anerkennung der Abiturzeugnisse und anderer Berufsabschlüsse über Länder-
grenzen hinweg konnte geregelt werden. Ganz besonders wichtig ist es mir,
daß es gelang, die Benachteiligtenförderung, die es – wie auch den Beruf des
Sozialpädagogen – in der DDR nicht gegeben hatte, unter Mitwirkung freier
Träger auf eine feste Grundlage zu stellen. Ebenso wichtig finde ich, daß
keiner der ca. 6.500 ausländischen Stipendiaten aus 95 Staaten und der etwa
1.200 im Ausland studierenden Bürger aus den neuen Bundesländern sein
Studium abbrechen mußte.
In der Phase der Umgestaltung wirkten an den Universitäten und Hochschulen
der neuen Bundesländer 630 Gastprofessoren. Daneben wurden 1.450 Lehr-
aufträge und Lehrstuhlvertretungen finanziert, und etwa 370 Gründungsprofes-
soren und -rektoren leisteten Aufbauhilfe an Universitäten und Fachhochschu-
len der neuen Bundesländer. Was die Lehrerschaft und die Wissenschaftler, die
sich in ungewohnte gesellschaftliche Verhältnisse, neue soziale Systeme und
neue Lehrinhalte hineinfinden mußten, in den Jahren der Umgestaltung
menschlich und sachlich geleistet haben, entzieht sich weithin der statistischen
Aufrechnung. Es waren insgesamt Hunderttausende, die sich in völlig neue
Verhältnisse hineinfinden und hineinarbeiten mußten und das auch getan
haben. Wir sollten das nicht übersehen!
Die Freude über schon Erreichtes darf nun allerdings unseren Blick auch nicht
trüben für all das, was erst noch getan werden muß. Manchmal habe ich den
Eindruck, anstelle jedes zufriedenstellend gelösten Problems werden gleich
zehn neue sichtbar. Auch die Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen
der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ wird hier keine Patentre-
zepte vorschlagen, wir werden sie auch heute bei dieser Anhörung nicht ent-
wickeln können. Unsere Anhörung wird aber, da bin ich ganz sicher, deutlich
machen, wo die eigentliche Stärke unserer demokratischen Gesellschaft liegt:
In dieser demokratischen Gesellschaft dürfen Probleme offen benannt, darf
über Lösungsmöglichkeiten diskutiert und auch gestritten werden. Das ist oft
recht anstrengend, macht zugleich aber immer wieder deutlich: Wir alle tragen
Verantwortung. Ruhe ist nicht mehr die erste Bürgerpflicht. Wir brauchen die
Gestaltung unserer Zukunft nicht mehr der Weisheit irgendwelcher ZK-Ge-
rontokraten zu überlassen, sondern sind aufgefordert, uns zu beteiligen, uns
einzumischen, nachzufragen, Vorschläge zu erarbeiten und zu unterbreiten. Ich
hoffe, daß unsere heutige Anhörung, der ich von hier aus ein gutes Gelingen
wünsche, einen weiteren Beitrag zur Überwindung der Folgen der SED-Dik-
tatur auch im Bereich von Wissenschaft und Bildung zu leisten vermag.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte nun den ersten der von uns Ein-
geladenen, Herrn Professor Oskar Anweiler aus Bochum, um seinen Beitrag
zum Thema „Die politische Instrumentalisierung von Bildung und Wissen-
schaft in der DDR und ihre Folgen“. Bitte, Herr Professor.
Prof. Dr. Oskar Anweiler: Das Thema, um das man mich im Einleitungsrefe-
rat gebeten hat – “Die politische Instrumentalisierung von Bildung und Wis-
senschaft in der DDR und ihre Folgen“ –, ist kein neues Thema. Daß Bildung
und Wissenschaft in der DDR politisch instrumentalisiert worden sind, ist
unumstritten; diskutiert und teilweise unterschiedlich beurteilt wird jedoch, in
welchem Ausmaß das geschah, wie die Auswirkungen auf die einzelnen wis-
senschaftlichen Disziplinen oder auf die Schule waren und mit welchen Folgen
wir vielleicht heute noch rechnen müssen. Was ich Ihnen im folgenden vortra-
gen möchte, beruht auf einer über dreißigjährigen wissenschaftlichen Beschäf-
tigung mit der Bildungspolitik und der pädagogischen Entwicklung in den
ehemals kommunistisch regierten Staaten Osteuropas, vornehmlich der So-
wjetunion, Polens und der DDR. Ich erwähne das, weil es keine isolierte Ent-
wicklung in dem zweiten deutschen Staat gegeben hat, und daß deswegen viele