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Wir haben bereits einmal geprüft, daß 100.000 Reisen im Jahr uns ca. 30 bis
35 Millionen Valutamark kosten würden. Selbst wenn dies ökonomisch nicht
möglich sein wird, gehen wir bislang von einer schrittweisen Erweiterung aus.
Zur Zeit nehmen wir aus dem NSW-Tourismus ca. 7 Millionen Valutamark ein
und geben ca. 1,2 Millionen Valutamark aus. Ich schlage deshalb folgendes
vor:
- Der Zentralrat der FDJ und die zuständigen staatlichen Organe werden be-
auftragt, die ökonomischen und politischen Voraussetzungen zu prüfen, wie
der Jugendtourismus in das kapitalistische Ausland erweitert werden kann.
[...] Es bleibt dabei, daß solche Reisen ausschließlich auf Beschluß der FDJ-
Leitungen vergeben werden (hohe Preise, aber kein öffentlicher Verkauf). - Sollte eine Einschränkung des Reiseverkehrs in Betracht gezogen werden,
sehe ich vor allem folgende Probleme: - [...]
- Eine Einschränkung oder Abschaffung des Jugendtourismus ohne gleich-
zeitige Einschränkung des privaten Reisens halte ich für unmöglich, weil
dies die Jugend diskriminiert und sie noch mehr aufbringt, was der Gegner
massiv nutzen wird. Außerdem führt dies zu starkem Vertrauensverlust Ju-
gendlicher zu ihrem Jugendverband. - [...]
- Da mittlerweile auch die Reisen nach Ungarn zur Flucht genutzt werden,
muß entschieden werden, ob gegenüber Ungarn nicht neue Visabestimmun-
gen geschaffen werden müssen (analog SFRJ). Unsere bisherigen öffentli-
chen Erklärungen zu diesem Thema werden jedoch dann als Argumente ge-
gen uns verwandt. Zugleich bedeutet dies auch Einschränkungen des Rei-
sens nach Bulgarien und Rumänien (Transit), da alle Bahnreisen durch Un-
garn führen. - Jede Einschränkung des Jugendtourismus führt außerdem international zu
riesigen Autoritätsverlusten der FDJ, was ihren Einfluß in der internationa-
len Jugendbewegung mindert. [...]“22
7. Der „Kader“ im Herrschaftssystem der SED
Der Begriff „Reisekader“ gehört zu jenen Begriffen, die es in der offiziellen
DDR-Sprache an sich nicht gab. Er findet sich zumindest nicht in den ein-
schlägigen Nachschlagewerken. Weder in den verschiedenen Ausgaben von
Meyers Lexikon, das vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig herausge-
geben wurde, noch in den vom SED-Parteiverlag Dietz publizierten Nach-
schlagewerken findet sich dieses Stichwort. Selbst im DDR-Duden war das
- SAPMO-BArch, ZPA, DY IV 2/2.039/243, Büro Krenz, Schreiben von Eberhard Aurich an Egon Krenz vom 17.9.1989, Bl. 1 ff.
Wort „Reisekader“ nicht verzeichnet. In den offiziellen Nachschlagewerken
finden sich jedoch die Begriffe „Kader“, „Kaderarbeit“ und „Kaderpolitik.“
„Kader zeichnen sich vor allem aus durch: unbedingte Treue zur Arbeiterklas-
se, ihrer Partei und zum Marxismus-Leninismus sowie ihren konsequenten
Kampf um die Erfüllung der Beschlüsse; Stolz auf die Errungenschaften des
Sozialismus, Liebe zur sozialistischen Heimat, unerschütterliche Freundschaft
mit der KPdSU und den Völkern der Sowjetunion und Treue zum proletari-
schen Internationalismus; fundiertes, anwendungsbereites Wissen, kompro-
mißlosen Kampf gegen alle Erscheinungsformen der bürgerlichen Ideologie;
Parteilichkeit, Sachkenntnis, Disziplin und Schöpfertum, Bescheidenheit und
Vorbildwirkung in der Arbeit und im persönlichen Leben, Entfaltung von Kri-
tik und Selbstkritik...“, hieß es in der 1988 erschienenen siebenten vollständig
überarbeiteten Auflage des Kleinen Politischen Wörterbuchs. Nach Stalin ent-
schieden Kader alles. Das hieß, die richtige Kaderpolitik war die Grundvoraus-
setzung für den erfolgreichen Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. In die-
sem Sinne waren für Entscheidungen in der Kaderarbeit und der Kaderpolitik
prinzipiell die zuständigen Parteigremien der SED verantwortlich. Nur ein ver-
schwindend geringer Teil der Kader war nicht Mitglied der herrschenden Par-
tei. Die Nicht-SED-Mitglieder wurden allerdings ebenfalls nach Parteige-
sichtspunkten ausgewählt.
8. Dienstreisen ins sozialistische Ausland (SWS)
Es wäre ein Irrtum anzunehmen, nur die Dienstreisen ins westliche Ausland
hätten einer strengen Restriktion, Observation und Instrumentalisierung unter-
legen. Für Reisen in die sozialistischen Länder galten strukturell die gleichen
Normen und Mechanismen. Unterschiedlich war lediglich das Ausmaß und der
Wirkungsgrad dieser komplexen Repressionstechniken. Auch dienstliche Rei-
sen in sozialistische Länder – dies waren per definitionem die Mitgliedstaaten
des RGW – waren grundsätzlich kein Recht, sondern eine Gnade der Obrig-
keit, die gewährt und wieder entzogen werden konnte, ohne daß der Betroffene
ein Recht hatte, über die Gründe auch nur informiert zu werden. Dientreisen
galten als Mittel der Belohnung für ideologisches und politisches Wohlver-
halten; umgekehrt war die Streichung solcher Reisen ein probates Mittel der
Bestrafung. Natürlich spielten auch fachliche und praktische Kriterien eine
Rolle – dennoch war jede Entscheidung über eine Dienstreise im Selbstver-
ständnis der Amtsinhaber und in der Reflexion der Umwelt auch eine „politi-
sche Entscheidung.“ Die Entscheidungsgewalt lag wesentlich bei den Gremien
der SED. „Moralische Kriterien“ spielten ebenfalls eine Rolle. Dies bot bei der
zwangsläufigen Verschwommenheit des Moralbegriffs eine geeignetes Mittel
politischer Disziplinierung. Auch die Gefahr ideologischer Ansteckung wurde
in den Überlegungen von Partei und MfS berücksichtigt. Die Krisenherde in
der Welt des Realsozialismus waren in den Augen der SED immer auch ideo-
logische Seuchenherde, von denen die Bürger der DDR nach Möglichkeit
fernzuhalten waren.