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gemeinsamen Verantwortung für das Museum als Kultureinrichtung erinnern,
sondern bietet durch den persönlichen Kontakt mit vielen ehemaligen DDR-
Bürgern die Möglichkeit, eine große Bandbreite von Erfahrungen kennenzu-
lernen. Wir bitten deshalb diejenigen, die uns Gegenstände überlassen, um In-
terviews, in denen sie ihre Schenkung kommentieren.
Es liegt auf der Hand, daß die Dokumentierung dieser lebensweltlichen Hin-
tergründe nicht durch den Ankauf ausgewählter Sachzeugen der Vergangen-
heit als reine Belegstücke für eine wie immer geartete historische Aussage er-
folgen kann. Die Vorgehensweise des Dokumentationszentrums Alltagskultur
unterscheidet sich von daher von der vieler anderer Museen. Dies scheint mir
wesentlich, weil es sich vom Thema her eben nicht um eine rein historische
Fragestellung handelt, sondern um einen immer noch virulenten gesellschaftli-
chen Prozeß.
In den bisherigen Ausführungen wurde viel zum Museum als Ort der Samm-
lung und Bewahrung gesagt. In der Tat liegt hierin ein Schwerpunkt der bishe-
rigen Arbeit des Dokumentationszentrums Alltagskultur. Sammlungsarbeit,
gerade in der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, bedeutet jedoch nicht al-
lein die Vorbereitung späterer Aktivitäten von Forschung und Ausstellung,
sondern vor allem einen gemeinsamen Prozeß historischer Arbeit. Sie ist Teil
historischer Reflexion und öffentlicher Wirkung.
Unter dem Aspekt des Titels, den Sie Ihrer Arbeit gegeben haben, „Überwin-
dung und Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, soll
deshalb auf die begleitende Unterstützung bei der Verarbeitung der Erfahrun-
gen aus der DDR-Zeit hingewiesen werden, die das Dokumentationszentrum
leisten will. Die Beschäftigung mit der Geschichte des alltäglichen Lebens in
der DDR erscheint langfristig als stabilisierendes Moment in einer labilen Le-
bensphase. Das Dokumentationszentrum Alltagskultur mag für eine historische
Orientierung Ort und Anlaß bieten, „lieu de mémoire“, einen Ort der Erinne-
rung, wie ihn Pierre Nora in seinen unterschiedlichen Dimensionen des Muse-
ums benannt hat.
Ein solcher Ort der Erinnerung ist zunächst die Stadt selbst. Gerade Eisenhüt-
tenstadt ist aufgrund seiner Geschichte geeignet, auf idealtypische Vorstellun-
gen einerseits, auf Realitäten der Entwicklung der DDR andererseits aufmerk-
sam zu machen.
Insbesondere gilt dies jedoch für die Ausstellungen, durch die das Dokumen-
tationszentrum seinen Aufbau begleitet. Sie sind unter dem Aspekt der Re-
chenschaft gegenüber Öffentlichkeit und Schenkern konzipiert, vor allem je-
doch unter dem Aspekt des Gesprächsanlasses, des Meinungsaustausches. Wir
haben die Erfahrung gemacht, daß das Ausstellungspublikum, das sich aus
Ost- wie Westdeutschen zusammensetzt, durch die Konfrontation mit den all-
tagskulturellen Objekten zu sehr kontroversen Meinungsäußerungen veranlaßt
sieht. Die Dinge des Alltags provozieren Erinnerung, die in der Ausstellung
zwischen den Besuchern ausgetauscht wird, zwischen Ost und West wie zwi-
schen den Generationen.
Wir haben uns bewußt für einen Ausstellungstyp entschieden, der die Kom-
munikationssituation in den Vordergrund stellt, auch unter Berücksichtigung
der Tatsache, daß eine vor allem auf Information orientierte Ausstellung sich
noch nicht auf einen abgerundeten Kenntnisstand über die DDR und ihre All-
tagsgeschichte stützen kann. Wir plädieren für eine weit gefaßte Offenheit, die
natürlich sowohl Chancen wie Probleme birgt. Niemand kann dem Ausstel-
lungsbesucher verwehren, bei einem einfachen „das kenne ich auch“ zu ver-
harren, niemand sollte gezwungen werden, sich didaktisch geleitet zu einem
Vermittlungsziel führen zu lassen.
Die Chancen bestehen in der Gelegenheit zur Reflexion und Diskussion. Gera-
de die Alltagskultur bietet die Möglichkeit eines unvoreingenommenen Zu-
gangs zur Geschichte, der vom Lebensweltlichen zum Politischen geht und
dies miteinander verbindet, der damit auch Blockaden aufbrechen kann, indi-
viduelle Erfahrungen mit Dimensionen der DDR-Gesellschaft verknüpft. Auch
hierin scheinen mir wesentliche Handlungsmöglichkeiten des Dokumentati-
onszentrums Alltagskultur der DDR zu liegen. Was wir anstreben, ist ein Do-
kumentationszentrum für die Alltagskultur der DDR als Ort des sozialen Ge-
dächtnisses. Vielen Dank.
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Vielen Dank, Herr Ludwig, insbesondere
für Ihre Hinweise auf die Fragestellung unserer Kommission, ob das, was wir
an Erfahrung in der Kommission sammeln, in den Prozeß der Vereinigung
eingebracht werden kann. Meine Damen und Herren, wir sind jetzt mit einer
kurzen Verspätung an dem Tagesordnungspunkt „Pause“ angelangt, und wir
wollen diese Pause auch einhalten.
(Pause)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir haben jetzt eine gute Stunde Zeit, um
nachzufragen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Die ersten vier Vor-
tragenden sind uns dabei behilflich gewesen, uns dem Thema nicht nur zu nä-
hern, sondern mitten drin zu sein. Es liegen eine ganze Reihe von Wortmel-
dungen vor. Ich möchte zunächst dem Professor Wilke das Wort geben.
Sv. Prof. Dr. Manfred Wilke: Eine der Zentralfragen, wie Kollege Faulen-
bach ausgeführt hat, behandelte das Problem der Reichweite der Diktatur. Wie
weit konnte die SED ihren totalitären Willen in der Gesellschaft der DDR
durchsetzen, und in welchen Fällen hat das Alltagsleben, und da hat er auch
das Nötige gesagt, nämlich das sich dieses eigentlich der wissenschaftlichen
Theoriebildung entzieht. Wird dieses Alltagsleben, dieser totalitäre Gestal-
tungswillen der außer Zweifel steht, umgebogen? Wie weit sind Kompromisse
seitens der Herrschenden notwendig gewesen, und sei es nur in der Deckenhö-
he in dem Aufbau von Stalinstadt, wo der Generalsekretär 53 sagte: „30 cm
höher bauen“. Was mich aber bei der Angelegenheit auch im Blick auf den