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Wahlperiode 13, Band V, Seiten 134 und 135
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Protokoll der 32. Sitzung

kender Repressionsapparat der SED in Gang kam, der diese ohnehin ephemere
Solidarität rasch auseinandergebracht hat. Man hat dem einen gedroht, dem
anderen hat man geschmeichelt, man hat die einen eingeschüchtert und die an-
deren hat man negiert, man hat dumme Gerüchte unter sie getragen. Diese
Gruppe ist dann rasch auseinandergebrochen. Trotzdem ist das Signal, das die-
ser Protest damals ausgelöst hat, eigentlich nie wieder vergessen worden, es
hat sich in den Biographien aller Beteiligten fortgesetzt. Es hat dazu geführt,
daß das Zutrauen und das Einverständnis der Literaten im Hinblick auf die Zu-
stände in der DDR immer geringer wurde, daß sie das in irgendeiner Form
immer wieder öffentlich machten. Es hat einen großen Exitus von Kollegen in
die Bundesrepublik gegeben, die dann ihre Enttäuschung, ihren Zorn, ihre
Einwände öffentlich gemacht haben. Man soll den Anteil der schönen Litera-
tur, derer, die sie verfertigen, am Zusammenbruch der DDR nicht übertreiben.
Zweifellos ist die DDR zusammengebrochen an ihrem eigenen Ungenügen, an
ihrer wirtschaftlichen Not, an ihrer ungebärdigen jungen Generation, aber ei-
nen kleinen Teil an diesem Zusammenbruch haben die Literaten wohl auch
gehabt und darauf können sie auch ein bißchen stolz sein.

(Beifall)

(Hinweis: Am 28.4.1997 fand von 19.30 bis 21.00 Uhr ein Erzählabend unter
Beteiligung des Publikums statt)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich möchte Sie erstens ganz herzlich be-
grüßen, zweitens einen guten Morgen wünschen, drittens meine Freude dar-
über zum Ausdruck bringen, daß die Prophezeiung der Wetterfachleute für
heute glücklicherweise nicht stimmt und wir keinen Dauerregen haben, son-
dern daß die Sonne fröhlich scheint, und drittens sind wir noch voller Hoff-
nung. Auf die eine oder den anderen warten wir noch. Der letzte Abend ist of-
fensichtlich so anstrengend gewesen, daß mancher es noch nicht ganz ge-
schafft hat. Diejenigen, die den gestrigen Abend miterlebt haben – so hoffe ich
zumindest – haben mitbekommen, wie es zu DDR-Zeiten manchen Westdeut-
schen ging, die nach Ost-Berlin kamen und die die DDR kennenlernen wollten,
und denen wir dann erklären mußten, damit sie kein falsches Bild bekamen:
„Wenn du in Berlin, Hauptstadt der DDR bist, und sonst von der DDR nichts
kennst, kennst du noch nicht die DDR“. Ich muß ehrlich sagen, mir ist gestern
Abend deutlich geworden, wer die typische DDR kennenlernen wollte, der
durfte auch nicht nach Eisenhüttenstadt gehen. Und ich glaube auch, daß das,
was ich gestern an Äußerungen gehört habe, nicht typisch für die neuen Bun-
desländer gewesen ist, auch das sollte man ganz vorsichtig wenigstens gehört
haben. Was das nicht abwertet, was wir gestern gehört haben, damit mich bitte
keiner falsch versteht, es war aber nicht typisch für 16 Millionen. Ich möchte
jetzt gerne dem Professor Dr. Mocek das Wort und die Leitung übertragen,
weil er jetzt nämlich die Aufgabe hat, den Themenbereich „Veränderungen
von Alltagserfahrungen und -erwartungen 1989/1990“ zu leiten und zu mode-
rieren. Bitte, Herr Professor.

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Selbstbehauptung und Anpassung

Gesprächsleiter Prof. Dr. Reinhard Mocek: Recht schönen Dank. Ich
möchte Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, zunächst unseren Gast vor-
stellen, Dr. Hans Joachim Maaz, Jahrgang 1943, Studium der Humanmedizin
in Halle an der Saale und nun Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychothe-
rapeutische Medizin, Psychoanalyse und seit 1980 Chefarzt für Psychotherapie
im Diakoniewerk Halle. Seit 1993 erster Vorsitzender der Deutschen Gesell-
schaft für analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie und erster Vor-
sitzender des Mitteldeutschen Instituts für Psychoanalyse in Halle. Von Dr.
Maaz gibt es eine große Zahl von Veröffentlichungen, vor allem zu den psy-
chosozialen Folgen des DDR-Systems, und das erste Werk dieser Reihe, „Der
Gefühlsstau“, 1990, hat Furore gemacht und war wohl eines der ersten auch
gesellschaftstheoretischen Analyseversuche zur Situation der Wende. Dann
schloß sich an: „Das gestürzte Volk“, 1991 und „Psychosoziale Aspekte im
deutschen Einigungsprozeß“, dann „Die Entrüstung“, 1992, „Die Einheit be-
ginnt zu zweit“, 1992 und „Gewalt in Deutschland – eine psychologische
Analyse“, 1993. Wir sind gespannt, was Dr. Maaz hier zur Diskussion stellen
wird, und ich möchte Ihnen das Wort erteilen.

Dr. Hans Joachim Maaz: Schönen Dank, Herr Dr. Mocek. Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren, die Perspektive auf die sozialen Befindlichkeiten
heute läßt sich nur als eine Vermengung der Folgen aus der DDR-Zeit und der
Wirkungen und Folgen der Vereinigung verstehen. Der Vergleich, die Relation
zwischen östlicher und westlicher Sozialisation ist deshalb das Thema, und das
macht manches noch viel deutlicher als vor 6 bis 7 Jahren.

Alltagserfahrung und Alltagserwartung von Menschen werden immer geprägt
und beeinflußt von einem Zusammenspiel von ganz persönlichen, individuel-
len, lebensgeschichtlich geprägten Bedingungen und den äußeren sozialen Le-
bensbedingungen. Wenn in einer Gesellschaft ein starker Erfolgsdruck oder
Erwartungsdruck besteht, wie Menschen sein sollen, wenn solche Normen in
einer Gesellschaft dominieren, dann gibt es immer auch über ganz individuelle
Lebensvollzüge hinaus verallgemeinerungswürdige Tendenzen von Erfahrun-
gen, von Erwartungen, von Einstellungen und Haltungen. Dies war auf jeden
Fall in der DDR gegeben, durch das umfassend autoritär repressive Gesell-
schaftssystem.

Solche Erwartungen richten sich zum Beispiel an das richtige Verhalten, und
das suggeriert ja, das es erwachsene Experten gäbe, die wüßten, was das rich-
tige oder das falsche Verhalten sei, und sei es, daß dieses richtige Verhalten
entweder das richtige Bewußtsein in gesellschaftlicher Form oder der rechte
Glauben in kirchlicher Form ist, oder auch – auf die Wirtschaft bezogen – eine
marktgerechte Flexibilität oder eine neue dynamische Leistungsfähigkeit. Die
allermeisten Menschen wurden also von Geburt an unter Erwartungen gestellt,
mittels eines Erziehungsdrucks, der aus den Kinder allmählich angepaßte, ge-
horsame Menschen machen wollte, die sich diszipliniert und ordentlich zu ver-
halten hätten und sich vor allem uneingeschränkt in den Dienst der sozialisti-
schen SED stellen sollten. Unabhängig von irgendeiner politischen, morali-