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Wahlperiode 13, Band VI, Seiten 110 und 111
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Protokoll der 44. Sitzung

Ja, meine Damen und Herren, wenn man Gelegenheit hat, einen solchen Film
in Ruhe zu sehen, und wenn das die Form der Erinnerung wird, in der über
Menschen und deren Schicksal persönlich berichtet wird, dann ist man nach
meiner Meinung dem Gedenken ein großes Stück näher. Und viel näher, als
durch Gedenkstätten, als durch vielerlei statistische Publikation und derglei-
chen mehr. In jedem Ort in Deutschland gibt es gewissermaßen eine Anne
Frank, auch wenn sie oder er uns ihr Leben nicht so eindringlich hinterlassen
hat wie Anne Frank. Aber nur über diese Personen und über die Wiederent-
deckung ihrer Schicksale wird es möglich werden, der gefährlichen Routine
des Erinnerns in Deutschland zu begegnen und zu einer deutschen Trauer im
Gedenken zu kommen. Berlin, wie gesagt, sollte dazu ein zentrales, schlichtes
und eindringliches Denkmal für alle Opfer des Naziterrors errichten. Kein Mo-
nument, sondern ein Gedenk-Mal und hierüber kann am Ende, so scheint mir,
nur die Kunst und keine politische Kommission entscheiden. Ich habe eine ei-
gene Vorstellung von dem, was man tun könnte, aber ich will das hier so jetzt
nicht ausbreiten, vielleicht gibt es nachher in der Diskussion eine Gelegenheit,
das zu erwähnen.

Was ich sagen wollte, meine Damen und Herren, ist, daß wir zwar viel getan
haben, die Fakten zu bewahren, aber daß die Verstrickung der Deutschen in
das, was damals geschah, durch Faktenerinnerung und Faktenmerkmale in der
Landschaft nicht gerecht wird. Wir müssen darüber hinaus versuchen, Wege
zu finden, um Menschen zu erinnern und auf diese Weise auch uns als Men-
schen zu berühren. Vielen Dank.

[Beifall]

Vorsitzender Siegfried Vergin: Herzlichen Dank Herr Dr. von Dohnanyi, wir
werden die Referate zusammenbinden und anschließend die gemeinsame Dis-
kussion führen. Jetzt der Chef der Gauck-Behörde, wie man das in Kurzform
ankündigen kann. Bitteschön Herr Gauck.

Joachim Gauck: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, es ist schön,
so eingeführt zu werden, durch diese nachdenklichen Reflexionen. Ich stimme
dem eigentlich zu, soweit ich überhaupt einen Zugang zu den angesprochenen
Dingen habe. Anders als bei Ihnen, Herr von Dohnanyi, würde ich mir nicht
erlauben, im Grunde in bestimmte Tiefendimensionen einzudringen, weil ich
mir da Dinge angelesen habe, die bei Ihnen aus eigenem Erleben kommen.
Deshalb, so sehr ich Ihnen bei der Erwägung dessen, was machbar ist und was
vielleicht in die Literatur, in die Kunst gehört, folgen will als Person, muß ich
gleichzeitig die Aufgabe der Öffentlichkeit, dieser Abgeordneten hier und auch
meiner Institution bedenken. Man muß für diejenigen, die sich nicht in dieser
existentiellen Tiefe, sogar der persönlichen Trauer, wenn das überhaupt mög-
lich ist angesichts fremder Schuld, hingeben wollen, so etwas wie Lehrpfade
der Geschichte eröffnen und diese museumspädagogischen Konzepte debattie-
ren, mit denen wir wenigstens in die Köpfe kommen. Die Herzen mögen dabei
auch berührt sein, manchmal gelingt es ja, daß ein museumspädagogisches
Konzept durchaus diese Dimension erreicht, die Sie angesprochen haben. Ich

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Demokratische Erinnerungskultur

erinnere mich an meine Besuche im Holocaust-Museum in Washington. Ich
war zweimal dort und jedesmal ist mir nicht vor den ganzen Tafeln und Stati-
stiken und Fotos mit den Greueln das widerfahren, wovon Sie wohl gespro-
chen haben. Es war vielmehr in einem Gang, in einem Zwischenraum, wo die
ganzen unkommentierten Fotos hängen aus gebräunten und vergilbten Fotoal-
ben, die eine ganz eigene Sprache sprechen. Nicht das Informiert-werden ge-
schieht hier, sondern da spüren wir plötzlich, das könnten die Bilder aus unse-
rem großväterlichen Fotoalbum sein, zufälligerweise sind sie es nicht. Plötz-
lich halten die Menschen inne und viele von ihnen weinen. Die Museumspäd-
agogen haben das vielleicht gar nicht gewußt vorher oder wenn ja, waren sie
weise. So etwas wünscht man sich natürlich – ein Gelingen dieser Art.

Die Enquete-Kommission hat mich gebeten, über die Notwendigkeit der Auf-
arbeitung der SED-Diktatur zu sprechen, auch über die Förderung der Demo-
kratie durch Erinnern und Verarbeiten, so würde ich das einmal übersetzen und
ich will das in einigen Anmerkungen tun. Erstens, vergessen wir nie, daß Ver-
gessen Normalität ist. Wenn wir die Psychen der Menschen so nehmen wie sie
sind, dann gehört die Fähigkeit zum Vergessen zu einer sehr wichtigen Aus-
stattung des Menschen ebenso wie das, was uns als aufklärerische Menschen
immer so stört, die Lektion des Erinnerns und ebenso das, was uns noch mehr
stört, das Verdrängen. Uns begegnen, wenn wir den Menschen so begegnen,
wie es sich gehört, nämlich mit einer offenen, realistischen Sicht, ganz natürli-
che Voraussetzungen. Psychische Voraussetzungen, die dem entgegenstehen,
was wir volkspädagogisch oder als Demokraten für richtig halten. Es ist die
Normalität des psychischen Haushalts, die wir feststellen müssen. Ja so ist das,
daß wir verdrängen können und daß wir aus schlechten Vergangenheiten nur
das Positive erinnern, das hat eine Funktion im Überlebenskampf des Men-
schen, gerade in Zeiten, wo es an sein Leben geht. Deshalb werden wir das nie
verändern können. Kein noch so aufklärerisches Programm wird die Menschen
davon abhalten, selektiv zu erinnern und zu verdrängen. Ich will das nur be-
nennen, das ist vielleicht eine Banalität, rutscht uns aber oft weg, weil wir bei
jeder Art von Verdrängen und ich beziehe mich da durchaus mit ein, gleich
politisches Kalkül vermuten, allerdings ist es dies auch oft. Und das ist das
zweite, was wir dann sehr nüchtern anschauen müssen. Man kann mit mensch-
lichen Schwächen oder mit menschlichen Gegebenheiten eben sehr wohl Poli-
tik machen. Die Strukturkonservativen der gesamten Farbenscala des politi-
schen Instrumentalisierens nutzen natürlich diese ganz normale menschliche
Technik des Vergessens, des selektiven Erinnerns und des Verdrängens. Des-
halb werden wir auch immer von Verführungsprozessen sprechen, die Interes-
sierte starten, um anzuknüpfen bei unseren Möglichkeiten, Politik mit dieser
Fähigkeit des Verdrängens zu machen. Wir erleben dann die Fülle nachträgli-
cher Selbstrechtfertigung und die läßt sich sehr gut in der allgemeinen Menta-
lität der Leute plazieren, eben wegen dieser psychischen Voraussetzungen.

Zweitens, gelehrt durch politische und historische Traumata der Nachkriegs-
zeit, wo diese Fähigkeit des Vergessens politisch eine sehr starke Rolle spielte,
besteht die aktuelle Absicht der deutschen Politik nicht darin, dies zu fördern,