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Wahlperiode 13, Band VI, Seiten 126 und 127
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Protokoll der 44. Sitzung

war dennoch nicht vergleichbar, trotz GULAG und alledem. Es war eben nicht
vergleichbar mit einem Auftrag für Mord, und zwar vom Staat abgezeichnet.
Das hat es in der SED und in der DDR so nicht gegeben. Auch wenn man an
der Grenze geschossen hat, war das nicht vergleichbar. Ich will deswegen noch
einmal sagen, was ich gesagt habe: Man kann mit solchen Denkmälern die Ge-
fangenschaft faßbar machen, weil es ein faßbares Verbrechen ist. Aber die Na-
ziverbrechen sind unfaßbar, sind auch für uns noch immer unbegreiflich. Die
Tatsache, daß Menschen an ihren Schreibtischen Befehle organisiert haben, bei
denen Kinder einfach wie Gemüse vernichtet wurden, das ist unfaßbar, und das
werden wir auch nie begreifen. Das bleibt unbegreifbar. Ich will nicht dagegen
sprechen, daß man auch vergleicht. Aber diese beiden Systeme waren nicht
vergleichbar und sie sind deswegen auch von der Erinnerung her unterschied-
lich anzugehen. Man kann eben mit der großen Zahl der Ermordeten nicht so
abstrakt umgehen. Ich glaube, da braucht man eben den tieferen Bezug und das
habe ich versucht zu sagen.

Es tut mir leid, daß ich die Ursache dafür bin, daß wir etwas kürzer in der Dis-
kussion sind als es mir selber lieb gewesen wäre, aber ich muß morgen früh
einen Vortrag in Hamburg halten über einen Freund meines Vaters, der mit
ihm zusammen gearbeitet hat und als Jude aus Hamburg vertrieben worden ist.
Ich habe das sehr kurzfristig übernehmen müssen und muß da noch etwas tun
und muß deswegen zurück. Es tut mir aufrichtig leid. Danke schön.

Vorsitzender Siegfried Vergin: Um so mehr haben wir Ihnen zu danken,
Herr von Dohnanyi, daß Sie trotz dieser Belastung der Enquete-Kommission
zur Verfügung standen. Ich glaube, Sie haben erreicht, uns sehr nachdenklich
gemacht zu haben und Anregungen gegeben zu haben, die wir bei Erfüllung
unseres Auftrages jetzt noch verstärkter einbeziehen werden, als das bereits
geschehen ist. Recht herzlichen Dank, daß Sie da waren. Wir wünschen Ihnen
einen guten Heimweg.

[Beifall]

Damit möchte ich noch einmal Herrn Ministerpräsident Dr. Vogel begrüßen.
Sie als Ministerpräsident des Freistaates Thüringen sind immer wieder gefor-
dert, mit den Orten Weimar und Buchenwald umzugehen. Es sind Orte von
wahrhaft europäischer Dimension, die von Hoffnung und Scheitern der Demo-
kratie, von Terror und Unrecht Zeugnis ablegen. In vorbildlicher Weise fördert
der Freistaat Thüringen gemeinsam mit dem Bund die Stiftung Gedenkstätten
Buchenwald und Mittelbau Dora. Das bisherige Ergebnis kann man unter an-
derem in zwei neuen Ausstellungen in Buchenwald besichtigen. Schon in Ihrer
langjährigen politischen Tätigkeit in der alten Bundesrepublik haben Sie deut-
lich werden lassen, daß Ihnen Erinnerung und Gedenken nicht nur staatliche
Pflichtaufgabe, sondern wirkliche Herzenspflicht sind.

Was können wir tun, um Erinnern und Gedenken wach zu halten? Das ist un-
sere Fragestellung. Wie kann die Erinnerung an die schmalen, aber doch vor-
handenen demokratischen und freiheitlichen Traditionen unserer Geschichte

127
Demokratische Erinnerungskultur

aussehen, für die symbolisch die Daten des 20. Juli und des 17. Juni stehen
mögen? Wir sind sicher, Herr Ministerpräsident, daß Sie uns wichtige Anre-
gungen geben werden. Daher haben wir Sie heute eingeladen und freuen uns
sehr, daß Sie zu uns gekommen sind. Ich darf Sie nun bitten, zu uns zu spre-
chen.

Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel: Sehr verehrter Herr Vergin, verehrte
Abgeordnete Gleicke, meine Herren Abgeordneten und meine Herren Sachver-
ständigen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch von mir noch ein-
mal: entschuldigen Sie, wir standen abflugbereit in Frankfurt, aber ein techni-
scher Defekt hat uns nicht abfliegen lassen und wenn nicht die Geschicklich-
keit des Abgeordneten Koschyk gewesen wäre, hätten wir auch im nachfol-
genden Flugzeug keine Plätze mehr bekommen. Die anderen sind noch in
Frankfurt, entschuldigen Sie.

Zunächst Dank für die Einladung, hier zu sprechen. Schon der Ort macht einen
nachdenklich. Ich war hier schon zweimal beim Staatsratsvorsitzenden, auch
hier in diesem Saal. Ich spreche heute zunächst als Angehöriger einer Genera-
tion, die noch direkt Erinnerung an Krieg und Nationalsozialismus hat, an El-
tern, die ich nicht verstand, weil ich nicht „antreten“ durfte, weil man behaup-
tet hat, ich sei asthmakrank und ich war gar nicht asthmakrank. Insbesondere
die Erinnerung an diese Zeit war für mich in der alten Bundesrepublik motivie-
rend. Jetzt kommt die Erinnerung an den SED-Staat, an Bautzen und an Bu-
chenwald, an Mauer und Todesstreifen hinzu. Eine Erinnerung, die sehr viel
mehr Menschen noch gegenwärtig ist. Es tut mir leid, daß ich die Diskussion,
die Beiträge von Herrn Dohnanyi und von Herrn Gauck nicht voll gehört habe,
zwei Persönlichkeiten, die Wichtiges dazu zu sagen haben, wie ich weiß. Ich
möchte der Enquete-Kommission, deren Arbeit ich aufmerksam verfolgt habe
bei ihren Besuchen in Erfurt und Buchenwald, ausdrücklich danken. Von
Vaclav Havel stammt der Satz: die Dinge müssen auf den Tisch gelegt werden,
damit man sie wegräumen kann. Ich danke Ihnen und ich denke, ich darf das
für alle Ministerpräsidenten tun, daß Sie sich bemühen, die Dinge auf den
Tisch zu bringen. Ich danke der Enquete-Kommission für die Arbeit, mit der
sie eine Barriere gegen das Vergessen, auch gegen Verdrängungsmechanismen
errichten wollen, um festzuhalten was war und wie es dazu kommen konnte
und vor allem, um dafür Sorge zu tragen, daß es nie wieder geschieht.

Heute im achten Jahr der Einheit gibt es manche Bestrebung, die DDR-Dik-
tatur zu verharmlosen. Es ist die Rede vom demokratischen Sozialismus, der
nur schlecht realisiert wurde. Die erlebte Wirklichkeit war anders, die Öffnung
der Archive der Zugang zu den Quellen ermöglicht ein präzises Bild dieses
DDR-Sozialismus. Wir dürfen bei aller Dringlichkeit der alltäglichen Aufga-
ben, die uns in der Tat noch immer voll und ganz täglich fordert, die Vergan-
genheit nicht auf sich beruhen lassen. Wir dürfen nicht meinen, durch Verges-
sen vorgeblichen Frieden stiften zu können. Das Stasi-Unterlagengesetz und
die Errichtung der im Volksmund als Gauck-Behörde bezeichneten Institutio-
nen haben sich als Glücksfall erwiesen. Beides sind Notwendigkeiten, die sich