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Wahlperiode 13, Band VI, Seiten 198 und 199
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Protokoll der 44. Sitzung

Rituale, ich kann sagen auch dort bin ich für Differenzierung. Ich will mal ei-
nen großen Schritt machen. Ich habe bestimmten Ritualen gegenüber zwi-
schendurch eine ziemlich negative Meinung gehabt. Am Anfang dieses Häu-
tungsprozesses nicht, aber als ich beispielsweise das erste Mal am March of
the living in Auschwitz teilnahm, noch in zufälliger Weise weil ich gerade in
Polen zu tun hatte, und dann auch in den weiteren Jahren, muß ich sagen, das
ist eine andere Form von Ritual. Es war für mich ein unglaublich starkes Mo-
ment, immer wieder auch meinen Platz und meine Situation zu empfinden als
Mensch, zumal ich dann auch begann, mich aktiv für die Frage des Gedenkens
zu engagieren. Ich habe etwas erlebt, was vielleicht nicht ganz typisch ist. Ich
bin kein Dutzendtyp in dem Sinne. Das Schlimmste, was ich empfunden habe,
ist die mit dem in der DDR praktizierten Antifaschismus verbundene Heuche-
lei. Und ich würde sagen, der heuchlerische Antifaschismus, der sich mit be-
stimmten Erscheinungen in der Darstellung auch der Gedenkstätten, der Aus-
stellungen und auch des Auftretens von Menschen dort vollzog, das war das
schlimmste, und das war das abstoßendste Moment. Ich habe mich immer ge-
scheut, dann die Gedenkstätten zu besuchen in den 70er und 80er Jahren, und
habe das auch nicht mehr getan. Als ich in Polen 1987 bei der dortigen Aka-
demie arbeitete, fiel mir eines Tages – ich war in Kattowice – an einem Sonn-
tag die Decke auf den Kopf und ich bin nach Auschwitz gefahren, habe dort
Birkenau besucht und auch nur sinnlich wahrgenommen. Ich habe Jahre vorher
im Zusammenhang mit Betreuung studentischer Praktika es immer abgelehnt,
selber dahin zu gehen. Ich habe es für mich dann individuell getan, und ich
will das jetzt zum Schluß auch noch einmal betonen.

Ich bin überzeugt, Gedenkstätten und die gesamte Erinnerungskultur muß als
Angebot unterbreitet werden. Ich halte nichts von den Abordnungen. Es gibt
vielleicht Verabredungen, die sinnvoll sind. Aber es ist ein Angebot, und es
muß auch hier Pluralität möglich sein, und es muß auch so angelegt sein, daß
sie sich ausleben kann dabei. Und ich glaube, so wie Lernprozesse auch höchst
individuell nur vollzogen werden können, so kann man niemanden in Bezug
auf die Erinnerungskultur das Lernen irgendwie abnehmen oder irgendwo eine
Auseinandersetzung ersparen. Deshalb, und das war auch am Ende meines
Beitrages damals in Buchenwald hier in der Enquete-Kommission, in dem
gleichen Gremium meine Meinung, solche Institutionen wie Jugendbegeg-
nungsstätten sind unverzichtbar. Ich habe die Jugendbegegnungsstätte in Au-
schwitz kennengelernt, und das war unglaublich gut für mich in den nächsten
Monaten, wo ich dann öfters da war. Das war so elementar wichtig für mich,
daß ich dort einen Raum fand, mein Vater lebte ja nicht mehr, es war vieles
abgestorben und erstarrt. Aber ich habe unter Menschen, und in dem Fall muß
ich sagen als DDR-Bürger unter Menschen aus der Bundesrepublik, unter Ju-
gendlichen, in der Jugendbegegnungsstätte Auschwitz, also in gewissem Sinne
auch international, etwas Wunderbares erlebt, nämlich die Fähigkeit nach ei-
nem gewissen Stau zu sprechen, zu reden, sich frei zu machen. Und ich kann
an Sie nur appellieren, jede dieser Möglichkeiten, die heute noch fehlen in den
Gedenkstätten, zu unterstützen, daß es solche Räume gibt, in denen man mehr

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Demokratische Erinnerungskultur

als nur durch irgendwelche Ausstellungen durchgeht, sondern in denen man
dann auch Möglichkeiten, in den Prozeß zu gehen und im Prozeß weiterzu-
kommen, schafft. Das ist zumindest meine subjektiv wichtigste Erfahrun. In
dem Sinne, wenn man dabei auch etwas produktiv tut, passiert mit einem
selbst auch das beste, meiste und auch das wahrscheinlich für das Leben des
einzelnen festeste, was man dann auch weitergeben kann an seine Nachfolger.
Danke.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Manfred Wilke: Vielen Dank. In gewissem Sinne
haben Sie den Bogen geschlagen zu dem, was heute morgen von Dohnanyi in
seinem Referat uns ans Herz gelegt hat. Ich sag bewußt ans Herz gelegt hat,
daß ohne die individuelle Nachempfindung der Nachgeborenen die Erinne-
rung, die Erinnerung nicht gelingt. Jetzt kurze Diskussion. Bernd Faulenbach.

Sv. Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Ja, ich finde zunächst mal den Vorschlag
von Herrn Henke außerordentlich plausibel, sich in der Arbeit nicht nur auf die
Stalinismusphase zu beschränken, sondern auch auf diese spätere Phase. Viel-
leicht können Sie noch ein paar Sätze sagen, wie man sich das vorstellen kann.
Man müßte also in der Normannenstraße die Arbeitsweise der Stasi dokumen-
tieren, aber man müßte doch wohl zugleich auch versuchen, die Perspektive
aus der Sicht der Bevölkerung, der Betroffenen, der Opfer darzustellen. Das
heißt, man bräuchte da dann auch erhebliche Anstrengungen, um diese eben
doch sehr viel kompliziertere Phase tatsächlich visualisieren zu können. Wobei
manches vielleicht auch gar nicht zu visualisieren ist, man bräuchte also auch
andere Formen der Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit.

Herr Reichel, ich wollte nur noch mal nachfragen. Sie wollen den 9. November
zum Staatsfeiertag erklären. Wären damit alle anderen Gedenktage erledigt?
Vielleicht klären Sie das. Sagen Sie es noch mal klar, wie Ihr Vorschlag präzi-
se in der Frage des Feiertags, des Nationalfeiertags aussieht, ob Sie mehrere
Gedenktage haben und einen dann besonders rausheben wollen, und welchen
präzisen Stellenwert dann der 9. November bei Ihnen hat. Das ist mir jeden-
falls nicht so ganz hundertprozentig klar geworden.

Herr Overesch, Sie wollen die Tradition des demokratischen Sozialismus, der
Sozialdemokratie von Buchenwald stärker akzentuiert haben in einer Ausstel-
lung. Ich werde mir daraufhin auch noch mal die Ausstellung ansehen, die ge-
genwärtig da ist, inwieweit dies tatsächlich so nicht hinreichend vorkommt.
Aber habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen dies stärker akzentuiert wis-
sen, aber selbstverständlich ist das nur eine Komponente neben anderen, die
Sie dann darstellen wollen? Und es ist ja geplant in Buchenwald eine Ausstel-
lung zu schaffen über den Umgang mit dieser Vergangenheit, dies ist in Ar-
beit. Dort könnte zumindest die Verfälschung oder der problematische Um-
gang, den Sie angesprochen haben, thematisiert werden. Jedenfalls habe ich
Dr. Knigge so verstanden und auch Ministerpräsident Vogel, daß dieses ge-
plant ist.