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Wahlperiode 13, Band VII, Seiten 78 und 79
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Protokoll der 17. Sitzung

Das Zweite: Es ist nicht nur ein gesellschaftlicher Prozeß. Ich glaube, es ist
immer wieder auch ein individueller Prozeß an all den Stellen, an denen Ein-
zelgeschichten deutlich wurden, auch aus dem Bereich der Volksbildung, ein
individueller Prozeß, der nicht zeitlich begrenzt ist, sondern ein permanenter
Prozeß ist. Den haben Menschen schon vor uns getätigt, als es die DDR noch
gar nicht gab, und ich bin ganz sicher, das werden die Menschen auch noch
tun, zumindest wenn sie klug sind, wenn es uns, die wir jetzt in diesem Raum
sind, nicht mehr gibt. Aber bis dahin ist ja noch ein bißchen Zeit. Ich wünsche
Ihnen alles Gute, kommen Sie gut nach Hause, einen guten Sommer und gute
Erfolge beim weiteren Aufarbeiten. Auf Wiedersehen.

Ende der Sitzung: 16.32 Uhr

Anhang

Diskussionsbeiträge der öffentlichen Diskussion während der Sitzungsun-
terbrechung von 12.16 – 12.39 Uhr.

Gesprächsleiter Abg. Gerald Häfner: Tom Sello ist mir bekannt, Du hast
das Wort.

Tom Sello: Ich habe weniger Fragen als vielmehr ein paar Antworten auf die
gestellten Fragen und vielleicht auch noch ein paar Anmerkungen zu Sachen,
die meiner Meinung nach ein bißchen zu kurz gekommen sind.

Mein Name ist Tom Sello und ich arbeite im Matthias-Domaschk-Archiv in
Berlin. Wir tragen seit Beginn der Wende Oppositionsmaterial zusammen.
Material, das in kirchlichen Räumen entstanden ist, von Privatpersonen, Mate-
rial über Widerstand, über widerständiges Verhalten und über die politischen
Ideen von Leuten, die Auskunft darüber geben, warum sie das getan haben. Ich
fange mit dem an, was es für heute bedeutet. Warum macht man das über-
haupt? Wieso beschäftigt man sich mit dem alten Kram? Warum trägt man
diese Schnipsel zusammen? Warum beschäftigt man sich mit Geschichte? Was
hat es für eine Bedeutung? Geht es nur um die Geschichte? Das ist natürlich
nicht so, sondern es hat nur einen Sinn, wenn es etwas mit der Gegenwart zu
tun hat. Und genau darum geht es uns. Widerständiges Verhalten, Zivilcourage
– das war in der DDR kein Massenphänomen, und das ist es auch jetzt nicht.
Das kann man in vielen Bereichen sehen. Das kann man auf der Arbeit sehen,
das kann man in der U-Bahn sehen, in der S-Bahn, das kann man überall wie-
derfinden. Und das Material, das wir zusammentragen, zeigt, wie Leute als
Einzelperson Zivilcourage gezeigt haben. Und das ist auch genau der Grund,
warum das wichtig ist für heute, warum das unsere Gesellschaft voranbringen
kann. Und wenn Jugendliche zu uns kommen, dann finden sie genau solche
Zeugnisse. Unser Anliegen ist es, das weiterzuvermitteln. Das ist vielleicht
auch schon eine Antwort auf die Frage, die hier gestellt wurde, warum das ge-
macht wird. Wie kommen wir nun zu diesen Materialien? Kann das ein Lan-
desarchiv, eine Bibliothek übernehmen? Es gibt ja genug. Es gibt große Ein-

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Situation der Aufarbeitungsinitiativen

richtungen, die haben auch einen großen Haushalt. Unsere Erfahrung ist, daß
die das nicht können. Ich kann Ihnen sagen: Mit jeder Person, von der wir
Material bekommen, haben wir einen monatelangen Kampf, weil die Leute mit
dem Herzen daranhängen. Das ist nicht irgendetwas, was mal geschrieben
wurde – und ohne das abzuwerten –, es ist nicht mal so zu sehen wie irgendein
Vortrag oder ein Buch, das jemand schreibt zu einem Thema, sondern da hängt
Herzblut dran. Es ist sehr schwierig, daß uns diese Leute die Materialien zur
Verfügung stellen. Dazu muß Vertrauen aufgebaut werden. Da müssen stun-
denlange Gespräche geführt werden. Damit hängt eine persönliche Geschichte
zusammen, und die Leute, die uns ihre persönliche Geschichte erzählen, er-
warten Betroffenheit. Jetzt sage ich Ihnen – es mag ein bißchen überheblich
klingen, ist es aber überhaupt nicht –, man kann nicht jeden Tag betroffen sein.
Also wenn jemand kommt und erzählt uns seine tragische Geschichte, die mit
diesem Material zusammenhängt, dann erwartet er von uns eine Betroffenheit
und das ist manchmal sehr schwierig. Es dauert Monate, manchmal sagen die
Leute: „Na ja gut, gebe ich euch diese zwei Seiten“, ein halbes Jahr später
kommen sie und sagen, es soll ja raus, damit andere auch damit arbeiten, und
so nach und nach stellen wir daraus einen Fundus zusammen. Dieser Fundus
ist inzwischen sehr groß geworden, er umfaßt in den 80er Jahren fast vollstän-
dig das, was die Gruppen hergestellt, produziert haben, Zeugnisse über ihre
Aktionen, und er geht, das muß ich auch sagen, weit über das hinaus, was wir
uns am Anfang vorgestellt haben. Unsere Situation ist die, daß diese Materiali-
en, die also nirgendwo in diesem Umfang in einer großen Bibliothek, einem
großen Archiv gesammelt werden können, wieder im Keller verschwinden –
genau am Jahresende. Wir haben keine Mittel mehr, keine Mittel für Stamm-
personal mit Erfahrung, das sich mit der Problematik auskennt, wir haben kei-
ne finanziellen Mittel mehr für Miete, wir haben keine Mittel mehr um diese
Materialien zu erhalten, das ist nämlich Papier, das mit der Zeit zerfällt, wo die
Schrift nicht mehr zu erkennen ist. Wir haben keine Möglichkeiten, das auf
Mikrofilm zu sichern usw. Ich sehe, ich muß zum Ende kommen. Es gibt noch
ein paar andere Sachen, die kann ich auch gerne den Leuten, wenn sie wollen,
genauer beantworten. Ich bitte nur noch um eins: Wir haben hier ein Papier für
diese Veranstaltung zusammengestellt. Wir hatten nicht die Möglichkeit zu
sprechen, aber ich bitte, daß dieses Papier und unsere Erklärung als Teil der
Sitzung mit aufgenommen werden. Danke.

Gesprächsleiter Abg. Gerald Häfner: Das Papier wird den Mitgliedern der
Enquete-Kommission zur Verfügung gestellt. Ich hatte eingangs keine Zeitbe-
grenzung gemacht – so etwas finde ich bei einer Publikumsdiskussion auch ein
bißchen problematisch –, aber ich werde nach spätestens drei Minuten deutli-
che Zeichen geben und nach etwas mehr Zeit mich dann auch einschalten. Es
ist die Frage, ob es uns gelingt, daß noch einige zu Wort kommen. Der näch-
ste, der sich gemeldet hat, ist Herr Hussock von HELP, die auch hier im Hause
residieren und arbeiten.

Peter Alexander Hussock: Ich bin von der Hilfsorganisation HELP. Gestern
und vorgestern hat an der Ruhr-Universität Bochum eine Veranstaltung statt-