Fehler melden / Feedback
ein systematisches Vorurteil – mitgeleitet ist. Das heißt also, theorielos weiße
Felder zu identifizieren, geht nicht, also muß man sich auch der theoretischen
Frage widmen.
Zwei weitere Bemerkungen: Es ist eben angeklungen, die DDR-Forschung, die
DDR-Zeitgeschichte sei politiknah. Dies ist richtig, aber nicht zureichend. Wir
müssen uns bei der Beurteilung der ehemaligen DDR-Forschung vielmehr be-
wußt machen, daß ihr Entstehungszusammenhang schon ein politischer war.
Das heißt, sie ist wissenschaftlich aktiv geworden aufgrund eines politischen
Ereignisses, nämlich der Teilung, und daß also die Politisierung dieser For-
schung nicht nur durch die Nähe der da laufenden Politik, sondern durch den
ganzen historischen Entstehungszusammenhang entstanden ist, und das hat
natürlich wesentlich stringentere und präzisere Konsequenzen.
Da ich selbst lange genug auf diesem Sektor tätig gewesen bin und mir auch
die Diskussion der letzten Jahre und Monate angehört habe, vermisse ich als
Wissenschaftstheoretiker zwei Aspekte von denen ich bitte, daß man sie viel-
leicht in den nachfolgenden Bemerkungen berücksichtigt. Ich denke erstens,
daß der Leser der Publikation, die die Zeitgeschichte hervorbringt, ein Recht
darauf hat, daß der Autor ihm mitteilt, was für ein erkenntnisleitendes Interesse
ihn eigentlichen bewegt. Ich bin an vielen Stellen der Diskussion darauf gesto-
ßen: Wenn man dieses deutlich sagen würde, wären viele Diskussionen, die
mehr oder weniger Glasperlenspiele waren, nicht nötig gewesen. Das erkennt-
nisleitende Interesse ist: Warum beschäftige ich mich mit dem Thema aus der
DDR-Geschichte und in welcher Absicht? Das zweite ist, auch das ist in den
Diskussionen schon angeklungen und die politischen Diskussionen der letzten
Tage über die politische Bildung in unserem Lande, speziell in bestimmten Be-
reichen, stellen für mich die Frage: Welchen Verwertungszusammenhang will
eigentlich unsere Zeitgeschichtsforschung erreichen? Ich denke in erster Linie
an die politische Bildung. Also an die Frage, was sollen die Ergebnisse, die wir
als Historiker, als Wissenschaftler erstellen, anschließend letztlich bewirken?
Doch nicht alleine eine community-interne Auseinandersetzung, sondern sie
sollen doch die politische Bildung erreichen! Auch dies scheint mir ein Aspekt
zu sein, der bei der bisherigen Diskussion nicht zureichend, vor allen Dingen
aber auch nicht systematisch berücksichtigt worden ist.
Ich verfahre so, wie das Programm es mir vorschreibt und gebe zunächst das
Wort Herrn Heydemann.
Prof. Dr. Günther Heydemann: Herr Vorsitzender, herzlichen Dank. Da
heute schon über den wissenschaftlichen Stand der DDR-Forschung gespro-
chen worden ist und meines Erachtens die wichtigsten Ergebnisse bereits mit-
geteilt worden sind, werde ich mich sehr kurz halten und auch an die vorgege-
bene Zeitbeschränkung. Ich werde deshalb nur zwei Punkte ansprechen. Der
erste ist, ich werde noch einmal eine generelle Einschätzung des gegenwärti-
gen Standes und der weiteren Entwicklung der DDR-Forschung, so wie sie mir
sich darstellt, geben. Und zweitens werde ich vor allem zum Diktatur- und Sy-
stemvergleich sprechen.
Faßt man nämlich erstens die bisherige Forschungsentwicklung zusammen, so
ergibt sich meines Erachtens folgender Trend: Die weitere und vermehrt die
zukünftige Forschung der Geschichte der SBZ/DDR wird sich zunehmend mi-
krohistorischen Studien widmen, wobei institutionengeschichtliche, sozialhi-
storische, regional- und lokalgeschichtliche Arbeiten immer stärker in den
Mittelpunkt rücken werden. Am weitesten ist dies bereits fortgeschritten und
deshalb auch am deutlichsten erkennbar bei der Erforschung der Kirchen und
oppositionellen Gruppen im Vorwendeprozeß und in der Wende selbst. Be-
sonders an diesem zweiten Hauptschwerpunkt – ein erster wäre vor allem die
Zeit der SBZ, auch von Herrn Weber gerade genannt – gegenwärtiger DDR-
Forschung, die inzwischen auch die Untersuchung von Massenorganisationen
einschließt, wird deutlich, daß weitere vornehmlich sozial- bzw. kultur- und
mentalitätsgeschichtlich ausgerichtete Arbeiten eine genauere Beschreibung
des sozialen Kontextes von Herrschaft, die Entstehung von Loyalität, Resi-
stenz und Dissidenz sowie deren Rückwirkungen auf die Herrschaftspraxis
ermöglichen. Damit vollzieht sich eine Entwicklung, wie sie Mitte der 70er
Jahre auch hinsichtlich des Nationalsozialismus erfolgte, etwa wenn man nur
an das Projekt „Bayern in der NS-Zeit“ von Martin Broszat in den Jahren 1977
bis 1983 denkt, aber auch die Fortführung von solchen Forschungsarbeiten et-
wa von Mallmann und Paul für das Saarland sozusagen in einer zweiten An-
schubphase, die immer noch für die NS-Erforschung zutrifft und anhält. Die
analoge Entwicklung auf dem Gebiet der DDR-Forschung geht allerdings in
dieser Hinsicht wesentlich schneller vonstatten als dies bei der NS-Forschung
der Fall war. Das mag auch damit zusammenhängen, daß wir durch die NS-
Forschung über bestimmte Begriffe verfügen, die wir zwar nicht ohne weite-
res, aber doch mit einer gewissen Hilfestellung anwenden können auf die
DDR-Forschung. Dies wird mittel- wie langfristig zu einer schrittweise präzi-
sierten Rekonstruktion politischer und ideologischer Herrschaftspraxis sowie
daraus entspringenden konkreten Sozialverhaltens und entsprechender Lebens-
erfahrung in individuellen und kollektiven Biographien, aber auch in schich-
ten- bzw. berufsspezifischer Hinsicht führen können.
Zweitens: Die meines Erachtens wichtigste Frage jedoch, welche die DDR-
Forschung über diese Grundlagendetailforschung hinaus zu beantworten hat,
ist das Problem der DDR-Gesellschaft zwischen politisch-ideologischer
Durchdringung einerseits und sozialer Eigendynamik andererseits. Inwieweit
das SED-Regime eine totalitäre Diktatur war und inwieweit es die DDR-Ge-
sellschaft tatsächlich durchherrschen konnte bzw. welcher Art von Behar-
rungsvermögen diese aufwies, ist zumindest empirisch nach wie vor noch we-
nig geklärt. Diese Frage läßt sich aber allein durch endogene Erforschung der
DDR-Geschichte bzw. der SBZ nicht lösen. Insofern muß die weitere DDR-
Forschung noch stärker als bisher mit dem methodischen Instrumentarium des
Herrschafts- und Systemvergleichs arbeiten, um spezifische Unterschiede der
SBZ/DDR mit der NS-Diktatur, mit den Westzonen und der Bundesrepublik
sowie den ehemaligen real sozialistischen Staaten genauer bestimmen zu kön-
nen. Ich meine dabei nicht nur die politischen Herrschaftsstrukturen als solches