Fehler melden / Feedback
sion berührt als die relativ einfache Kritik der schäbigen Verhältnisse im real
existierenden Sozialismus. Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, lieber Richard. Ich
möchte Ihnen ganz kurz unsere folgende Referentin vorstellen: Frau Professor
Wolff-Poweska, geboren 1941 in Tarnopol, Historikerin und Politikwissen-
schaftlerin; Diplom an der Adam-Mickiewicz-Universität Posen 1964; Promoti-
on; Habilitation; Professur seit 1986; seit dem 1. Juli 1990 Direktorin des
Westinstituts Posen; seit dem 1. Januar 1994 im Vorstand des Forums Polen –
Bundesrepublik Deutschland. Ist die Aufarbeitung der Vergangenheit eine not-
wendige Bedingung für die erfolgreiche Etablierung von Demokratie und
Rechtsstaat?
Prof. Dr. Anna Wolff-Poweska: Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren!
Der Demokratisierungsprozeß in den Ländern, die sich vom Kommunismus ab-
wenden, ist mit einem sehr vielgestaltigen Komplex neuer Erfahrungen verbun-
den, in dem die Aufarbeitung der Vergangenheit ein integrales Element darstellt.
Um die neue Ordnung zu legitimieren und die Demokratie zu stabilisieren, ist es
unabdingbar, das alte System zunächst genau zu studieren, es von innen her ken-
nenzulernen und zu bewerten. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, von
denen nur folgende genannt seien:
Die Länder, die von der Diktatur zur Demokratie übergehen, müssen alles tun,
um einen Rückfall in das alte System zu verhindern. Das ist die wichtigste Auf-
gabe, die sie den Opfern und ihrer eigenen Vergangenheit schuldig sind, denn
die kommunistischen Diktaturen hatten stets den Anspruch erhoben, im Namen
des ganzen Volkes aufzutreten und hatten ganze gesellschaftliche Gruppen in ihr
System eingebunden. Damit ist eine objektive Bewertung und vor allem eine
kritische Reflexion der verwickelten Probleme der Vergangenheit eine conditio
sine qua non, wenn man die Menschen, die Untertanen dieses Systems gewesen
waren, zu Bürgern erziehen will, die sich ihrer Rechte und Pflichten bewußt
sind.
Zur Aufarbeitung der Vergangenheit gehört nicht nur, daß man der vergangenen
Epoche sowie ihren wichtigsten Akteuren und ihren Mitläufern Gerechtigkeit
widerfahren läßt. Es liegt nicht im wohlverstandenen Interesse des neuen demo-
kratischen Rechtsstaats, die Legitimierung des neuen Systems auf der Basis einer
vereinfachenden Schwarz-Weiß-Konfrontation der alten Diktatur mit der neuen
Demokratie zu suchen. Die Kultur der Abwendung vom Kommunismus wird in
hohem Maße die Kultur und die Qualität des demokratischen Staates bestimmen.
So hat die Entkommunisierung nur dann einen Sinn, wenn sie der Umerziehung
der Gesellschaft dient. So wie damals der Antifaschismus allein nicht ausge-
reicht hat, den Kommunismus zu legitimieren, so reicht es heute nicht, Anti-
kommunist zu sein, wenn man Demokrat werden will. Eine neue demokratische
Identität verlangt ein historisches Gedächtnis. Wie weit es uns gelingt, uns mit
der neuen Ordnung zu identifizieren, hängt weitgehend davon ab, ob – und,
wenn ja, in welchem Maße – sich die mittelosteuropäischen Völker mit der jüng-
sten Vergangenheit identifiziert hatten.
Wenn man diesen Aspekt bewerten will, muß man eine Antwort auf eine Reihe
von Fragen finden: An welche historische Tradition sollte man anknüpfen? Was
sollte man verwerfen, was im Gedächtnis behalten? Inwieweit war die Identität
der Bürger der DDR, der Volksrepublik Polen, der Ungarischen Volksrepublik
und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik eine durch die Partei-
propaganda suggerierte Identität, und in welchem Maße war sie von den Bürgern
als ihre eigene akzeptiert worden? Inwieweit hatte es sich bei der Identität der
Bürger in den Ländern des sogenannten realen Sozialismus um eine Pseudo-
Identität gehandelt, die einer inneren Legitimierung entbehrte, und inwieweit
hatten sich die Menschen doch authentisch mit der Ordnung identifiziert, in der
sie leben mußten?
Die Schaffung einer neuen politischen Kultur erfordert tiefgehende Reflexion,
sachliche Analyse und öffentliche Diskussion, ohne die das totalitäre Übel nicht
entlarvt werden kann. Denn die Bereitschaft zur Mitwirkung an der Gestaltung
der neuen Ordnung hängt weitgehend davon ab, welche Schlußfolgerungen die
Öffentlichkeit aus der eigenen Geschichte zieht.
Wenn man bedenkt, daß die Demokratisierungsprozesse gewöhnlich eine soziale
Krise mit sich bringen, die gleichzeitig eine Krise der Kriterien für das Erinnern
und Vergessen darstellt, wird man Antworten auf wichtige Fragen finden müs-
sen: In welcher Weise muß man sich mit der Vergangenheit der Nation ausein-
andersetzen, damit deren Bewertung wirklich zu einer Reflexion des eigenen Ich
gerät? Wie muß man die eigene Verstrickung in das alte System beurteilen, da-
mit sich die Quellen der Schwäche in Faktoren der Stärke verwandeln können?
Wie muß man den Dialog mit der Geschichte führen, damit daraus eine Basis für
Kompromißbereitschaft und gemeinsame Verantwortung erwächst? In der Re-
flexion dieser Aufgaben werden die fundamentalen Probleme des ausgehenden
Jahrhunderts sichtbar werden.
Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist für die jungen Demokratien zugleich ei-
ne Chance und eine Herausforderung, die viele Fallstricke bereit hält:
Erstens die Chance des demokratischen Staates. Die Gegenwart leitet sich aus
der Vergangenheit ab, die die Menschen bei der Schaffung einer besseren Rea-
lität nicht lähmen, sondern ermutigen sollte. Der Demokratie ist besser gedient,
wenn man sich um Verständnis für die Vergangenheit bemüht, als wenn man
Märtyrertum kultiviert. Die Abkehr vom Kommunismus weist in den Ländern
östlich der Elbe neben unterschiedlichen Maßnahmen zum Abbau des Totalita-
rismus eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten auf. Die Völker dieser Region ge-
fallen sich vor allem in der Rolle von Opfern des Systems. Indessen ist die Kon-
zentration auf die eigenen Unbilden einer nüchternen Bewertung der ganzen
Komplexität eines Phänomens wie des Kommunismus nicht eben förderlich. Sie
verführt eher dazu, auf das Podest der kommunistischen Heroen mechanisch