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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 146 und 147
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Protokoll der 38. Sitzung

ben. Also Herr Oldenburg vom BIOst in Köln, ein vorzüglicher Sachkenner,
der zu diesem Thema vieles publiziert hat. Der zweite wäre dann Herr Gastey-
ger, sicherlich auch in diesem Kreise schon durch seine Tätigkeit und seine
zahlreichen Publikationen auf diesem Gebiete bekannt. Schließlich rechts von
mir Herr Bingen, der auch im BIOst tätig ist und seit Jahren als vorzüglicher
Sachkenner der polnischen Politik und der deutsch-polnischen Beziehungen
sehr bekannt ist. Lieber Herr Oldenburg, bitte schön.

Dipl.-Pol. Fred Oldenburg: Danke schön, Herr Vorsitzender. Ich danke wie
alle anderen ebenfalls für die Ehre, hier sprechen zu dürfen. Ich knüpfe an das
an, was Professor Schöllgen vorhin schon ausgeführt hat. Der Handlungsspiel-
raum sowjetischer Deutschlandpolitik in der Vereinigungsphase des Jahres
1990 wurde von vier Rahmenbedingungen konstituiert: 1. vom internationalen
System; 2. von der sich wandelnden Perzeption dieses Systems durch die so-
wjetischen Führer; 3. von der Dialektik sowjetischer Innen- und Außenpolitik;
4. vom Zusammenbruch des hierarchischen Verhältnisses zwischen der Hege-
monialmacht UdSSR und ihren Satelliten.

Als Faktoren dieser Rahmenbedingungen wirkten: 1. die seit Ende der 70er
Jahre nachweisbare Veränderung der Korrelation der Kräfte zugunsten der
USA, des Nordatlantischen Vertragssystems und der EG; 2. der politische und
wirtschaftliche Niedergang des parteimonopolistischen Sozialismus sowohl in
der Sowjetunion und den ostmitteleuropäischen Staaten wie auch in der DDR;
3. die durch Lernprozesse ausgelöste, radikal veränderte Sicht wichtiger so-
wjetischer Politiker von der Rolle der beiden deutschen Staaten für Sicherheit
und Wohlfahrt der UdSSR; 4. der von der liberalen Schule getragene und ge-
prägte Versuch eines Teiles der Moskauer Entscheidungsträger, Realpolitik
neu zu definieren und moralische Kategorien in Innen- und Außenpolitik zur
Geltung zu bringen, einmal die antistalinistische Revolution, zum anderen das
„neue Denken“; 5. die zunehmende Stärke wie auch die kontinuierliche Fried-
fertigkeit der zivilen Revolutionen in Osteuropa (außer Rumänien), darunter
besonders in der DDR; und 6. die Erkenntnis, daß die SED-Herrschaft sich ab
November/Dezember 1989 im „freien Fall“ befand.

Zu den seinerzeit durchaus instrumentalisierbaren Faktoren sowjetischer
Deutschlandpolitik rechne ich folgende: 1. die anfänglich starke Bindung der
UdSSR an die DDR und deren Einbindung in ein originäres Parteien-, Militär-
und Wirtschaftsbündnis, dem Warschauer Vertrag und dem Rat für gegenseiti-
ge Wirtschaftshilfe; 2. die militärische Truppenpräsenz von 340.000 sowjeti-
schen Soldaten in der DDR; 3. die Fortgeltung der Vorbehaltsrechte, der
Viermächterechte für Deutschland. Alle diese Instrumente standen der Sowjet-
union zur Verfügung. Hinzu kam 4. die Adaptation des internationalen Sy-
stems an die deutsche Teilung. Die Bipolarität und die in ihr aufgehobene
Zweistaatlichkeit Deutschlands wurde aus realpolitischen Motiven, außer in
den USA, als Element des „langen Friedens“, um ein Wort von Gaddis zu be-
nutzen, verstanden. Alle diese Instrumente hatten aber offenbar nur eine be-

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Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

grenzte Reichweite und wurden im Prozeß der Vereinigung für die sowjeti-
schen Führer obsolet.

Als wesentliche Instrumente wurden im Verlauf des Jahres 1990 eingesetzt: 1.
das sowjetische Zustimmungsrecht zu den äußeren Aspekten der Vereinigung,
insbesondere vom Friedensvertrag zur einvernehmlichen friedensvertraglichen
oder Friedensregelung; 2. die Forderung nach Rücksichtnahme auf die Schwä-
che der Perestrojka und ihrer Protagonisten. Doch dies geschah natürlich in der
Zwei-plus-Vier-Verhandlungsetappe bzw. der finalen Phase sowjetischer
Deutschlandpolitik.

Zwischen dem Sturz Honeckers, dem Fall der Mauer im November 1989 und
der Ratifizierung der Deutschland betreffenden Verträge im April/Mai 1991
veränderte sich der Handlungsspielraum der Sowjetunion dramatisch. Die Op-
tionen wurden angepaßt, teilweise verändert, überwiegend zurückgenommen:
1. Der Erhalt der Teilung Deutschlands im „gemeinsamen europäischen Haus“
durch Förderung einer DDR-Perestrojka nach dem Sturz Honeckers, Setzen
auf eine längere Phase europäischer und deutscher sozialökonomischer Tei-
lung bei Stimulierung der Aufhebung der Trennung im Haus Europa; 2. Stüt-
zung der Krenz-Führung und energische Warnung an die Adresse Bonns vor
einer Destabilisierung der DDR, dann Anpassung an den Verfall der Prärogati-
ve in Berlin, zunehmendes Begreifen der Unfähigkeit der Honecker-Nachfol-
ger; 3. Schüren der Besorgnisse in einigen westeuropäischen Staaten vor einer
schnellen Vereinigung Deutschlands, in diesem Zusammenhang der geschei-
terte Versuch, die Viermächterechte über Deutschland zu beleben, um den
Prozeß der Vereinigung abzubremsen und den Zehn-Punkte-Plan Kohl/Tel-
tschik zu konterkarieren; 4. nachdem dies versagte: Hinnahme der unvermeid-
lichen Destabilisierung in der DDR, späte Stützung von Konföderationsplänen;
5. nahezu unkonditionierte Zustimmung zur inneren Einheit Deutschlands im
Februar 1990; 6. Versuch in den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, eine längere,
ca. fünfjährige Übergangsphase durch Entkoppelung von innerer und äußerer
Vereinigung zu legen, die Obergrenze der deutschen Armee auf unter 300.000
Mann zu beschränken und Deutschland zu denuklearisieren; 7. der Versuch,
die NATO-Erweiterung auf Ostdeutschland zu verhindern durch eine Vielzahl
von Angeboten wie Neutralisierung Deutschlands, französischer Status
Deutschlands in der NATO, Doppelmitgliedschaft in beiden Militärallianzen,
längere Anwesenheit der alliierten Streitkräfte, Abzug ausländischer Truppen,
und schließlich, kompromißfähig, eine Zone verminderter Sicherheit für Ost-
deutschland. Und schließlich Akzeptanz des vereinigten Deutschlands in einer
gewandelten NATO.

Dabei gab es zugegebenermaßen durchaus schwierige Haltepunkte, die ein
Scheitern der äußeren Regelung nicht ausschlossen: a) die Festlegung des Po-
litbüros der KPdSU vom 3. Mai 1990, die sich in den Vorschlägen von Sche-
wardnadse in Bonn am 5. Mai 1990 niederschlug, insbesondere in dem Vor-
schlag der Entkoppelung von innerer und äußerer Vereinigung; b) das aus-
führliche, viele Punkte umfassende „Grundprinzipienpapier“ des nach Moskau