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hang mit Außenminister Genschers Position und anderen Fragen sehr differen-
ziert diskutiert werden. – Aus Zeitgründen breche ich an dieser Stelle ab.
(Beifall)
Gesprächsleiter Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Adolf Jacobsen: Vielen Dank, Herr
Friedrich für Ihre Ausführungen und Erläuterungen Ihrer Thesen. Wir kommen
damit zum dritten Beitrag, dem von Herrn Curt Gasteyger aus Genf. Ich freue
mich, daß er heute unter uns weilt. Er ist auch ein alter Bekannter. Er dürfte
Ihnen bekannt sein aus seinen Schriften und seiner Tätigkeit im Bereich der
internationalen Beziehungen. Lieber Herr Gasteyger, wenn Sie können, wäre
ich Ihnen dankbar, wenn Sie unseren Zeitplan einhalten würden bis kurz nach
zwölf. Bitte schön.
Prof. Dr. Curt Gasteyger: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren. Ich bedanke mich sehr für Ihre Einladung. Herr Ja-
cobsen hat uns zuvor auf die Rolle der Persönlichkeiten hingewiesen, und ich
glaube, es gibt kaum zwei Länder, in denen in diesem Zusammenhang die
Rolle von Persönlichkeiten so stark hervortrat wie in England und Frankreich,
in Gestalt der Iron-Lady Margaret Thatcher und des Präsidenten François
Mitterrand.
Ich werde in der mir zur Verfügung stehenden Zeit zunächst auf einige Ge-
meinsamkeiten in der britischen und französischen Deutschlandpolitik hinwei-
sen. Dann werde ich auf die Besonderheiten im Verhalten des einen und des
anderen Landes eingehen und mit einigen Thesen abschließen. Ich brauche
hier nicht besonders zu erwähnen, daß im jetzigen Zeitpunkt der Zugang zu
den vertraulichen Akten noch nicht möglich ist. Ich mußte mich deshalb auf
die recht ausführlichen Berichte von Zeitzeugen sowie auf einige persönliche
Gespräche stützen. Sie ergeben immerhin ein gutes und zuverlässiges Bild von
Interessenslage und Handlungsspielraum der beiden hier interessierenden
Staaten. Sieben Jahre Distanz von den damaligen Ereignissen sind allerdings
zu kurz, um die oft widersprüchlichen, von der Erinnerung an Vergangenes
und der spontanen Reaktion auf unerwartet Gegenwärtiges nicht in unsere Be-
urteilung einzubeziehen. Aber, gestehen wir es offen, angesichts der seither
erlebten welt- und europapolitischen Umwälzungen scheinen manche dieser
Reaktionen heute bereits einem weitentfernten, jedenfalls für Nichtdeutsche
praktisch abgeschlossenen Kapitel anzugehören.
Gemeinsamkeiten
Angesichts der geschichtsträchtigen Bedeutung und des geopolitischen Ge-
wichts der Wiedervereinigung ist solches eigentlich erstaunlich. Man hätte hier
viel dauerhaftere Nachbeben erwartet. Denn diese Wiedervereinigung wurde ja
lange bestenfalls als entfernte Zukunftsperspektive und dann, als sie sich als
ernstzunehmende Möglichkeit am politischen Horizont abzuzeichnen begann,
als unerwünscht empfunden. Das trifft sicher auf Großbritannien und Frank-
reich zu. Auf ihrer Traktendenliste stand sie jedenfalls, wenn überhaupt, weit
unten. Beide Länder mußte deshalb die sich rasch verdichtende Perspektive
einer solchen Vereinigung der beiden deutschen Staaten überraschen. Sie löste
Reaktionen aus, die man nach vierzig Jahren immer wieder beschworener So-
lidarität mit dem deutschen Wunsch nach Wiedervereinigung kaum für mög-
lich gehalten hätte. Einmal mehr erwies sich das historische Gedächtnis der
Völker länger als jenes der Politik.
So trafen die sich beschleunigenden Entwicklungen in Osteuropa und damit
Deutschland die Regierungen beider Länder konzeptuell und politisch unvor-
bereitet. Weder Präsident François Mitterrand noch Prime Minister Margaret
Thatcher hatten eine Strategie zur Hand, mit der sie dieser für sie unerwarteten
und wohl eben auch unerwünschten neuen Lage mitbestimmend begegnen
konnten. Stärker, emotionaler waren bei ihnen das Nichtglaubenwollen und der
Rückfall in ein von geschichtlicher Erfahrung geprägtes Bild von einem
Deutschland, das es gar nicht mehr gab oder eben nur als geteiltes, in zwei
Bündnisse eingebundenes und von vier Siegermächten mehr oder weniger
kontrolliertes Zwillingspaar.
Beide, Frankreich und Großbritannien, hatten damit vieles gemein, wo es um
Geschichtsbild und Stellung Deutschlands in Europa ging. Sie unterschieden
sich aber deutlich in der Art, in der sie sich mit der unerwarteten „Herausfor-
derung Deutschland“ auseinandersetzten und ihr zu begegnen suchten. Zu den
Gemeinsamkeiten gehört einmal die fast hilflose Überraschung darüber, daß
das zwar offiziell immer wieder abgelehnte, letztlich aber in vieler Hinsicht als
stabil erachtete Nachkriegssystem des zweigeteilten Europa und Deutschland
mit klaren Grenzen und gewichteten Kräfteverhältnissen durch die deutsche
Wiedervereinigung unversehens aus den Angeln gehoben werden sollte. Die
Trägheit des Gewohnten und die Ablehnung des ungesicherten Neuen waren
bei ihnen deutlich zu spüren. Für die geographisch distanzierte Weltmacht
Amerika schien die Perspektive einer solchen Veränderung weniger Sorgen zu
bereiten; die Sowjetunion unter Gorbatschow erwies sich nach anfänglichem
und verständlichem Widerstand gegen eine Wiedervereinigung als weniger re-
sistent und unbeweglich – möglicherweise, weil sie deren Folgewirkung als
letzte Konsequenz des Reformprozesses in Mittel-Osteuropa unterschätzte.
Aus dieser statikverhafteten Haltung Frankreichs und Großbritanniens heraus
erklärt sich deren Neigung, die Wiedervereinigung bestenfalls als langfristigen
Prozeß zu sehen und auf den von der KSZE/OSZE als praktisch unabänderlich
erklärten Grenzen zu bestehen. Selbstbestimmung – was immer das auch hei-
ßen mochte – ja; aber doch nicht Wiedervereinigung. So erklärt sich Frau
Thatchers fast verzweifelter Ausruf „Wir haben uns zwar für die Wiederverei-
nigung ausgesprochen, aber niemand hat wirklich daran geglaubt“; sie war
wünschenswert, solange sie unwahrscheinlich blieb.
Einig waren sich Frankreich und Großbritannien auch dahingehend, daß nu-
kleare Waffensysteme auf deutschem Boden stationiert bleiben sollten und
Deutschland selbstverständlich weiterhin auf eine eigene Atomrüstung ver-
zichten müsse.