schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 162 und 163 (wp13b8_1_0167)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 162 und 163
162
Protokoll der 38. Sitzung

„Sie wollte Deutschland von Frankreich trennen und ärgerte sich, daß ihr dies
nicht gelang.“

Dreißig Jahre deutsch-französischer Freundschaft zeigten hier nun ihre, wenn
auch von Schwächezeichen unterbrochene, Wirkung. Dies ist jedenfalls eine
nicht unberechtigte Schlußfolgerung – es sei denn, man komme zur Auffas-
sung, daß auch Frankreich kaum eine Alternative als die hier aufgezeigte hatte.
Nur war diese Alternative konstruktiver als die britische. Sie verband
Deutschlands Wiedervereinigung mit einer Stärkung der Europäischen Ge-
meinschaft. Das Problem Frankreichs war nur, daß sich die Wiedervereinigung
vor diese angestrebte Stärkung schob. Noch am 30. November 1989 hatte
Mitterrand gegenüber Außenminister Genscher mit aller Bestimmtheit festge-
halten: „Entweder kommt die deutsche Einheit vor der europäischen zustande
oder Sie werden eine Trippel-Allianz (Frankreich, Großbritannien, Rußland)
gegen sich haben – und das wird in einem Krieg enden. Wenn dagegen die
deutsche Einheit nach jener Europas kommt, dann werden wir Ihnen helfen.“

Wirklichkeit wurde bekanntlich die erste Variante. Es kam zwar glücklicher-
weise weder zu einem Dreierbündnis noch zu einem Krieg. Es blieb aber ein
Rest von Unbehagen auf französischer Seite: man fühlte sich erstmals geogra-
phisch marginalisiert und politisch ohnmächtig gegenüber einer Entwicklung,
in der man nicht einmal die zeitliche Rangfolge mitbestimmen konnte. Das
politische Zentrum hatte sich überdeutlich und für Frankreich fast demütigend
nach Deutschland verlagert.

Deutschland war innerhalb kurzer Zeit vom noch partiellen Objekt zum vollen
Subjekt europäischer Politik herangewachsen. Nirgendwo wurde dies offen-
sichtlicher als in der zumal von Großbritannien nur widerwillig hingenomme-
nen Umkehr der Formel „Vier-plus-Zwei“ in „Zwei-plus-Vier“. Dabei war es
jedermann klar, daß diese sehr rasch zu einem „Eins-plus-Vier“ zusammen-
schmelzen werde.

Beide, Frankreich und Großbritannien, wünschten sich gerade deshalb mög-
lichst schnelle Fortschritte in diesen Verhandlungen. Sie wollten damit verhin-
dern, daß sich die beiden deutschen Staaten unter sich und ohne bestimmende
Mitwirkung der vier Mächte einigten. Auch hier noch gingen sie also von der
Annahme aus, daß es die vier Mächte und nicht die deutschen Staaten sein
sollten, die den Lauf der Ereignisse zu bestimmen und, wenn möglich, zu ver-
langsamen berufen waren. Auch hier täuschten sie sich. So blieb ihre Rolle
kaum mehr als jene von Zuschauern bei einem Drama, das letztlich wohl auch
ohne ihr Beisein zu einem guten Ende gekommen wäre.

Zusammenfassung

Erstens: Der ebenso unerwartete wie sich zusehends beschleunigende Eini-
gungsprozess fand Großbritannien und Frankreich unvorbereitet. Sie hatten
Wiedervereinigung gepredigt, aber kaum mehr als an Selbstbestimmung ge-

163
Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

glaubt. Wiedervereinigung war für sie ein fernes Ziel, das anzustreben nie
Priorität besaß.

Zweitens: Die von London und Paris in aller Eile entworfenen Handlungsop-
tionen waren konservativ, d. h. erhaltend, nicht progressiv. Sie bewegten sich
in überkommenen Verhaltensmustern und bewährten Institutionen, NATO und
OSZE und Viermächte-Abkommen. Für die Wiedervereinigung stand kein
Modell zur Verfügung; ihre Politik war konturlos.

Drittens: Beide Länder überschätzten die destabilisierende Wirkung der Wie-
dervereinigung und, zumindest anfänglich, auch ihre eigene Rolle und Ein-
flußmöglichkeiten hierbei. Sie unterschätzten die Eigendynamik und den dar-
aus für die Bundesrepublik fast unvermeidlich folgenden Zwang zu selbständi-
gem Handeln als souveräner Staat. Letzteres weckte, weil ungewohnt, Wider-
stand und Mißtrauen in London und Paris. Dies umso mehr, als beide sich po-
litisch zunehmend an den Rand des Geschehens und geographisch an jenen
Europas verwiesen fühlten, nachdem Deutschland ins Zentrum von beidem ge-
rückt war.

Viertens: Die bestehenden Organisationen NATO und EU erwiesen sich als
Rettungs- oder Beruhigungsanker. Dabei zog allerdings Großbritannien die
Allianz, Frankreich die Union vor.

Fünftens: Für Großbritannien besonders schmerzlich war die Verlagerung der
„special relationship“ der Vereinigten Staaten von ihm weg hin nach Deutsch-
land. Nur seine besondere Rolle im Golfkrieg brachte diese Gewichtsverlage-
rung wieder einigermaßen, wenn auch nur zeitweilig, ins Lot.

Sechstens und langfristig wohl am wichtigsten: Die beiden ehemaligen Sie-
germächte Westeuropas sind mit und nach der Wiedervereinigung in die Reihe
„normaler“ Mittelmächte zurückgestuft. In ihrem widersprüchlichen und letzt-
lich fast hilflosen Verhalten während des Prozesses der Wiedervereinigung
enthüllte sich, daß frühere Könige nicht viel mehr Kleider haben als ihre Mit-
bürger. Danke sehr.

(Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Adolf Jacobsen: Vielen Dank, Herr
Gasteyger für die Interpretation Ihrer Thesen, die uns noch beschäftigen wer-
den. Herr Bingen als letzter, bitte.

Dr. Dieter Bingen: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und
Herren. Ich bin natürlich auch geehrt, vor diesem Gremium sprechen zu dür-
fen. Ich habe grundsätzlich drei Länder zu behandeln, werde aber nicht ent-
sprechend 60 Minuten beanspruchen. Meinen Kurzvortrag habe ich aufgebaut
in die Teile: Vergleich der Akteure Ostmitteleuropas; innere und äußere Fakto-
ren zur Bestimmung der Interessenlage und Handlungsspielräume Polens;
Faktoren polnischer Deutschlandpolitik im Herbst 1989; einige Bemerkungen
zur polnischen Politik im Zwei-plus-Vier-Prozeß.