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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 170 und 171
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Protokoll der 38. Sitzung

gungsprozess“ steht. Ihr Partner, der amerikanische Botschafter, ist noch nicht
anwesend. Wir haben vereinbart, daß wir in diesem Fall umwechseln und Sie
bitten, heute nachmittag zu beginnen. Bei uns in der Kommission ist es üblich,
daß die einzelnen Phasen von Mitgliedern der Kommission geleitet werden.
Ich hatte nur die offizielle Begrüßung für die Kommission insgesamt Ihnen
gegenüber zu machen und das weitere Prozedere wird Herr Professor Jacobsen
leiten.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Adolf Jacobsen: Ja, meine Damen
und Herren, wir wollen unsere Arbeit fortsetzen mit den beiden Beiträgen, von
denen die Rede war. Ich hatte mit Herrn Reiter schon die Möglichkeit, über
den einen oder anderen Aspekt kurz ein Gespräch zu führen. Es hat sich her-
ausgestellt, in welch hohem Maße das, was Dieter Bingen hier vorgetragen hat,
wahrscheinlich auch die Zustimmung von Herrn Reiter finden wird. Aber
warten wir ab, was er hier im einzelnen vortragen wird. Vielleicht könnten wir
von Ihnen auch etwas hören über die Einschätzung, die dem vereinten
Deutschland nun in Mitteleuropa zuteil wird, und das natürlich vor dem Hin-
tergrund der deutsch-polnischen Erfahrung. Ich darf jetzt bitten, daß Sie zu uns
reden, Herr Reiter.

Botschafter a. D. Janusz Reiter: Vielen Dank Herr Vorsitzender, meine Da-
men und Herren. Ich darf erst einmal die Vermutung bestätigen, daß ich dem,
was Dieter Bingen hier gesagt hat über die polnische Rolle im Vereinigungs-
prozess, weitgehend zustimmen kann. Ich habe Gott sei Dank ihm zuhören
können, und deshalb werde ich Ihnen einiges ersparen können von dem, was er
bereits vorgetragen hat. Ich will erst einmal aber beginnen mit einem Wort des
Dankes für die Einladung, hier an der Sitzung teilzunehmen, und mit einem
Wort der Anerkennung für die Arbeit dieser Enquete-Kommission, die ich für
großartig und für wirklich besonders wertvoll halte. Ich glaube, es ist eine Ga-
be an die Zukunft, eine Gabe an die kommenden Generationen und vielleicht
das Beste, was man tun kann, um Geschichtsfälschungen in der Zukunft und
Mythologisierung von Geschichte zu verhindern. Ich glaube wirklich, das ist
etwas Großartiges. Ich sage das auch mit einem gewissen Neid, denn ich ver-
misse eine vergleichbare Kommission, eine vergleichbare Anstrengung zur Er-
forschung der jüngsten Vergangenheit in Polen – und das in einem Land, das
ja als besonders geschichtsbewußt und in der Geschichte verankert gilt. Es gibt
nichts Vergleichbares in Polen, was ich sehr sehr bedauere.

Nun aber zu Polen und der deutschen Vereinigung. Ich muß hier auch den
Vorbehalt machen, den, glaube ich, auch Dieter Bingen schon gemacht hat. Es
wäre falsch und unfair, die polnische Rolle im Vereinigungsprozess nur in dem
engen Zeitraum zu betrachten vom Fall oder der Öffnung der Mauer bis zum
3. Oktober 1990. Man muß die polnische Rolle und den polnischen Beitrag in
einem erweiterten Zeitrahmen betrachten. Nur dann kann man, wie ich glaube,
zu einem vernünftigen Urteil kommen. Und wo ansetzen, in den 80er Jahren,
in der Zeit, in der in Polen zum ersten Mal eine wichtige außenpolitische Dis-
kussion begann? Es gab ja vorher keine Außenpolitik, und auch die Solidarität

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Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

war Anfang der 80er Jahre sehr zurückhaltend in dieser Frage und hat sich
nicht mit Außenpolitik beschäftigt, hat sich nicht auf außenpolitische Fragen
eingelassen. Das Kriegsrecht war aber ein Signal, diese Zurückhaltung aufzu-
geben, da sie keinen Sinn mehr hatte. Warum? Weil es auf der Hand lag, daß
das Scheitern der Solidarność nicht nur innenpolitisch zu erklären war. Das
Scheitern der Solidarność war im Grunde genommen vor allem ein Problem,
das man nur im europäischen Kontext verstehen konnte. Nun also stellte sich
die Frage, welche Schlußfolgerungen zieht man aus dieser Erfahrung, wenn
man die ablehnt, daß man sich mit dem Schicksal abfinden müsse. Also wie
konnte man den Handlungsspielraum der polnischen Politik erweitern? Das
war die Frage, die gestellt wurde in der polnischen Opposition der 80er Jahre.
Es boten sich theoretisch zwei Wege an. Der erste Weg war die Suche nach
einem Ausgleich mit Rußland, und es gab einige Vertreter der konservativen
Opposition, die diesen Weg interessant fanden. Sie hielten die Sowjetunion für
eine neue Inkarnation von Rußland und waren bereit, Rußland eine Art Kom-
promiß anzubieten, d. h. eine loyale Haltung Polens, beruhend auf der Aner-
kennung der sowjetischen Vormachtstellung, als Gegenleistung für die Aner-
kennung der innenpolitischen Selbständigkeit Polens. Ich glaube sagen zu
können, der Begriff Finnlandisierung klang in vielen Ohren durchaus ange-
nehm, er hatte einen angenehmen Klang. Viele in der konservativen Oppositi-
on bedauerten, daß die russische Politik so wenig Sinn für Realitäten hatte und
nicht bereit war, auf diejenigen einzugehen, die ihr etwas Sinnvolles anbieten
konnten. Übrigens, wenn die Sowjetunion in den 80er Jahren auf dieses Ange-
bot eingegangen wäre, hätte sie vielleicht aus ihrer Sicht ein gutes Geschäft
gemacht. Heute kann ich sagen, Gott sei Dank hat sie es nicht getan. Zehn Jah-
re später aber, als sie auf diese Idee kam, war es zu spät. Zehn Jahre später
konnte niemand mehr in Polen über so ein Angebot diskutieren. Selbst die An-
hänger dieser Denkrichtung erwarteten nicht, daß sie der Schlüssel zur Lösung
der polnischen Frage sein könnte. Sie war vielmehr konzipiert als ein Versuch,
auf längere Sicht eine Flexibilisierung der sowjetischen Politik zu erreichen.
Man muß immerhin bedenken, daß auch Gorbatschow eher auf die sogenann-
ten Reformkräfte in der polnischen kommunistischen Partei setzte, an deren
Reformfähigkeit freilich keiner mehr so richtig glauben mochte. Wenn das also
kein gangbarer Weg war, wohin konnte man sich wenden? Der Blick richtete
sich auf Deutschland. Polen hatte auf der westlichen Seite jenseits der Oder
und Neiße ein Nachbarland, die DDR, das nicht nur ein Instrument der sowje-
tischen Politik war, sondern immer mehr angesichts vor allem der Entwicklung
in Polen eine bedrohliche Eigeninitiative entwickelte. So mußte man damit
rechnen, daß alle Emanzipationsversuche in Polen von dem SED-Regime ge-
stört, wenn nicht gar verhindert würden. Ausgerechnet diese DDR sollte in der
offiziellen polnischen Sicherheitspolitik die Rolle eines Pfeilers spielen, denn
sie wollte die polnische Westgrenze garantieren und sollte ein Puffer sein, der
Polen von der Bundesrepublik trennte. Solange man diese Trennung für not-
wendig hielt, mußte man, wenn auch zähneknirschend, die DDR akzeptieren
mit allen Konsequenzen. Aber war das notwendig? War ein Puffer notwendig?
Diese Frage wurde in den 80er Jahren in Polen kritisch revidiert. Wollte man