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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 216 und 217
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Protokoll der 38. Sitzung

sicht und den Mut hatte, aus der Existenzkrise des sozialistischen Systems die
Konsequenz einer fundamentalen Reformpolitik zu ziehen. Dabei setzte er al-
lerdings Entwicklungen in Gang, die über seine begrenzten Ziele und damit
auch über ihn selbst hinweggegangen sind.

Daß bei der Neugestaltung der sowjetischen Westpolitik auch die deutsche
Frage erfolgreich gelöst werden konnte, war Folge der Tatsache, daß sich das
freie Deutschland über Jahrzehnte als demokratischer Staat und als Verbünde-
ter der westlichen Allianz bewährt hat und daß es – wenn auch bei den euro-
päischen Nachbarn eingeschränkt durch belastende historische Erinnerungen –
Vertrauen gefunden und erhalten hat.

Die Annahme, die zum Beispiel Egon Bahr bis 1990 immer wieder mahnend
in die Diskussion gebracht hat, NATO-Mitgliedschaft und deutsche Teilung
seien Zwillingsgeschwister, sie hat sich als irrig erwiesen. Richtig ist: Die
NATO und die Wiedererrichtung und Sicherung des vereinten demokratischen
Deutschland hängen untrennbar zusammen.

Drittens: Unentbehrlich für die Wiedererlangung der Einheit war die uneinge-
schränkte Unterstützung durch die USA. Am vergangenen Freitag ist in Stutt-
gart die historische Leistung von Präsident George Bush, der sich um die Ein-
heit unseres Landes verdient gemacht hat, zu Recht gewürdigt worden. Und
wenn man über die Kennedy-Brücke in Bonn fährt, kann man sich für spätere
Zeiten sicherlich noch manche zusätzliche Würdigung von George Bush auch
in Berlin vorstellen. Ich bitte um Nachsicht, daß ich meine Zeit etwas über-
schritten habe. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Vielen Dank Herr Seiters. Auf
den Vortrag von Herrn Seiters über die Politik der Bundesrepublik in der Pha-
se, über die wir hier diskutieren, folgt jetzt ein Vortrag von Markus Meckel
über die gleichzeitige Politik der DDR. Bitte Markus Meckel.

Markus Meckel, MdB: Es ist nicht ganz einfach, nicht nur nach diesem Tag,
sondern überhaupt, über die Politik der DDR im Vereinigungsprozess zu re-
den. Denn die Perspektiven sind sehr vielfältig, und die Fragen der Innenpoli-
tik, wobei ich jetzt meine, der deutsch-deutschen Politik, und der Außenpolitik
sind eng miteinander verflochten. Ich denke, es ist wichtig, das ist mein Ein-
druck der letzten Tage und der Feierlichkeiten um den 3. Oktober, überhaupt
noch einmal die Perspektive und auch manche Perspektivverschiebungen, die
es in der Wahrnehmung dieses Prozesses gegeben hat, deutlich zu machen. Bei
diesen Feierlichkeiten war die Rede von den Verdiensten der Präsidenten Bush
und Gorbatschow, was ja auch mit Recht geschah, natürlich von Helmut Kohl,
auch hier ist das Recht nicht zu bestreiten, und von den mutigen Menschen auf
den Straßen der DDR, die das alles möglich gemacht haben. Man könnte glau-
ben, daß nach spontanen Demonstrationen durch eine plötzlich mutig gewor-
dene DDR-Bevölkerung im Herbst 1989 das SED-Regime plötzlich zusam-

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Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

mengebrochen sei und die Bundesrepublik den ganzen Laden übernommen
habe.

Dies scheint die eine Perspektive. Die andere, noch schlechtere in meiner
Sicht, die noch öfter bis in Bundestagsreden hinein zu hören ist, lautet, daß 16
Millionen Ost-Deutsche durch die Einheit die Freiheit erhalten haben. Die Bei-
spiele für solche Perspektiven und Varianten ließen sich mehren, und es gibt
dann eine ganze Palette dazwischen. Sie machen deutlich, daß in der Erinne-
rung der allermeisten Menschen heute die Demonstrationen, der Mauerfall, die
Wahl und die deutsche Vereinigung zu einem Ereignis zusammenfließen, das
dann auch noch verharmlosend „Wende“ genannt wird. Das ist oft, wie ich
denke, nicht böser Wille. Man macht sich einfach keine Gedanken darüber.
Wenngleich natürlich manchmal auch Interessen im Spiel sind.

Die DDR als eigenständiger Akteur – oder besser, mit eigenständigen Akteu-
ren – im Vereinigungsprozess kommt normalerweise nicht vor. Vieles ist hier
bis heute auch nicht erforscht. Das muß man natürlich dazusagen. Die Dar-
stellungen und Dokumentationen der Bundesregierung lassen diese Dimension
zu großen Teilen weg. Zwar sind die Materialien weitgehend zugänglich, aber
es gibt keine Ausgaben dieser Dokumente, zum Beispiel eine Gesamtausgabe
der Plenardebatten der Volkskammer, die ich für ungeheuer wichtig hielte,
dieses Projekt ist bis heute nicht einmal in Angriff genommen. Oder die Proto-
kolle des Ministerrates oder auch des Koalitionsausschusses. Wer kennt die
unterschiedlichen Perspektiven und Handlungsebenen aus der Sicht der DDR?
Dies alles fällt in der Darstellung, in der Erinnerung völlig unter den Tisch.
Daß mir selbst die Materialien des eigenen Ministeriums bis heute nicht zu-
gänglich sind, ist dann nur noch ein Witz, wenn man es locker nehmen will,
weil das einzige Ministerium, dessen Akten nicht zugänglich sind, eben dieses
Außenministerium ist, wie ich finde mit sehr schlechten Argumenten. In den
ersten zwei Jahren der deutschen Einheit gab es dafür noch gute Argumente,
die Herr Genscher ja auch genannt hat. Heute gibt es sie wahrhaftig nicht
mehr.

Ein Rückblick braucht aber die verschiedenen Facetten dieser Geschichte, die
Darstellung der unterschiedlichen Positionen der Akteure und ihrer Entwick-
lung, ihrer Hintergründe, zumal es sich, darin sind wir uns ja wohl alle einig,
um eine Glücksstunde deutscher Geschichte handelt, und gleichzeitig ist es
auch ein wichtiges Erbe deutscher Demokratiegeschichte.

In meinem ersten Punkt, wenn dies eine Vorbemerkung war, möchte ich den
Weg der deutschen Einheit als Weg der institutionellen Selbstbestimmung der
DDR-Bürger beschreiben.

Wer die historischen Abläufe der 14 Monate zwischen dem Sommer 1989 und
dem 3. Oktober 1990 genau betrachtet, wird in der DDR verschiedene Phasen
unterscheiden müssen. Zuerst die Zuspitzung der Krise im Sommer 1989, ver-
stärkt durch die Fluchtwelle und die Öffnung der ungarisch-österreichischen
Grenze, dann die Herbstrevolution unter der Führung neuer oppositioneller