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Debatte des Deutschen Bundestages am 20. Mai 1992
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Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr
den Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts der Enquete-Kommission
„Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur“
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur“ - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Markus Meckel,
Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDEinsetzung einer Enquete-Kommission „Politische Aufarbeitung von Unterdrückung in der SBZ/DDR“ - zu dem Antrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur“ und Förderung außerparlamentarischer Initiativen zum gleichen Thema - zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Fritz Schumann
(Kroppenstedt), Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Politische Aufarbeitung der DDR-Geschichte“ - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Augustin,
Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Jörg van Essen, Heinz-Dieter Hackel, Dirk
Hansen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.
Aufgaben der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der
Folgen der SED-Diktatur“
– 12/2230, 12/2152, 12/2220 (neu) Buchstabe A, 12/2226, 12/2229, 12/
2597 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dorothee Wilms
Markus Meckel
Dirk Hansen
Gerd Poppe
Dr. Dietmar Keller
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine
Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann
ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile unserer Kollegin Dr. Dorothee Wilms
das Wort.
Dr. Dorothee Wilms (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Unsere tägliche Arbeit hier im Deutschen Bundestag ist normalerweise
auf Gegenwart und Zukunft gerichtet. Die Enquete-Kommission soll sich
vorwiegend mit der Vergangenheit und ihren Wirkungen auf die Gegenwart be-
schäftigen. Vergangenheit – so hat es Bundespräsident von Weizsäcker einmal
formuliert – könne man nicht bewältigen; sie lasse sich ja nicht nachträglich
ändern oder ungeschehen machen; wer aber vor der Vergangenheit die Augen
verschließe, werde blind für die Gegenwart.
Dieses Wort, meine Damen und Herren, war auf die Jahre der nationalsoziali-
stischen Diktatur in Deutschland gemünzt. Aber ich finde, es besitzt auch Gül-
tigkeit, wenn wir auf die Jahre der SED-Diktatur in Deutschland blicken. Wir
können diese 40 Jahre, die für ungezählte Deutsche Unrecht und Verfolgung
mit sich brachten, die Leid, Demütigung, Entmündigung und Entwurzelung
bedeuteten, nicht „bewältigen“, weil sie sich ja nicht ungeschehen machen
lassen. Wir können uns ihnen nur stellen, uns mit ihnen auseinandersetzen,
und das wollen und werden wir in der Enquete-Kommission tun.
Wir tun dies vor allem um jener Deutschen willen, die der SED-Diktatur
unterworfen waren und zu deren Opfern wurden und die auf der Schattenseite
deutscher Nachkriegsgeschichte standen. Selbstverständlich können wir das
Unrecht, das sie in über 40 Jahren erlitten haben, nicht in allem wieder-
gutmachen, schon gar nicht im materiellen Sinne, aber wir wollen ihnen –
so steht es in der Präambel unserer Beschlußempfehlung – Hilfen bei der
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Hilfen bei der Bewertung eigener
und fremder Verantwortung und Schuld geben, Hilfen, die heilend wirken
sollen. Es geht darum, jenen, die unter dem SED-Regime leben mußten, etwas
zurückzugeben, was ihnen der allmächtige Staat brutal zu nehmen versucht
hat: Selbstwertgefühl, Ehre, Identität.
Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit geht aber alle Deutschen an;
täuschen wir uns da nicht! So ist der Auftrag dieser Kommission ein
gesamtdeutscher Auftrag. Die Teilung Deutschlands mit all ihren Folgen war
unser gemeinsames Schicksal. Deshalb sprechen wir in der Präambel unserer
Beschlußempfehlung von den gemeinsamen Aufgaben aller Deutschen, sich
mit dem SED-Staat und seinen Folgen auseinanderzusetzen. Deshalb schlagen
wir vor, der Kommission folgenden Namen zu geben: Aufarbeitung der
Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur in Deutschland.
Die Kommission – die vorliegende Beschlußempfehlung zeigt es Ihnen – hat
sich selbst ein sehr großes und umfassendes Arbeitsfeld zugewiesen. Erlauben