schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 12, Band II/1, Seiten 282 und 283 (wp12b2_1_0286)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 282 und 283
282
Protokoll der 22. Sitzung

Dr. Siegfried Suckut: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Ich
danke sehr für diese Einladung. Ich habe mein Thema so strukturiert, daß ich
zunächst etwas über die Funktion der Blockparteien im politischen System
sagen, sozusagen das Grundmuster skizzieren möchte, danach etwas über die
gesellschaftspolitische Funktion und anschließend etwas über andere wichtige
politische und gesellschaftliche Funktionen dieser Parteien in der ehemaligen
DDR. Zum Schluß möchte ich eine Art Bilanz versuchen.

Ich habe einen Themenbereich bewußt ausgeklammert: Ich werde nicht auf
die Funktion dieser Parteien aus der Sicht der Mitgliederschaften detaillierter
eingehen, weil das ja das Thema des anschließenden Vortrages von Herrn Lapp
ist. Gleichwohl habe ich aber auch dazu gearbeitet und veröffentlicht. Ich habe
einen Beitrag ausgelegt, den ich im Mai dieses Jahres für das „Parlament“
geschrieben habe. Auch der Wortlaut meines Referates wird Ihnen nachher
zugänglich sein. Ich verspreche Ihnen, daß ich mich auch an die Zeitvorgabe
halten und mit 30 Minuten sicher auskommen werde.

Zum Thema: „Zur gesellschaftspolitischen Funktion und Bedeutung der DDR-
Blockparteien“!

Wer heute den Versuch unternimmt, Aussagen zur Funktion der Blockparteien
in der früheren DDR zu treffen, begibt sich auf schwieriges Terrain. Zwar
läßt sich nach Öffnung der Archive vieles beantworten, über das bisher nur
spekuliert werden konnte, doch geraten Beiträge zu diesem Fragenkomplex
leicht in den Sog der politischen Diskussion, die seit der Vereinigung entbrannt
ist.

Gelten diese Parteien den einen als Horte des Widerstandes, halten andere
sie für bloße „Blockflöten“, für klassische Mitläuferorganisationen. Eine
dritte Deutung führte Christian von Ditfurth in die Debatte ein, der vor
etwas mehr als einem Jahr eine Monographie zur DDR-CDU vorlegte
und die These vertrat, sie sei keineswegs als „Partei von Mitläufern“
anzusehen. Die Führungsrolle der SED anzuerkennen sei vielmehr „den
meisten ’Unionsfreunden’ . . . ein internes Bedürfnis“ gewesen. Die östlichen
Christdemokraten als überzeugte Anhänger des DDR-Sozialismus? – Zweifel
scheinen angebracht.

Im folgenden wird der Versuch unternommen, ungeachtet der tagespolitischen
Diskussionen und Interessen zu eigenen Aussagen zu kommen, die sich primär
auf die nun zugänglichen Materialien in den Archiven der SED, der LDPD
und der DDR-CDU stützen. Sie sollen aufgrund der knappen Zeit thesenartig
formuliert werden. Im Mittelpunkt werden die „alten“ Blockparteien, CDU
und LDPD, stehen.

Beide waren im Frühjahr 1945 als Parteien mit gesamtdeutschem Orga-
nisationsverständnis gebildet worden. Das entsprach den Vorstellungen der
Gründungsväter ebenso wie den Interessen der Besatzungsmacht. Ihr ging es
darum, die nichtkommunistischen Kräfte schon früh in ein festes Bündnis mit

283
Blockparteien und Massenorganisationen

der KPD einzubinden und von Berlin aus die Strukturen des zukünftigen ge-
samtdeutschen Parteiensystems und die Kooperationsformen vorzuprägen.

CDU und LDPD waren als Blockmitglieder formal gleichberechtigte Bünd-
nispartner der KPD – eben keine Massenorganisationen – und hatten bei den
Wahlen im Herbst 1946, zusammengenommen, ein besseres Ergebnis erzielt
als die SED. Sie waren deren Verbündete, aber zugleich Konkurrenten um
die Macht – ein Grundwiderspruch, der auch in den folgenden Jahren immer
wieder aufschimmerte. So angepaßt sich ihre Führungen später verhielten, die
machtbewußte Staatspartei sah in ihnen stets auch potentielle Kontrahenten.

Gerade die CDU und LDPD behielten bei den Machtträgern das Odium
von Organisationen, deren Mitglieder „altes“ Denken noch nicht überwunden
hatten, zumindest in der Gefahr standen, ihm wieder zu verfallen. Kleinbürger
eben, die sich ein Leninist nur als politisch noch Schwankende vorstellen
konnte.

Unter gesamtdeutschen und Legitimationsaspekten war es für die SMAD
wichtig, daß sie den gesellschaftspolitischen Veränderungen in der östlichen
Besatzungszone zumeist zugestimmt hatten, wenn auch oft nur widerwillig
und auf massives sowjetisches Drängen hin.

In dem Maße, in dem sich die Spaltung vertiefte und der Aufbau des Sozia-
lismus im Osten voranschritt, erschienen der SED nationale Rücksichtnahme
und potentielle Vermittlungsdienste verzichtbar. Gerade in Phasen von revo-
lutionärem Optimismus neigte sie dazu, die Bedeutung der Blockparteien nur
noch gering zu schätzen; häufig schien deren Fortexistenz ernsthaft bedroht.

Das gilt etwa für das Jahr 1948, für die Monate nach der 2. Parteikonferenz
der SED 1952, die ersten Jahre nach dem Mauerbau und den Beginn der Ära
Honecker, als die halbstaatlichen Betriebe in staatliche umgewandelt wurden
und – kurz darauf – die „Schaffung der Grundlagen des Kommunismus“ zum
Parteiprogramm erklärt wurde.

In Phasen machtpolitischer Verunsicherung der SED dagegen, speziell dann,
wenn die Legitimationsdefizite des DDR-Sozialismus besonders spürbar wur-
den, konnten die Block-Verbündeten stets ihre Position festigen und erfreuten
sich wachsender Wertschätzung durch die Führungspartei. So mit Beginn des
„Neuen Kurses“ Anfang Juni 1953, im Zuge der Entstalinisierungsdebatte
1956 und unter dem Eindruck der Entwicklung in Polen wie der zunehmenden
ökonomischen Probleme im eigenen Land seit Ende der 70er Jahre.

Jetzt galt der Sozialismus als „relativ eigenständige langandauernde gesell-
schaftliche Entwicklungsformation“, in der sich soziale Vielfalt erhalte und
sogar weiter auspräge. Vom Kommunismus war nicht mehr die Rede, wohl
aber vom „stabilen Platz“ und der „langfristigen Perspektive“ der Blockpar-
teien, die nun ermutigt wurden, „eigenständige, unverwechselbare Beiträge“ –
wie es hieß – beim Ausbau der sozialistischen Ordnung zu leisten.