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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 300 und 301
300
Protokoll der 22. Sitzung

Parteifreunden besucht wurden; offiziell kamen immer 80 bis 90 Prozent, in
Wahrheit aber besuchten diese Veranstaltungen oft weniger als 50 Prozent.

Zusammenfassend: Die Mitgliedschaft in einer der vier DDR-Blockparteien
sollte nicht durchweg negativ bewertet werden. Es war sicher keine Wider-
standshandlung, diesen Parteien beizutreten, aber längst auch nicht immer
Opportunismus. Die Mitgliedschaft bot denjenigen DDR-Bürgern eine Gele-
genheit zum Mitmachen, die das damalige politische System als weitgehend
geschlossen ansehen mußten und die die vorhandenen Rinnsale erwünschter
Mitarbeit in Teil- und Randbereichen von Staat und Gesellschaft als Chance
ansahen, sich einzubringen und zugleich Nichtkommunist zu bleiben.

Man konnte mit einer Blockparteimitgliedschaft eine gewisse berufliche
Karriere machen oder absichern, im örtlichen Politikbereich Einfluß nehmen
auf zweit- und drittrangige Entscheidungen. Man konnte in den Ortsgruppen
offen und kritisch diskutieren und Informationen von Parteifreunden erhalten,
die Ämter im Staats- und Wirtschaftsapparat innehatten. Und man konnte –
nicht zuletzt – in der Mangelwirtschaft der DDR Tauschbeziehungen zu
Parteifreunden herstellen, die besser klappten als ohne Mitgliedsbuch; man
half sich unter Parteifreunden intensiver. Auch der Gedanke an eine künftige
deutsche Einheit, wenn auch nicht als Nahziel, bleib vor allem in LDPD und
CDU, aber auch in Teilen der NDPD erhalten, nicht zuletzt durch Kontakte
im Rahmen der innerdeutschen Städtepartnerschaften.

Da alle Blockparteimitglieder aus verantwortlichen Positionen einschließlich
des Schutz- und Sicherheitsbereichs herausgehalten wurden – es gab ja keine
Offiziere oder Generale bei VP oder NVA, die einer Blockpartei angehörten –,
gerieten sie nie in die Versuchung, Entscheidungsträger werden zu müssen,
und konnten deshalb, auch im Selbstverständnis, relativ sauber und unbelastet
bleiben in realsozialistischer Umwelt. Man war einer Partei von Stellvertretern
beigetreten, nicht der herrschenden SED.

Mittun und Mitmachen gaben in diesem System die Möglichkeit, Nischen
zu bilden und zu besetzen, in denen es in der Regel ein wenig freier und
menschlicher zuging als anderswo. Diese Nischen blieben frei von wirklicher
Verantwortung und Macht und damit auch frei von größerer Schuld.

Daß aus heutigem Wissen heraus die totale Verweigerung im Realsozialismus
der DDR die deutlichere Antwort an die SED gewesen wäre, werden auch
viele der früher rund 500 000 Blockparteimitglieder einräumen. Aber, wie
gesagt und eingangs erwähnt: Bis zum Herbst ’89 mußte man damit rechnen,
daß die DDR 1999 ihren 50. Geburtstag begehen würde.

Schönen Dank. (Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Hartmut Soell (SPD): Danke schön, Herr Lapp.
Wir werden nachher in der Fragerunde auch Sie sicherlich noch befragen.

Ich möchte jetzt Herrn Hertle nach vorn bitten. Hans-Hermann Hertle ist

301
Blockparteien und Massenorganisationen

wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin, Zentralinstitut
für sozialwissenschaftliche Forschung. Er hat sich mit der Geschichte der
Gewerkschaften in der alten Bundesrepublik ebenso wie in der ehemaligen
DDR beschäftigt. Er hat zusammen mit dem Kollegen Wilke vor wenigen
Monaten einen Dokumentenband über „Das Genossen-Kartell – die SED und
die IG Druck und Papier / IG Medien“ veröffentlicht, hat über den FDGB
gearbeitet und insbesondere im Zusammenhang mit der Veröffentlichung
des Schürer-Dokuments vom Herbst 1989, eines Dokuments, das über die
wirtschaftliche Situation der ehemaligen DDR, wie sie im Herbst 1989 nun
tatsächlich war, Auskunft gibt, auch noch zusätzliche Dokumente veröffent-
licht. Gerade dieses Dokument wird uns ja im Zusammenhang mit dem Thema
„Wirtschaft“ noch intensiv beschäftigen.

Herr Hertle, Sie haben das Wort.

Hans-Hermann Hertle: Herr Vorsitzender, ich bedanke mich für die Vor-
schußlorbeeren.

Nach den Beiträgen meiner Vorredner erkenne ich allmählich die geschickte
Regie der Enquete-Kommission. Ich hatte schon Bedenken, daß ich als Dritter,
als der ich hier spreche, dadurch Aufmerksamkeit erringen muß, daß ich
besonders scharf pointiere; das habe ich auch vor. Aber die Aufmerksamkeit
ist mir jetzt vielleicht auch noch dadurch sicher, daß ich in bezug auf den
FDGB zumindest zu der gegenteiligen These kommen werde im Vergleich zu
meinen Vorrednern.

Herr Eppelmann hat in seiner Einleitung darauf hingewiesen, daß in der
Öffentlichkeit die Bürger in der DDR Blockparteien und Massenorganisationen
überwiegend als Transmissionsriemen wahrgenommen haben. Hier scheint
mir, wiederum bezogen auf den FDGB, der Fall vorzuliegen, daß die
Forschung diese Alltagswahrnehmung nicht nur bestätigt, sondern durch die
Möglichkeit der Akteneinsicht, die ich jetzt hatte, sogar noch vertieft.

Die These, die Sie dieser Einleitung schon entnehmen können, ist, daß der
FDGB zumindest in dieser Hinsicht, was Gefolgschaftstreue und Transmissi-
onsfunktion angeht, seinen Plan übererfüllt hat.

Zur Absicherung ihres Herrschaftssystems und bei der Durchsetzung ihrer
Politik stützte sich die SED neben den Blockparteien auf ein Netz von
Massenorganisationen – ich möchte sie jetzt nicht alle aufzählen –, die alle
sozialen Gruppen und Schichten der Gesellschaft entlang ihrer sozialen, kul-
turellen, wissenschaftlichen, sportlichen und anderen Interessen organisierten
bzw. organisieren sollten.

Das weitverzweigte Kapillarennetz der Massenorganisationen in die Tiefen
und Verästelungen der Gesellschaft machte sie für die SED als Transmissions-
und Kontrollorgan und für das MfS als Informationsbeschaffungs- und Beein-
flussungsinstrumente besonders attraktiv. Jede durch sie erhaltene Information