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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 344 und 345
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Protokoll der 22. Sitzung

als unsere Gäste hier mitwirken (Anlage 1). Ich darf die Leitung jetzt an Herrn
Hansen übergeben.

Gesprächsleiter Dirk Hansen (F.D.P.): Vielen Dank, Frau amtierende
Vorsitzende. Es hat offenbar mit dem Innenleben dieser Enquete-Kommission
zu tun, daß ich jetzt das Vergnügen und die Ehre habe, einfach das Wort zu
erteilen. Meine Damen und Herren, auch von mir aus natürlich herzlichen
Dank, daß Sie sich bereiterklärt haben, an dieser Anhörung teilzunehmen.
Ganz unabhängig davon, was Sie zu sagen haben, finde ich, ist diese
Tatsache alleine schon sehr dankenswert, und ich möchte das ausdrücklich im
Namen aller betonen. Und die zweite Bemerkung möchte ich auch insofern
verallgemeinernd machen, indem ich Sie, die gleich zu Wort kommen werden,
als Sachverständige im weitesten Sinne des Wortes betrachte, wie wir alle
Sie als solche sehen. Dies ist eine Anhörung und Ihre zu hörende Meinung
wird wahrscheinlich eine Meinung unter sehr vielen sein. Sie soll eingehen
in unseren jeweils individuellen Meinungsbildungsprozeß, aber auch in den
der Kommission. Von daher braucht nicht vorschnell beurteilt zu werden, wie
die einzelne Meinung in eine irgendwann zu erarbeitende Stellungnahme der
Kommission insgesamt einfließen wird. In der Reihenfolge der Zusagen ist
zunächst Herr Hans-Jörg Graumann aus Gräfenhainichen von der ehemaligen
SED-Kreisleitung Gräfenhainichen hier unter uns. Vielen Dank, daß Sie da
sind. Sie haben das Wort.

Hans-Jörg Graumann: Meine Damen und Herren, ausgehend von der
fortgeschrittenen Zeit und der Tatsache, daß vieles Wichtige bereits heute
gesagt worden ist, möchte ich mich nur zu wenigen Punkten äußern, die
mich sehr bewegt haben in den heutigen Morgenstunden. Ich möchte davon
ausgehen, daß vieles, was heute offengelegt werden soll, nicht aus der
Sicht der Wendezeit und danach betrachtet werden kann. Das wäre, meiner
Ansicht nach, zu kurz gefaßt. Manchmal schien mir das schon so, daß dies
geschieht. Allein die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Veränderung: eine
Abkehr vom Sozialismus spielte über nahezu 40 Jahre DDR bei fast keinem
Durchschnittsbürger, Genossen der SED oder Mitglied einer Blockpartei eine
bewußte oder bewußtseinsmäßige Rolle. Vieles sollte, meiner Ansicht nach,
auch regional unterschiedlich analysiert und bewertet werden. Die Anonymität
trotz Staatssicherheit ist ja wohl in einer Kreisstadt von 10 000 Einwohnern
anders als in einer Großstadt, wie z. B. Leipzig oder Dresden. Hätte es in
einer Kreisstadt wie Gräfenhainichen irgendwo Opposition gegeben, wäre
wohl der Fall zum echten Fall viel früher geworden als in einer Großstadt.
Die grundsätzliche Praxis war hier wie überall. Es gab in den Blockparteien –
das zeigte auch meine Arbeit – unter den Funktionären zweierlei Meinungen.
Es gab a) im wesentlichen die offizielle, den Kurs der SED bejahende
Meinung, und es gab b) eine gewissermaßen private Meinung, die oft von
den offiziellen Linien abwich und das sogar mitunter sehr wesentlich. Vor

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Blockparteien und Massenorganisationen

allem in persönlichen Dialogen mit Mitgliedern von Blockparteien oder mit
deren Funktionären war das festzustellen.

Ein paar Bemerkungen zur institutionalisierten Anleitung. Damit die Linie
der SED in den Blockparteien und Massenorganisationen durchgesetzt wird,
gab es auf Kreisebene regelmäßige Beratungen zwischen der SED, den
Blockparteien und Massenorganisationen, also auch mit der GST, dem DTSB,
den Konsumgenossenschaften, dem Kulturbund und dem FDGB und anderen.
Hier wurden insbesondere auch Wertungen vorgenommen. Hielten denn
die anderen sogenannten Blockparteien zur Stange, oder gab es irgendwo
abweichlerische Meinungen, die irgendwo dann zum Fall geworden wären?
In meiner Praxis, in der kurzen Zeit, in der ich in der Abteilung „Agitation/
Propaganda“ war, hatte ich selbst in Vertretung des Sekretärs für Agitation
und Propaganda solche Beratungen zu leiten. Es gab sicher offene Fragen
dort, aber es gab nicht solche Fragen, bei denen man hätte sagen müssen,
es zeichnete sich etwas anderes ab als das, was die Linie war. Es gab
auch Gespräche des ersten Sekretärs der Kreisleitung mit Sekretären und
Kreisvorsitzenden der Blockparteien und Massenorganisationen, wobei ich
hier einmal die Gewerkschaft ausklammern muß. Es war ja prinzipiell so,
daß der Vorsitzende des Kreisvorstandes des FDGB Genosse war und daß er
Mitglied des Sekretariats der SED-Kreisleitung war. Hier ging es also um
die unmittelbare Aufgabenvermittlung oder die Auseinandersetzung unter
Genossen, wenn Aufgaben nicht im Sinne der Parteipolitik erfüllt worden
waren oder wenn es vielleicht mal den Anschein von abweichlerischen
Meinungen gab.

Zum politischen Programm. Sicher hatte auch die einzelne Blockpartei auf
Kreisebene ihre eigenen Vorstellungen, ihre Aufgaben, ihre Motive, aber
es war prinzipiell auf Kreisebene genau so, wie das heute bereits gesagt
worden ist: die Blockparteien hatten ihre kreislichen Beratungen erst nach
prinzipiellen Parteitagen der SED. Also, alles das, was vorbestimmt wurde,
wurde von diesen Blockparteien nachvollzogen. Und im wesentlichen war das
auf Kreisebene so, daß halt Zustimmung geäußert wurde – unter dem Motto
„Die auf das Wohl des Menschen und des Volkes gerichtete Politik der SED
...“ Entschuldigen Sie bitte, aber ich muß es mal so sagen. Inhaltlich waren
die Programme der Blockparteien im übrigen Abklatsch der SED-Politik, auch
auf Kreisebene.

Einige Bemerkungen zu Mitgliedern und der Funktionärsauswahl. Auf Krei-
sebene war das so, daß es – ich kann es wohl so pauschalieren – bei der
Besetzung von Funktionen in Blockparteien und Massenorganisationen eine
Abstimmung auf der ganzen Linie gab. Also, es wurde im Grunde genommen
nur der Funktionär eingesetzt, für den die Zustimmung durch die Sekretariate
der Kreisleitung vorlag. Die „Entwicklung“ von DBD-Funktionären geschah
z.T. sogar über Parteischulen der SED. Das ist aber kein Geheimnis, daß die