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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 390 und 391
390
Protokoll der 22. Sitzung

An anderer Stelle hieß es, die LDP gehe dazu über, „stärker Kritik an
Maßnahmen des Staatsapparates zu üben“.

Der Bericht stellte abschließend fest: „Die Vorgänge in Polen und Ungarn
haben die schwankende bzw. feindliche Haltung noch verstärkt.“

Politbüromitglied Matern wurde im April 1957 über „unklare bzw. feindliche
Auffassungen in der LDP“ und von „einer falschen Linie der zentralen Partei-
leitung“ informiert, die darauf hinauslaufe, „die LDP unbedingt zahlenmäßig
zu verstärken“.

Die Auswahl der Zitate aus SED-internen Einschätzungen ist repräsentativ für
die Zeit von Anfang der 50er Jahre bis zur Wende 1989. Sie entlasten die
LDP-Führung nicht von feigem Opportunismus, moralischem Versagen und
politischer Schuld. Sie belegen auf besondere Weise

  • das in der LDP organisierte SED-kritische Potential;
  • die Unsinnigkeit der Behauptung, LDP-Mitglieder seien nicht nur „Block-
    flöten“ gewesen, sondern hätten aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer
    „SED-nahen Organisation“ Privilegien genossen;
  • daß, was einzelne Mitglieder und LDP-Verbände (Ortsgruppen, Arbeits-
    kreise, Kreisvorstände usw.) angeht, unterschieden werden muß zwischen
    verbalen politischen Bekenntnissen und alltäglichem Verhalten;
  • Bemühungen, „DDR-Legalität“ bis an ihre Grenzen auszureizen; das be-
    zieht sich auf Gesetze und Vorschriften und noch mehr auf ungeschriebene
    politische Regeln und Verfahrensweisen;
  • daß LDP-Mitglieder, um elementare Lebenserfordernisse sicherzustellen,
    in zahlreichen Gremien (u. a. in der Nationalen Front) mit der SED
    notwendigerweise zusammenzuarbeiten.

Die in der LDP stets vorhandene demokratische Grundstimmung gewann mit
Gorbatschow allmählich reformpolitische Konturen und ließ die Partei im
Herbst 1989 zu einem Wegbereiter der Wende werden.

gezeichnet: Dr. Schmieder

Bonn, 11.12.1992

4. Hans-Hermann Hertle: Funktion und Bedeutung der Massenorganisationen
in der DDR am Beispiel des FDGB (Manuskriptfassung)

I.

Zur Absicherung ihres Herrschaftssystems und bei der Durchsetzung ihrer
Politik stützte sich die SED neben den Blockparteien auf ein Netz von
Massenorganisationen – wie z. B. den FDGB, die FDJ, den DFD, die
DSF, den DTSB, die Volkssolidarität, die GST u. a. –, die alle sozialen
Gruppen und Schichten der Gesellschaft entlang ihrer sozialen, kulturellen,

391
Blockparteien und Massenorganisationen

wissenschaftlichen, sportlichen u. a. Interessen organisierten bzw. organisieren
sollten.

Das weitverzweigte Kapillarennetz der Massenorganisationen in die Tiefen
und Verästelungen der Gesellschaft machte sie für die SED als Transmissions-
und Kontrollorgan und für das MfS als Informationsbeschaffungs- und Beein-
flussungsinstrumente besonders attraktiv; jede durch sie erhaltene Information
mußte zudem nicht mit eigenen Mitteln erarbeitet oder wie im Falle des MfS
konspirativ erspäht werden.

Politische Ideologie- und Verhaltenskontrolle in ihren vielfältigen Formen
und im organisierten Zusammenspiel zwischen der SED, den Massenorga-
nisationen und dem MfS war im SED-Herrschaftssystem das funktionale
Äquivalent zur Intermediarität autonomer gesellschaftlicher Organisationen
und politischer Institutionen in pluralistisch verfaßten westlichen Demokratien
und eine wesentliche Bestandsbedingung der kommunistischen Diktatur.

Entgegen Tendenzen in der westdeutschen DDR-Forschung vor 1989, dem
FDGB eine wachsende Bedeutung als eigenständiger Interessenorganisation
(„interest group“) im politischen System der DDR zuzuschreiben, möchte ich
im folgenden die These belegen und zur Diskussion stellen, daß der FDGB
in seiner Hauptfunktion auf Transmission und Kontrolle ausgerichtet war, und
entsprechend von einer wie auch immer gearteten „Interessenorganisation“ in
seinem Zusammenhang kaum die Rede sein kann.

II.

Zunächst zur Steuerung des FDGB durch die SED: Der FDGB war mit
9,6 Millionen Mitgliedern nicht nur die größte Massenorganisation der SED,
sondern mit seiner nahezu totalen Erfassung aller Beschäftigen (9 613 059
Mitglieder; Organisationsgrad 1989: 97,4 Prozent; am 1. Januar 1989 waren
exakt 207 356 Beschäftigte nicht im FDGB organisiert) zugleich die wichtig-
ste.1 Mit seiner Präsenz in allen Betrieben und Verwaltungen, 351 792 FDGB-
Gruppen, 25 403 Abteilungsgewerkschaftsorganisationen, 47 477 Betriebsge-
werkschaftsorganisationen2, 1 698 Kreisvorständen der Fachabteilungen, 237
FDGB-Kreisvorständen, 211 Bezirksvorständen der Fachabteilungen und 15
FDGB-Bezirksvorständen verfügte der FDGB von den Betrieben bis in die
Bezirke über den dichtesten, flächendeckendsten politischen Apparat der DDR,
mit den annähernd einer Milliarde Mark Einnahmen alleine aus Mitgliedsbei-
trägen größten jährlichen Finanzetat und mit 16 250 hauptamtlichen Kadern
(1987) über die meisten politischen Funktionäre aller Massenorganisationen.

 

  1. Vgl. Bundesvorstand des FDGB/Abteilung Organisation, Statistische Übersichten. Ergebnisse der Gewerkschaftswahlen 1989, o.O. (Berlin-Ost), o.J. (1989), S. 3
  2. Vgl. ebd.