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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 420 und 421
420
Protokoll der 25. Sitzung

SED-Diktatur unser Handeln zu bestimmen. Wir sollten versuchen, dem We-
sentlichen auf den Grund zu kommen. Dabei will ich eine Eingrenzung machen
zu dem, was oftmals die Tagespolitik bestimmt. Die Enttarnung „inoffizieller
Mitarbeiter“ des Ministeriums für Staatssicherheit ist meines Erachtens, wenn
man sich nur darauf konzentriert, geeignet, falsche Schwerpunkte zu setzen
und von dem, was notwendig ist – nämlich der notwendigen Aufarbeitung der
DDR-Vergangenheit –, abzulenken. Das Wesentliche – das war in der DDR
die Partei, die SED; nur wenn dies im Vordergrund steht, wird aus meiner
Sicht der Tendenz zu unverantwortlicher DDR-Nostalgie entgegengewirkt.

Spitzeldienste geleistet zu haben, ist – darüber sind wir sicherlich einer
Meinung – eine schmutzige Angelegenheit. Doch wenn wir uns nur mit diesen
Leuten beschäftigen, verlieren wir leicht das Wesentliche aus den Augen,
und das ist die Partei, die die Menschen dazu ermuntert und verführt hat,
so zu handeln. Es ist trotzdem nicht überflüssig, zu fragen, was dieser und
jener in fraglicher Zeit getan hat. Dort, wo Verbrechen geschehen sind, wo
Fehlverhalten anderen geschadet hat, sollten, ja müssen die Betroffenen zur
Rechenschaft gezogen werden.

Theo Sommer schrieb zu diesem Thema in der letzten Ausgabe der „Zeit“,
es komme auf Lernprozesse an, weniger auf Strafprozesse. Ich meine, hier
irrt Theo Sommer; es kommt auf beides an: Lernen aus Fehlern und Strafe
für Verbrechen. Aber es muß auch gelten: Menschen haben ein „Recht auf
Irrtum“. Es steht uns jedenfalls – das ist meine Überzeugung – nicht zu,
einfach nur pauschal über jene zu richten, die einer falschen Ideologie gefolgt
sind. Wir müssen uns – so meine Position – differenzierter als bisher der
Mühe unterziehen, die komplexen Informations- und Entscheidungswege des
Regimes zu untersuchen. Erst wenn wir die Funktionsweise der Diktatur
erfassen, lernen wir richtig für die Zukunft und können wir wirklich beurteilen,
welche Rolle einzelne darin gespielt haben.

Wir beobachten derzeit eine rasche punktuelle Historisierung der DDR – punk-
tuell, weil die Medien dem außergewöhnlichen, dem besonderen Verbrechen
auf der Spur sind. Beinahe täglich konfrontieren sie uns mit Ergebnissen
akribischer, jedoch nicht immer ausgewogener Nachforschungen. Mit der
Hartnäckigkeit von Spürhunden werden vermeintliche oder wirkliche Übeltäter
ermittelt und ins grelle Licht der Öffentlichkeit getrieben – so lange, wie das
Thema absatzfördernd aufbereitet werden kann. Und manchmal hat man den
Eindruck: Es ist schon fast gleichgültig, welches Ergebnis die Untersuchungen
haben, wenn sie denn nur zu Überschriften führen, und viele Menschen sagen:
„Nun hört doch mal endlich auf!“ Das wäre auch eine falsche Schlußfolge-
rung.

Meine Damen und Herren, ich sage hier nichts weiter konkret zu dem
Honecker-Prozeß – auch aus meiner Verantwortung in der Politik gegenüber
der Justiz heraus nicht –, aber es ist schon bemerkenswert, wieviel wir in den

421
Machthierarchie der SED

vergangenen Wochen über Herrn Honeckers Leber erfahren haben und wie
wenig über seine Herrschaft. So wichtig der Beitrag journalistischer Arbeit
für die Geschichtsschreibung auch sein mag, er reicht nicht aus, um seriöse
Forschung zu ersetzen.

Das, meine Damen und Herren, ist der Grund, warum ich jedenfalls die
Arbeit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages für so wichtig
halte, warum ich die Arbeit mit großem Interesse verfolge, warum das viele
Menschen in diesem Lande tun und warum die Arbeit so wesentlich ist. Dabei
weiß ich. Ihre Aufgabe ist umfangreich. Ich jedenfalls wünsche, daß Ihre
Arbeit hilft, unsere Geschichte besser zu begreifen. Wenn dies gelingt, kann
die Enquete-Kommission über ihr eigentliches Ziel hinaus einen substantiellen
Beitrag zur Verwirklichung der inneren Einheit unseres Landes leisten. Dabei
wünsche ich viel Erfolg. (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ganz herzlichen Dank, Herr Regierender
Bürgermeister, für Ihr nachdenkenswertes Wort und Ihre guten Wünsche.

Wir wollen uns dem Thema „Entscheidungsstrukturen in der SED-Führung“
weiter nähern. Wir haben dazu drei Referenten gebeten, die offenbar alle
das gleiche Thema haben: Entscheidungsstrukturen in der SED-Führung,
Verknüpfung zwischen Partei und Staat in der DDR, Mittel und Wege der
sowjetischen Einflußnahme Ende der vierziger Jahre – diesen Teilsaspekt
wird uns Herr Professor Weber aus Mannheim nahebringen –, in den fünziger
Jahren – dazu hören wir Fritz Schenk, Zweites Deutsches Fernsehen Mainz –
und danach abschließend Professor Dr. Wolfgang Seiffert, Universität Kiel,
zu den sechziger und siebziger Jahren. Bitte, Herr Professor Weber!

Prof. Dr. Hermann Weber: Verehrte Anwesende, fast genau zehn Jahre
vor Kriegsende, am 3. Mai 1935, kurz vor den blutigen Säuberungen in der
Sowjetunion, hat Stalin einen Ausspruch getan, der in der Folgezeit immer
wieder zitiert worden ist und als Leitlinie kommunistischer Parteien gegolten
hat. Der Ausspruch lautete: „Die Kader entscheiden alles!“ Dieser Ausspruch
zeigte zur damaligen Zeit, daß Stalin der Meinung war: Das Regierungssystem,
das Herrschaftssystem, die Diktatur waren so gefestigt, die Institutionen waren
herausgearbeitet, die Mechanismen der Macht eingeübt, so daß es, wenn man
dieses System längerfristig aufrechterhalten wolle, darauf ankomme, genügend
Kader auszubilden, damit die dann die entsprechenden Postitionen besetzen
könnten.

Im Jahre 1945, als die Rote Armee im Ostteil Deutschlands einrückte, ging
die Vorstellung Stalins natürlich nicht nur dahin, hier ein System nach dem
Muster seines Sowjet-Systems zu errichten; es gab eine ganze Reihe anderer
Problemfelder, die ihn beeinflußten. Nur, als man daranging, dies zu tun, hatte
man die Schwierigkeit, beides gemeinsam schaffen zu müssen, sowohl die
Institutionen, den Ausbau der Mechanismen, als eben auch die Heranbildung
der entsprechenden Kader.