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Deutschlands mit einer Status-quo-Politik, mit Päckchen und Besuchsreisen
zufriedenzustellen glaubten.
Man konnte es aber wissen – und als Juristen würden wir sagen: man mußte es
bei sorgfältiger Prüfung wissen –, daß das zu kurz gegriffen ist, daß man eine
längere Sicht im Auge haben muß, und man hätte dann anders vorbereitet in die
Vereinigungsprozesse hineingehen können, als man praktisch hineingetreten
ist. (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank auch Ihnen, Herr Pro-
fessor Seiffert! – Wir haben jetzt drei Referate zum gleichen Thema unter
Berücksichtigung unterschiedlicher Zeitabschnitte gehört. Die Mitglieder der
Enquete-Kommission haben jetzt – einschließlich der für die Antworten nöti-
gen Zeit – eine gute halbe Stunde Zeit, Fragen zu dem Gehörten zu stellen.
Der erste Fragesteller ist Herr Professor Soell!
Abg. Prof. Dr. Soell (SPD): Meine Frage richtet sich an Herrn Seiffert und
betrifft insbesondere seine These, wenn der Westen 1961 ein viertes Essential
aufgestellt hätte, dann hätte es keine Mauer durch Berlin gegeben.
Meine Frage an Sie: Reicht der Schluß, den Sie aus der Äußerung Chruscht-
schows gezogen haben, die Sie zitiert haben, aus, um eine solche These
zu formulieren, wenn man die Gesamtpolitik Chruschtschows einbezieht –
sein riskantes Manöver ein Jahr später in Kuba, bei dem er dann einen Teil
zurückgewichen ist, mit dem er aber, was meist verschwiegen wird, natürlich
auch Erhebliches bekommen hat?
Erstens: Amerikanische Mittelstreckenraketen in der Türkei sind abgebaut
worden, die sowjetischen Mittelstreckenraketen alter Art – SS 5, SS 6 –
blieben zunächst dort und wurden später sogar durch die SS 20 „modernisiert“.
Zweitens hat er eine Garantie bekommen, daß die USA nicht mehr so etwas
unternehmen würden wie wenige Monate vor dem Berlin-Ereignis in der
Schweinebucht, als dort nämlich eine Landung von Exilkubanern stattfand,
unterstützt durch die CIA. Daß das alles künftig nicht mehr stattfinden sollte,
wurde ihm garantiert.
Wenn man das bedenkt und überlegt, was der Westen in Berlin – außer
den drei Essentials für West-Berlin – hätte geben können, muß man sich
natürlich fragen, was der Westen in diesem System von Geben und Nehmen
unter dem nuklearen Patt hätte weggeben können. Dazu müßte man wohl die
amerikanischen Dokumente studieren, soweit sie freigegeben sind.
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herr Dr. Müller, bitte!
Abg. Dr. Müller (CDU/CSU): Ich habe zu einem ganz anderen Thema eine
Frage an Herrn Professor Weber.
Herr Professor Weber, Sie haben in Ihrem Referat davon gesprochen,
daß es nach dem Krieg – 1947, 1948 – an der Parteihochschule eine
gewisse Liberalität in dem Sinne gegeben habe, daß man alle möglichen
Zeitungen auch westlicher Herkunft habe lesen können, was eigentlich all dem
widersprochen hat, was die anderen Referenten anschließend für die spätere
Zeit gesagt haben.
Das System, wie sich die Partei darstellte, hat es ja schon vor 1945 gegeben,
vor allem in der Emigration in der Sojwetunion, denken Sie nur an die
Säuberungen. Da war es ja ganz klar, wie es hier abgelaufen ist.
Meine Frage ist nun: War das 1947, 1948 nur eine kurzfristige taktische
Variante, oder war man gezwungen – auch durch den Zwangsvereinigungs-
prozeß mit der SPD –, für eine gewisse Zeit das strikte Prinzip des „demo-
kratischen Zentralismus“ aufzugeben, um dann später um so härter zuzuschla-
gen?
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich habe noch zehn Wortmeldungen. Herr
Dr. Mitter und dann Hans Modrow!
Sv. Dr. Armin Mitter: Meine Bemerkungen betreffen die Referate von Herrn
Schenk und von Herrn Seiffert.
Herr Schenk, ich finde, Sie haben für uns sehr intensiv und sehr prägnant die
Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich und die gegenseitige Beeinflussung –
gerade auch im Blick auf das, was von sowjetischer Seite erfolgte – dargestellt.
Ich glaube aber, daß sich gerade das, was die politischen Strukturen betrifft –
und überhaupt den ganzen Bereich Sicherheitspolitik –, in den fünfziger Jahren
doch an einigen Stellen wesentlich gewandelt hat. Insbesondere nach dem
17. Juni hat eine völlige Reorganisation des Sicherheitsapparates – überhaupt
des Macht- und Disziplinierungsapparates – stattgefunden, der nicht mehr nach
sowjetischem Vorbild organisiert werden konnte, da die inneren Gegebenheiten
in der DDR auch nicht deckungsgleich waren mit den Gegebenheiten in der
UdSSR.
Beispielsweise gab es keine Blockparteien in der UdSSR, die evangelische
Kirche hatte eine viel, viel höhere Bedeutung in der DDR als die Kirche in
der Sowjetunion – um nur einige Beispiele zu nennen.
Zum anderen stellt sich da für mich auch die Frage, ob sich der sowjetische
Einfluß auf die Politik der DDR-Regierung nicht doch auch in den fünfziger
Jahren gewandelt hat. Wenn man gerade die Phase 1952, 1953, 1954 bis zum
IV. Parteitag der SED untersucht, so ist doch klar feststellbar, daß an vielen
Stellen die Sowjetische Militäradministration viele Funktionen der DDR-
Führung überträgt, und zwar eindeutig auch aus der Erfahrung heraus, daß der
17. Juni beziehungsweise die Demonstrationen im Juni und die Aktionen im
Juni /Juli 1953 für alle überraschend kamen, letztlich auch deshalb, weil
der Sicherheitsapparat nach sowjetischem Vorbild in der DDR eben nicht
funktioniert hat. Das hieß, man hat größere Befugnisse beispielsweise auch
im Justizwesen – ich könnte noch weitere Bereiche nennen – auf die DDR-
Behörden übertragen.