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das nicht für alle Gebiete. In der Deutschlandpolitik ist das zum Teil mit
Raffinesse und sehr guter Kenntnis der Bundesrepublik gemacht worden, in
anderen Dingen aber eben mit einer Beschränktheit, die wirklich erstaunlich
ist. So hat Honecker in einer Rede vor den Kreissekretären – solche Reden
wurden meist einmal jährlich gehalten – im Februar 1988 auf mehreren
Schreibmaschinenseiten zum Thema Menschenrechte wörtlich genau das
wiederholt, was er im Jahre 1987 gesagt hat, und zwar wirklich bis auf Punkt
und Komma, so daß man sich fragt: Hat hier der Referent, der das ausarbeitete,
nur seine Arbeit rationalisiert, was man ja verstehen kann, oder hat er das so
tun müssen, weil die SED demonstrieren wollte, daß sie wirklich bis auf Punkt
und Komma zum Thema Menschenrechte vom Jahre 1987 auf 1988 absolut
nichts ändern wollte?
Eine weitere Frage, die wir heute vielleicht noch ansprechen können, ist die
nach den Spielräumen von Spitzenfunktionären oder auch nachgeordneten
Funktionären. Es gibt eine ganze Menge Beispiele für solche Spielräume, die
entweder erkämpft worden sind oder um die man gekämpft hat. Wir finden
ständige Klagen in den Berichten an die ZK-Plena über Eigenmächtigkeiten
von Staats- und Parteifunktionären hinsichtlich Wirtschaftsplanung, Baupro-
jekten, Konsumgüterverteilung und solchen Dingen mehr. Am bekanntesten
ist der Konflikt der Zentrale mit der Bezirksleitung Dresden unter Leitung von
Hans Modrow im Jahre 1989, als man eine Instrukteurgruppe hinschickte, um
da Ordnung zu schaffen, wie man sich das so vorstellte.
Als letztes ist hier vielleicht noch einmal nach der Rolle des MfS zu fragen.
Darüber haben wir bei der letzten öffentlichen Anhörung schon gesprochen,
aber vieles konnte da nicht geklärt werden. Es wäre zu fragen, in welchem
Ausmaß das Mfs wirklich mitregiert, mitverwaltet hat, vielleicht aus Not, weil
die SED allein es in den Jahren 1985 bis 1988 nicht mehr konnte, vielleicht
aus anderen Motiven heraus. So etwas läßt sich für die Wirtschaft, die
Wissenschaftspolitik, die Kulturpolitik und alle möglichen anderen Bereiche
nachweisen, und ich habe den Eindruck, daß über die „Offiziere im besonderen
Einsatz“ und die „Inoffiziellen Mitarbeiter mit Einflußmöglichkeiten“ hier
durchaus regiert und nicht nur für Sicherheit gesorgt worden ist. Es ist
auch einfach schwer vorstellbar, daß das MfS auf die Überwachung des
hauptamtlichen Funktionärsapparates von 44.000 Personen verzichtet hat oder
daß sich das MfS etwa nicht um Funktionäre gekümmert hätte, die irgendwann
einmal Ärger mit der Zentrale hatten. Wenn man mit einzelnen Politikern
und Funktionären der damaligen Zeit spricht, kann man auch ganz konkrete
Beispiele hören, daß das MfS durchaus da seine Finger mit im Spiel hatte.
Das waren nur einige konkrete Fragen, die man heute und sicherlich bei
vielen anderen Gelegenheiten ansprechen muß. Abschließend kann man sagen,
daß das Regime so konstruiert war, daß es sich eigentlich aus der Sicht
seiner Schöpfer auf unabsehbare Zeit hätte halten können, ohne Rückhalt
von außen halten sollte: Kaderpolitik, Machthierarchie, mehrfach angelegtes
Kontrollsystem, Entscheidungsstrukturen usw. usw. Wie wir seit 1953 wissen
konnten, war es trotz aller erdenklichen Vorkehrungen ohne den sowjetischen
Einfluß nicht lebensfähig. Aber der sowjetische Einfluß hat es doch lebensfähig
gemacht.
Der menschliche Faktor hat in diesem System nicht kalkuliert werden können.
Nicht kalkuliert werden konnten die charakterlichen und intellektuellen
Schwächen der Führung, die dann eben in ihren Sesseln bis 5 Minuten
nach 12 sitzen blieb. Nicht kalkuliert werden konnten die Grenzen der
Manipulierbarkeit der Beherrschten und auch vieler Funktionäre. Und nicht
kalkuliert werden konnte die Wirkung unkontrollierter Informationen von
außen auf die Bürger, auch wenn man sich noch so viel Mühe gab, das
abzuschotten.
Die Tatsache jedenfalls, daß wir heute hier im Zentrum der ehemaligen
SED-Macht über die Konstruktion und das Funktionieren dieser Macht frei
diskutieren können, sollte nicht unbedingt Anlaß für ein großes Triumphgefühl
sein, aber doch für eine gewisse Zufriedenheit der Demokraten in den neuen
und in den alten Bundesländern, daß sie einen langen, sehr belastenden
und gefährlichen Konflikt mit der zweiten Diktatur dieses Jahrhunderts in
Deutschland glücklich überstanden haben. (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich möchte Ihnen jetzt einige kurze Sätze
zur Struktur der nächsten etwa 2 1/2 Stunden sagen. Wir haben uns das so
gedacht, daß die fünf Zeitzeugen des heutigen Abends zunächst etwa eine gute
Stunde von zwei Journalisten befragt werden und daß dann in einem zweiten
Teil die Mitglieder der Enquete-Kommission die Möglichkeit haben, jeweils
einzeln ebenfalls Fragen an die fünf Zeitzeugen zu stellen.
Die zwei, die wir bitten, die fünf Zeitzeugen zunächst zu befragen, sind auf den
ersten Blick zwei Altbundesbürger. Darum muß, glaube ich, zu dieser Auswahl
etwas gesagt werden. Es sind beides Menschen, die mit ihrer Biographie und
ihrem Tun mit der Deutschen Demokratischen Republik, mit den Menschen
und den Ereignissen in diesem Land eng verbunden waren. Der eine, Karl
Wilhelm Fricke, Journalist beim Deutschlandfunk, zumindest von einem Teil
der Regierenden der DDR – ich sage das jetzt einmal ein wenig salopp – so
sehr „geliebt“, daß sie ihn entführten, um ihn endlich unter sich zu haben,
so daß er dann jahrelang in der DDR im Knast gewesen ist; der zweite,
Ulrich Schwarz, hatte ebenfalls von seiner Biographie her lange mit der DDR
zu tun, ist zweimal als Korrespondent des „Spiegel“ in der DDR gewesen
und liebte die DDR oder ihre Menschen so sehr, daß er, obwohl er einmal
hinausgeworfen worden ist, dann wiederkam.
Ich möchte Sie beide ganz herzlich begrüßen und wünsche Ihnen für das Tun
der nächsten Stunde viel Glück und gutes Fingerspitzengefühl.
Ich bitte jetzt die fünf Zeitzeugen in der Reihenfolge, wie sie auf dem Zettel