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Wahlperiode 12, Band III/1, Seiten 20 und 21
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Protokoll der 28. Sitzung

Zitate aus der Schublade gezogen worden, vielmehr sollte durch sie der
Anschein erweckt werden, die kommunistische Politik lasse sich von einer
„Wissenschaft“, dem Marxismus-Leninismus, leiten.

Hier zeigt sich eine wichtige Funktion dieser Ideologie. Lenin- und Marx-
Zitate wurden in erster Linie zur ideologischen Verschleierung aktueller
Politik benutzt. Durch Berufung auf Koryphäen wollte man die eigene Politik
„wissenschaftlich begründen“ und nachweisen, daß „wir siegen müssen“.

Man könnte das Gleiche, ich erspare mir das, anhand der Geschichtsschrei-
bung der DDR nachweisen, die auch von sich behauptete, „marxistische“
Geschichtsschreibung gewesen zu sein. Ich habe an anderer Stelle versucht
nachzuweisen, daß die Reihenfolge in Wirklichkeit umgekehrt war. Zuerst
wurde Politik betrieben und anschließend versucht, sie zu rechtfertigen. Ich
möchte also davor warnen, es sich zu einfach zu machen und zu sagen: die
Gesellschaft in der DDR ist der Versuch gewesen, eine Theorie zu realisieren,
sondern wir müssen auch der Tatsache Rechnung tragen, daß diese Theorie
eine wesentliche Rolle als Rechtfertigungsideologie spielte.

Zusammenfassend möchte ich festhalten, daß die Politik wie auch die Um-
gestaltung der DDR sich in erster Linie nach dem sowjetischen Modell zu
richten hatten. Vorbild war die russische Entwicklung. Von den programma-
tischen Vorstellungen von Marx hatte die SED lediglich jene Forderungen
dogmatisiert und übernommen, die diesem Ziel dienten. Der Aufbau der
„neuen Gesellschaft“ wurde stets unter dem Gesichtspunkt der Machterhaltung
und Machterweiterung vorangetrieben. Daher sollte die Ideologie die SED
befähigen, politisch verbindliche Verhaltensnormen zu setzen, die Integration
und Geschlossenheit der Führungsschicht zu erreichen sowie das soziale und
politische Handeln mobilisierend anzuleiten, vor allem aber die tatsächlichen
Machtverhältnisse zu rechtfertigen und gleichzeitig zu verschleiern. Der
Marxismus-Leninismus war das Instrument, mit dem die Führung ihre Macht
zu legitimieren beabsichtigte. Andererseits wurden seine Inhalte dogmatisiert
und instrumentalisiert, um mit „Zukunftsversprechungen“ Anhänger zu ge-
winnen und an das SED-System zu binden.

Mir scheint, daß die Enquete-Kommission sich nicht so sehr auf diesen
ganzen theoretischen Bau, die Systematisierung, wie sie dann im Marxismus-
Leninismus erfolgte, konzentrieren sollte, sondern daß sie vielmehr im Sinne
dessen, wie ich mein Thema formuliert habe, die Instrumentalisierung untersu-
chen sollte. Die Frage ist also, ich komme auf meinen Ausgangspunkt zurück:
war der Marxismus-Leninismus in erster Linie ein Rechtfertigungsinstrument
oder war er in erster Linie Motivation für Politik? Ich plädiere dafür, seine
Rolle als Rechtfertigungsinstrument nicht aus dem Auge zu verlieren.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Professor Weber.
Ich habe den Reaktionen angemerkt, daß es Sie reizen würde, jetzt darüber
zu reden. Die Planung dieses Tages sieht aber anders aus. Wir hören zunächst

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Marxismus-Leninismus und soziale Umgestaltung

noch weitere Referate. Damit Sie aber Ihre Frage festhalten können, über das
nachdenken können, was wir jetzt gehört haben, nun Musik von Vivaldi aus
den „Jahreszeiten“.

(Musik, Musik, Musik. . .)

Wir hören nun den nächsten Referenten. Ich bitte Herrn Professor Konrad
Löw von der Universität in Bayreuth ums Wort. Sein Thema lautet: „War der
SED-Staat marxistisch“?

Prof. Dr. Konrad Löw:

I. Einige begriffliche und persönliche Vorbemerkungen

SED-Staat meint die sogenannte Deutsche Demokratische Republik in den
Jahren 1949 bis zur Wende.

„Marxistisch“ wird im folgenden für Theorien und Maximen gebraucht, die
auf Karl Marx und, wie er selbst sagt, sein alter ego, Friedrich Engels,
zurückgehen. Was sich sonst als marxistisch ausgibt oder angesprochen wird,
kann schon aus zeitlichen Gründen nicht berücksichtigt werden. Verwiesen sei
auf das dreibändige Werk „Die Hauptströmungen des Marxismus“, Verfasser
der polnische Philosoph Leszek Kolakowski.

Im Wintersemester 1967/68, also vor genau 25 Jahren, begann ich an
der Hochschule für Politik, München, mit Vorlesungen über das politische
System der DDR. Dem gingen Lehrveranstaltungen über die politische
Ordnung der Bundesrepublik Deutschland voraus. Für letztere war ich durch
meine juristische Ausbildung, insbesondere meinen öffentlich-rechtlichen
Schwerpunkt, gut vorbereitet. Die Darstellung der politischen Gegebenheiten
stellte mich vor eine neue, für den bundesdeutschen Juristen atypische
Aufgabe.

1968 trat in der DDR eine Verfassung in Kraft, die schon auf den ersten
Blick erkennen ließ, daß sie eine ideologische Basis hatte, eine Verfassung,
die sich ausdrücklich zum Marxismus-Leninismus bekannte. Daher wurde die
Auseinandersetzung mit dieser Ideologie zur Voraussetzung einer sachgerech-
ten Interpretation. In der gebotenen Eile bediente ich mich der einschlägigen
Taschenbücher. Dazu zählten insbesondere „Sowjetideologie heute“ Bd. 1,
verfaßt von Gustav Wetter, Bd. 2, von Wolfgang Leonhard. Diesen Autoren
verdanke ich sehr viel, wenngleich ich in manchen, keineswegs unwichtigen
Punkten die damals gewonnene Sicht aufgrund des späteren Quellenstudiums
korrigieren mußte.

Die wichtigsten Merkmale des SED-Staates waren: 1. Diktatur; 2. führende
Rolle einer Partei; 3. Gewaltmonopol; 4. Terror; 5. Leugnung der Menschen-
würde als vorrangigem Verfassungswert, 6. Leugnung der Menschenrechte; 7.
keine Grundrechte im traditionellen Sinne; 8. Abschaffung des Privateigen-
tums an den Produktionsmitteln; 9. der große Plan.

Haben Marx und Engels diese Themen angesprochen und, falls ja, wie?