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vom Politbüro höchstselbst verabschiedet werden. Es gab alle zwei Jahre einen
zentralen Forschungs- und Publikationsplan der Gesellschaftswissenschaften,
der vom Politbüro verabschiedet wurde. So absurd war es. Das heißt also,
man mußte das eigene Projekt so nach außen hin darstellen, daß man dort
sagte: „Donnerwetter, sehr gut, sehr brauchbar“. Also zündete dort nur das
Wort „Lexikon“, „Wörterbuch“. Etwas Volkspädagogisches, was nun auf neue
Weise den Marxismus jetzt, angewandt auf die Bereiche der Künste usw.,
unter die Leute bringt. Wir haben sie in diesem Glauben gelassen, kein Wort
darüber wirklich gesagt, was wir im einzelnen darüber differenziert meinten.
Zwischengeschaltet war ohnehin die berühmte und berüchtigte Akademie,
vormals Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Das
war das Zensurorgan für die Gesellschaftswissenschaften. Denen mußte man
mitteilen, was man vorhatte. Nachdem die Konzeption dort verabschiedet war,
war ein Raum relativer Freiheit in der DDR hergestellt. Man war in der
großen Nische der Akademie der Wissenschaften, man konnte sein Projekt
verfolgen, schon zu DDR-Zeiten mit erheblicher westdeutscher wissenschaft-
licher Prominenz, sogar Amerikaner und Franzosen waren dabei. Das war
aber nie zum Politbüro gedrungen. Ich erzähle das nur, um zu sagen, daß es
selbst innerhalb dieses rigiden Systems, das wir jetzt der Vereinfachung wegen
„Marxismus-Leninismus“, „ML“, nennen, Differenzierung gab, Bewegung, es
gab Räume, in denen versucht wurde, gegen die Verhältnisse zu denken, auch
gegen dieses ideologische System selbst.
Ich habe den Akzent so gesetzt, weil ich weiß, daß sicher noch andere Akzente
hier bei den Berichten gesetzt werden.
Stellvertretende Vorsitzende Margot von Renesse: Danke, Wolfgang
Thierse, daß wir die Lücke so haben füllen können. Er hat weiß Gott nicht
die Rolle eines Lückenbüßers gespielt. Als nächstes ist Herr Dr. Guttmacher
an der Reihe.
Dr. Karlheinz Guttmacher, MdB: Meine Damen und Herren. Als ich gefragt
worden bin, ob ich mich hier an diesem Ort als Zeitzeuge Ihnen zur Verfügung
stellen möchte, ob ich eine Bewertung vornehmen möchte dessen, was man
selber in seiner Jugend als Student, dann aber auch in seinem Arbeitsleben,
erlebt hat, wie man dies empfunden hat, und darüber hier zu berichten, war
ich sehr gerne bereit.
Ich möchte Ihnen, ähnlich wie Herr Thierse auch am Anfang, ganz kurz
berichten, wie ich in die Schule, in eine Grundschule der früheren DDR,
eingeschult worden bin. Ich bin noch in Danzig geboren. Mein Vater war
Regimentskommandeur und wir siedelten 1945 im Februar nach Wernigerode
um. Wir kamen in einen Ort, der dann zwischen der Grenze von Ost und West
lag. Aus diesem Ort, Hessen hieß er, bei Wernigerode, wurden wir als erste
zwangsausgesiedelt, als 1949 die Deutsche Demokratische Republik gegründet
worden ist.
Ich komme aus einem sehr liberalen Haus. Sowohl mein Vater als auch
schon mein Großvater, als Begründer einer liberalen Partei in Hessen, ebenso
meine Mutter, die ein Studium auch in Danzig als Sportlehrerin absolviert
hatte, waren in einer liberalen Partei, und so war es nicht eigentlich nur
gradlinig, daß ich dann als Student 1963 auch der früheren LDPD in der DDR
beitrat. Dies halte ich für sehr wichtig, damit Sie dann auch meine Wertung
verstehen.
Ich danke Herrn Thierse für eine Bemerkung, die ich nachempfinden kann. Es
gab Räume, in denen man auch seine Meinung und seine Gedanken äußern
konnte. Im wesentlichen aber waren diese Gedanken und auch das eigene
Empfinden so stark reglementiert, daß, so glaube ich, viele junge Menschen,
die man heute befragt, sehr bitter enttäuscht sind über die Entwicklung, die sie
nehmen mußten. Ich meine dies auch in der beruflichen Entwicklung, die sie
in Abhängigkeiten brachte. Wichtig war z. B., wie gut sie im Marxismus-
Leninismus schon während ihres Studiums waren. Ich komme auf diese
einzelnen Prozesse gleich noch zurück.
Ich habe geglaubt, hier seien einige Sachverständige und einige Zeitzeugen, die
gehört werden und daß man am besten gleich mit der Allgemeinbildung und
der Ausbildung beginnt, die man genossen hat, dem Marxismus-Leninismus.
Dies möchte ich hier nicht tun, sondern ich will gleich zu dem Abschnitt
übergehen, der die marxistisch-leninistische Ausbildung betrifft, so wie ich
sie an einer universitären Lehreinrichtung empfand.
Um das auch substantiell etwas zu verdeutlichen, habe ich mir gestern
noch sehr schnell aus dem Universitätsarchiv von Jena die unterschiedlichen
Lehrabschnitte im Grundlagenstudium des Marxismus-Leninismus, so wie
sie an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen
Republik gültig waren, wie es auch hier überschrieben ist, faxen lassen, und
ich würde sie sehr gerne der Enquete-Kommission in diesem vollen Wortlaut
auch übergeben, damit Sie diese in Ihrem Material als Beleg haben.
Ich empfand es ebenso wie Herr Thierse, da kann ich mich meinem Kollegen
als Naturwissenschaftler anschließen. Ich habe an der Universität Jena
Chemie studiert. Wir führten eine wohlwollende Diskussion im Marxismus-
Leninismus, besonders im dialektischen und historischen Materialismus.
Es ging darum, solche Begriffe auszufüllen wie „Materie“, „Grundfrage
der Philosophie“, „Bewußtsein“, „materialistische Dialektik“, „Entwicklung“,
„Determinismus“, „Kausalität“, „Grundsätze der Dialektik“, und ich könnte
dies weiter ausführen. Diese Begriffe werden ja nicht nur ausgefüllt durch
das Grundlagenstudium im Marxismus-Leninismus, sondern dies hätte man
zweifellos auch vor etlichen hundert Jahren so ausfüllen können.
Aber die Zielstellung dieser Ausbildung hat man uns dann auch schriftlich
gegeben. Diese möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Da steht, so bekamen
wir dies dann auf einem Handzettel in das Seminar gereicht: „Das Ziel des