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sollte. Wie läßt sich dieses Grundprinzip mit einer körperlichen Manipulation
von Menschen, die oft schwere gesundheitliche Schäden zur Folge hatte,
vereinbaren? Das ist eine Frage der Ethik, die bei dieser Anhörung auch
bedacht werden sollte.
Auch ich möchte meine Traurigkeit darüber zum Ausdruck bringen, daß ein
ganzer Teil der eingeladenen Sportler und Trainer entweder gleich abgesagt
hat oder erst zugesagt hat und dann abgesagt hat. Ich möchte darum
ganz besonders denen herzlich danken, die gekommen sind. Das erste
grundsätzliche Referat hören wir von Herrn Gunter Holzweißig aus Berlin. Die
Funktion des Sports für das Herrschaftssystem der DDR, seine Zielsetzung,
die Strukturen und der politische Stellenwert.
Sv. Dr. Gunter Holzweißig: Sehr geehrte Herren Vorsitzende, sehr geehrte
Damen und Herren Abgeordnete, gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung.
Der Sport besitzt in allen Staatsformen, von der Antike bis zur Gegenwart, eine
politische Funktion, auch wenn Sportler, Trainer, Funktionäre und das sport-
begeisterte Publikum es nicht immer wahrnehmen. Die Instrumentalisierung
und der Mißbrauch des Sports durch Führungscliquen in totalitären Regimen
sind für Außenstehende allerdings kaum zu übersehen, während es innerhalb
eines diktatorischen Systems durchaus möglich ist, daß die Freude am Sport
zur Flucht aus den politischen Zwängen des Alltags führen kann.
In der jüngsten deutschen Geschichte wurden die allgemeinverbindlichen
Wertvorstellungen des Sports sowohl im Dritten Reich als auch in der SBZ/
DDR für sportfremde Zwecke mißbraucht. Das bedeutet nun keineswegs
eine pauschale Verdammung der Leistung der Sportler, der Trainer sowie
der ehrenamtlichen Helfer und Betreuer. Gerade letztere haben in der
DDR durch ihre Uneigennützigkeit und ihren Idealismus maßgeblich zum
vielbestaunten Sportwunder beigetragen. Von den Funktionären hörten sie
allenfalls rhetorische Dankesfloskeln, wobei die Bereitschaft zur freiwilligen
Mitarbeit in nicht geförderten Sportarten kaum gewürdigt wurde.
Mein Thema ist aber nicht der DDR-Sport in all seinen Facetten, sondern aus-
schließlich die Instrumentalisierung des Sports durch die SED-Führung. Dies
soll vornehmlich anhand ihrer diesbezüglichen Selbstzeugnisse geschehen. Ich
komme dann zu einem organisations- und strukturhistorischen Überblick.
Nach Kriegsende beim Neubeginn in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)
hatte nicht einmal die Organisation eines unabhängigen und demokratisch
verfaßten Sportbundes auf der Grundlage der 1933 von den Nationalso-
zialisten zerschlagenen Arbeitersportbewegung eine Chance. Schon vor der
Auflösung aller Sportvereine in Deutschland aufgrund der Direktive Nr. 23
vom 17. Dezember 1945 des Alliierten Kontrollrats wurde mit Billigung
der sowjetischen Besatzungsmacht auf kommunaler Ebene in der SBZ der
Sportbetrieb wieder aufgenommen. Beteiligt wurden daran sowohl ehemalige
sozialdemokratische Arbeitersportler als auch kommunistische Funktionäre,
die bis 1933 der damals weniger einflußreichen Kampfgemeinschaft „Rote
Sporteinheit“ angehört hatten. Die letzteren gewannen im Kommunalsport
nach dem Beispiel der Zwangsvereinigung der KPD und der SPD zur SED
bald die Oberhand. Andersdenkende Arbeitersportler galten als Sektierer oder
als Nur-Sportler. Hinzu kam, daß das Bestreben der sog. bürgerlichen Traditi-
onsvereine nach Wiederzulassung, wie das in den Westzonen stillschweigend
geschah, im Rahmen der Propaganda für eine antifaschistisch-demokratische
Neuordnung von den Sowjets und den Deutschen Kommunisten im Keim
erstickt wurde.
Neben dem Kommunalsport richteten auch die Freie Deutsche Jugend (FDJ)
und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) Sportgemeinschaften
innerhalb ihrer Organisationen ein. Nach Absprache mit der Sowjetischen
Militäradministration in Deutschland (SMAD) beendete die SED das wenig
effektive Nebeneinander von Kommunalsport, FDJ- und Betriebssport mit
der Gründung des Deutschen Sportausschusses als Dachverband des SBZ-
Sports am 1. Oktober 1948. Ein Traditionsdatum für das Entstehen der sog.
sozialistischen Sportbewegung in der späteren DDR. Der FDJ-Vorsitzende
Erich Honecker verkündete auf der Gründungsversammlung die bis zuletzt
richtungsweisende Maxime: „Der Sport ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel
zum Zweck.“
Mit der Arbeit des Deutschen Sportausschusses zeigte sich die SED-Führung
in den folgenden Jahren äußerst unzufrieden. Die nach sowjetischem Vorbild
auf Produktionsbasis gegründeten 18 Sportvereinigungen erwiesen sich weder
für den Leistungssport noch für den Breitensport als effizient. Walter Ulbricht
wollte indessen beides vorantreiben. Persönlich warb er bei öffentlichen
Auftritten für den Freizeitsport. Gegen parteiinternen Widerstand legte er
1950 den Grundstein für die Deutsche Hochschule für Körperkultur und
Sport in Leipzig. 1952 entstanden die ersten Kinder- und Jugendsportschulen,
und seit Mitte der 50er Jahre bildeten die Sportvereinigungen Sportclubs,
in die nur Spitzensportler delegiert werden konnten. Da der Deutsche
Sportausschuß weder mit den 1952 unter Leitung von Manfred Ewald
installierten Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport harmonierte,
noch auf Bezirks- und Kreisebene seine Arbeit zu organisieren vermochte,
erhielt Ewald den Auftrag, eine kurzfristig angesetzte Kampagne zur Gründung
des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) am 27. und 28. April 1957
zu führen. Die später nur unwesentlich veränderten Organisationsstrukturen
des DTSB schufen die Voraussetzung zur Gründung der letzten großen
Massenorganisation, die beispielsweise wie FDJ oder der FDGB unmittelbar
vom SED-Zentralkomitee angeleitet und als Transmissionsriemen benutzt
werden konnte.
Der DTSB wurde in 15 Bezirksorganisationen untergliedert. Hinzu kamen
als selbständige Bezirksorganisationen die Sportvereinigung Dynamo, die