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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 26 und 27
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Protokoll der 67. Sitzung

abgesichert mit der Regierung der UdSSR, konnte ein grundsätzlicher Wandel
oder gar ein Zusammenbruch der SED-Diktatur nicht erwartet werden. Das
wäre unrealistisch und eine Überforderung von Opposition und Widerstand
gewesen. Indes haben sie durch ihr Wirken die Herrschenden in Ost-Berlin
und Moskau ständig zu taktischen Rücksichten genötigt. Ohne Opposition
und Widerstand wären Willkür und Repression in der DDR der fünfziger Jahre
unverhältnismäßig drückender gewesen. Vornehmlich das Trauma des 17. Juni
1953 hat die Herrschenden nie mehr verlassen. Es war in ihrem politischen
Kalkül bis zuletzt. Als Erich Mielke im Kreise seiner Paladine am 31. August
1989 über die Lage in der DDR beriet, fragte er, laut Protokoll, angstvoll:
„Ist es so, daß morgen der 17. Juni ausbricht?“ Seine Ahnung hatte ihn nicht
getrogen. (Lebhafter Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank an Karl Wilhelm Fricke.
Ich hoffe, daß diese Veranstaltung heute und morgen dazu beiträgt, über den
Kreis von informierten Wissenschaftlern hinaus bekanntzumachen, daß es in
der DDR ebenfalls politischen Widerstand gegeben hat und daß das mehr
gewesen ist, als ein Revolutionsversuch am 17. Juni 1953.

Ich bitte jetzt unseren Freund und Kollegen Weber nach vorn. Es wird das
nun folgende Gespräch moderieren.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Hermann Weber: Meine Damen und Herren!
Verehrte Anwesende! Karl Wilhelm Fricke hat uns, wie ich finde, in
hervorragender Weise die Ausmaße, aber auch die Rolle und die Funktion
von Widerstand und Opposition in den vierziger und fünfziger Jahren skizziert.
Das Ziel dieser Zeitzeugenbefragung ist es nun, dies an einzelnen Punkten zu
vertiefen.

Man muß sich ja fragen, welche Faktoren dazu geführt haben, daß sich diese
Opposition in so vielfältiger Weise artikuliert hat. Ich denke, wenn wir uns
noch einmal vor Augen halten, was Karl Wilhelm Fricke als Hintergrund
hier nachgezeichnet hat, dann sind es in der Tat mehrere parallel laufende
Entwicklungen. Da ist etwa die Zerschlagung von demokratischen Ansätzen,
die 1945 allein schon durch die Bildung des neuen Parteiensystems gegeben
waren. Es ist etwa der Zug zur Spaltung Deutschlands, der immer deutlicher
wurde, vor allem aber die Tatsache, daß das bestehende Parteiensystem
umgestaltet und radikal verändert worden ist. CDU und LDP wurden zu
Blockparteien domestiziert, die Sozialdemokraten in die SED eingeschmolzen.
Daß die SED dann im Zuge ihrer Stalinisierung – Karl Wilhelm Fricke hat die
Zahlen genannt, man muß sich das nur einmal vorstellen! – 150.000 Mitglieder
allein in den Jahren 1950/51 aus der Partei ausschloß, zeigt, daß sie auch eine
innere Veränderung vollziehen mußte.

Dies alles ist hier natürlich nicht nachzuvollziehen, weil wir mit unseren vier
Zeitzeugen nur ganz bestimmte Aspekte werden nachzeichnen können. Es
ist aber wichtig zu sehen, daß die politische Opposition auf verschiedenen

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

Ebenen bestand, ob das nun sozialdemokratischer, christdemokratischer oder
liberaldemokratischer Widerstand war. Es gab auch in der Massenpartei SED –
vergessen Sie nicht, daß sie in den Jahren 1948/49 fast 2 Millionen Mitglieder
hatte! – einen großen Anteil an selbständigem Denken, das ausgerottet werden
mußte, wenn die SED-Führung ihre Diktatur ausbauen wollte.

Wenn ich sagte, daß es vier Zeitzeugen sind, werden Sie auf unser Programm
schauen und sagen, daß da aber fünf erwähnt wurden. Ich muß Ihnen
bedauerlicherweise mitteilen, daß ein Zeitzeuge hier nicht anwesend sein
kann. Es ist Ulf Müller. Wenn er schon nicht hier ist, will ich wenigstens
einige Worte über ihn sagen, weil er eben ein Typus des sozialdemokratischen
Widerständlers war.

Ulf Müller stammt aus einer alten gewerkschaftlichen und sozialdemokrati-
schen Familie. Sein Großvater war der bekannte Bergarbeiterführer Husemann,
den die Nazis umbrachten. Er selbst hat als Sozialdemokrat in Halle in Verbin-
dung mit dem schon erwähnten Ostbüro der SPD gewirkt, aber eben nicht, wie
die SED später behauptete, als „Agent“ dieses Ostbüros. Ulf Müller stand in
Opposition zur Einschmelzung der Sozialdemokraten in die kommunistische
SED und dann vor allem deren Stalinisierung. Er hat das mit einer sehr langen
Zuchthausstrafe bezahlen müssen, die er zum großen Teil in Bautzen verbüßt
hat. Müller gehört zu denjenigen, die in der Folgezeit auch in der politischen
Bildung immer wieder klarzumachen versuchten, daß die Behauptung der
SED, sie sei die Fortführung der deutschen Arbeiterbewegung, eine Legende
ist.

Es tut mir außerordentlich leid, daß er nicht hier ist. Um so mehr freue ich
mich, die übrigen vier Zeitzeugen hier begrüßen zu können.

Ich fange ausnahmsweise nicht mit der Dame an, sondern mit dem weitaus
Ältesten unter uns, meinem Freund Adam Wolfram, 92 Jahre alt, trotzdem
hierhergekommen. (Beifall)

Allein das zeigt schon, mit wem wir es hier zu tun haben. Ich habe zu
ihm gesagt, daß meine wichtigste Aufgabe hier sein wird, ihn zu bremsen.
Er ist meistens nicht zu bremsen. Wie man mit 92 Jahren noch ein
solches Gedächtnis, solche geistige Beweglichkeit und vor allen Dingen auch
Temperament haben kann, ist mir immer wieder ein Rätsel, aber ich freue
mich natürlich jedesmal darüber, und Sie werden das nachher auch feststellen
können.

Ich begrüße Frau Elisabeth Graul unter uns. Sie wird von etwas anderem
berichten. Ich will gleich sagen, daß ich die Zeitzeugen ansonsten nicht
vorstelle. Sie werden das in der ersten Runde selbst kurz tun.

Ich begrüße Herrn Prusko zu meiner Linken und Herrn Finn, den Sie ja alle
kennen, zu meiner Rechten.

Ich denke, daß wir so verfahren, daß sich die Zeitzeugen zunächst kurz