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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 138 und 139
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Protokoll der 67. Sitzung

Ich komme zu einem weiteren Punkt der Wirkung. Das Regime ist in einem
erstaunlichen Umfang von diesen kleinen Gruppen verunsichert worden. Man
kann, wenn man jetzt die Akten liest, manchmal sogar den Eindruck haben,
daß sich eine regelrechte Angst ausgebreitet hat – sicherlich nicht ohne Grund,
wenn man sich den 17. Juni oder Ungarn oder dann das sanft-schreckliche
Ende vom Jahre 1989 vergegenwärtigt. Dafür nur ein paar Beispiele:

Der Physikerball vom November 1956 war ja an und für sich – insbeson-
dere, wenn Außenstehende das beurteilen – nicht so furchtbar aufregend,
und trotzdem hat das Geschehen dazu geführt, daß auf einer Sitzung des
Sekretariats des Zentralkomitees am 13. Dezember 1956 unter Punkt 1 der
Tagesordnung fünf Beschlüsse dazu gefaßt wurden. (Heiterkeit) Wenn man
sich das vergegenwärtigt, greift man sich an den Kopf, und wenn wir es damals
gewußt hätten, hätten wir uns sehr wohlgefühlt. Solche Beschlüsse beinhal-
teten unter anderem die Exmatrikulation der maßgeblichen Beteiligten an
diesem Kabarettprogramm. Es ist festzustellen, daß durch den Widerstand von
wesentlichen Teilen der Universität, insbesondere der Hochschullehrer, aber
auch natürlich auf Grund der unruhigen Lage an der Universität überhaupt,
diese Exmatrikulationen nicht stattfanden und verschoben werden mußten, bis
die Verhaftungswelle 1958 dann tabula rasa gemacht hat.

Charakteristisch für solche Ängste und Verunsicherungen ist etwa eine
Äußerung des 1. Sekretärs der Universitätsparteileitung, der in einer Sitzung
der FDJ-Hochschulgruppenleitung, die ich miterlebt habe, Ende 1956 oder
Anfang 1957 sagte, von 6.000 Studenten stünden allenfalls 150 hinter der
DDR. Das war eine geschlossene Sitzung, und er hat also nicht damit
gerechnet, daß das einmal an die Öffentlichkeit kommen würde.

Zur Verunsicherung der Staatssicherheit und natürlich auch der Partei hat
sicher auch die Reaktion der Teilnehmer von großen Versammlungen, etwa
beim Physikerball 1956 oder bei den Protestversammlungen im Herbst
1956 gegen das Gewi-Grundstudium und gegen Russisch beigetragen. Diese
Reaktion war, wenn man es heute betrachtet, durchaus gelegentlich über das
Kabarettistische hinausgegangen.

Ich will dazu eine Kabarettszene des Physikerballs 1956 erwähnen, ohne die
gesamte Szene jetzt hier darzustellen. Eine dieser da gespielten Szenen war die
sogenannte Mephisto-Szene. Faust und Mephisto sitzen einander gegenüber,
Mephisto in seiner bekannten schlauen, zynischen Art, und Faust ist ein armer
Gewi-Dozent, der vor sich hingrübelt, wie er denn nun die störrischen Zuhörer
von den Wahrheiten des Marxismus-Leninismus überzeugen kann. Da wird er
von Mephisto belehrt, wie er das anstellen könnte. Der geht dann darauf ein,
daß viele der damaligen Zuhörer in politischer Passivität verharren, sich ihren
Hobbies widmen und eigentlich keine besondere Gefahr darstellen, aber es
könnte ja mal anders kommen. Die letzten vier Zeilen heißen: „Würde einmal

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

von all denen empfohlen, daß dich jetzt soll der Teufel holen – bei aller
Freundschaft mußt du sehen, dann könnt’ ich nicht mehr widerstehen.“
Das ist damals in einer Tonart gesagt worden, die nicht nur kabarettistisch
klang, sondern die durchaus vielleicht einigen Leuten etwas unangenehme
Gefühle bereitet hat (Heiterkeit), wogegen ja nichts weiter zu sagen ist.

Jetzt gegen Ende noch ein Wort zu den Grenzen: Der Sturz des Regimes ist
natürlich auch hier in Jena durch solche Aktivitäten nicht möglich gewesen.
Mehr als Verunsicherung war nicht zu erreichen, solange der sowjetische
Stützpfeiler da war, aber hier in Jena genauso wie an anderen Orten in der
DDR konnte eine allmähliche Zermürbung der breiten Basis des Regimes,
also des Funktionärsapparates, der Leute, die die SED-Diktatur mehr oder
weniger mitgetragen haben, erreicht werden, weil sie immer mehr verunsichert
wurden – bis zu einem solchen Zustand, daß sie dann, als der sowjetische
Stützpfeiler verschwand, zusammensacken konnte.

Eine letzte Bemerkung zu dem, was die Oppositionsgruppen der frühen Zeit
bis in die fünfziger Jahre betrifft, über die noch sehr wenig Details bekannt
sind, weil ganz einfach die Aktenführung der Stasi aus jener Zeit oft dürftig ist.
Zum Teil sind es russische Akten, die gar nicht zugänglich sind, zum Teil ist
das Interesse auch erst in letzter Zeit allmählich erwacht, die frühe Zeit Ende
der vierziger Jahre intensiver zu erforschen. Aber auch diese frühen Gruppen
haben natürlich dazu beigetragen, daß dem Vorwurf begegnet werden kann, die
Deutschen hätten eine sich entwickelnde Diktatur wiederum widerspruchslos
hingenommen.

Die Oppositionellen der frühen Jahre könnten natürlich heute zu dem
deprimierenden Ergebnis kommen: Hätten wir es doch abgewartet, wären wir
doch ruhig sitzen geblieben und hätten gewartet, bis die Implosion von 1989
dann den Kommunismus in Europa überwunden hat. Im Zusammenhang mit
den verdeckten Wirkungen, von denen ich schon gesprochen habe, also der
Verunsicherung des Regimes und der Bindung von MfS-Kapazitäten in der
DDR, was ja auch dem Westen zugute gekommen ist, kann man an dieser
Stelle einmal ein Wort von Lajos Kossuth aus dem Jahre 1849 zitieren, das
manche schon kennen, weil ich es vor vergleichbarem Publikum manchmal
zitiert habe.

Er hat, nachdem russische und österreichische Truppen gemeinsam die
ungarische Revolution von 1848 niedergeworfen hatten, sich folgendermaßen
geäußert: „Wir haben nicht gesiegt, aber gekämpft. Wir haben unser Land
nicht gerettet, aber verteidigt. Wir haben die Tyrannei nicht gebrochen, aber
ihren Lauf aufgehalten, und wenn einst unsere Geschichte geschrieben wird,
werden wir sagen können, daß wir widerstanden haben.“ (Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Gert Weisskirchen (SPD): Ich hoffe, Sie gestatten
mir, daß ich gleich von den recht gut beschriebenen fünfziger Jahren einen
Sprung mitten hinein in die siebziger Jahre mache.