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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 172 und 173
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Protokoll der 67. Sitzung

erinnere, mit der Begründung abgelehnt, das sei eher kontraproduktiv, im
Fall von Dissidenten schlafende Hunde zu wecken oder zu provozieren oder
was auch immer.

Ich war ja noch willens, diese Kröte zu schlucken, mir zu sagen, vielleicht
ist das Diplomatie, vielleicht muß ich wirklich höhere Gesichtspunkte ak-
zeptieren, aber derselbe Günther Jansen fand überhaupt nichts dabei, sich
Mitte der achtziger Jahre auf ein Militärboot der NVA-Grenztruppen zu
stellen – er fuhr also von östlicher Seite die Elbe längs – und zu verkünden,
daß doch eigentlich die Elbgrenze durchaus in der Mitte verlaufen könnte – das
gehörte zu den Geraer Forderungen Honeckers –, wenn man sich dann einigte,
daß schleswig-holsteinische Fischer vielleicht in der Lübecker Bucht fischen
könnten, und auch sehr freundliche Worte zur Notwendigkeit der Anerkennung
der DDR-Staatsbürgerschaft zu finden.

Selbst wenn er der Überzeugung gewesen wäre, daß dies politisch nötig
ist – man muß sich das einmal vorstellen: Da setzt sich ein westdeutscher
Sozialdemokrat auf ein Kanonenboot der DDR – das waren ja schließlich die
Knastwächter dieses Wohnghettos DDR, die da herumfuhren – und verkündet
die Geraer Forderungen Honeckers. So war es halt, und das ist kein Einzelfall
gewesen, was die Stimmung in Teilen der Partei anbetrifft.

Aber es muß diskutiert werden. Ich halte westdeutsche Vergangenheitsaufar-
beitung für ganz wichtig, denn unter all diesen Umständen – „staatsfreundli-
cher Menschenhandel“, Isolation von der DDR-Bevölkerung, die ja so viele
Verluste erlitten hatte, und dann eine bis zum Appeasement umkippende Ent-
spannungspolitik – hatte die Opposition keine Chance, eine wirkliche eigene
demokratische Revolution zu machen, bis hin zu einem Staatspräsidenten, der
von mir aus nicht Václav Havel heißen muß. – Jürgen, du hättest das auch
machen können. (Zustimmung)

Eine letzte Episode noch: Björn Engholm war schon ein halbes Jahr bei uns
Ministerpräsident, da gab es eine große Freudenfeier in der Kieler „Räucherei“.
Ein halbes Jahr später hat eine Landtagsabgeordnete aus dem Parteibezirk, zu
dem ich gehörte, einen kleinen Rechenschaftsbericht gemacht, und danach
durften wir sie etwas fragen. Ganz zum Schluß habe ich sie gefragt, mit
welcher Begründung Schleswig-Holstein nicht mehr für die Erfassungsstelle
von DDR-Menschenrechtsverletzungen in Salzgitter zahlt. Die Reaktionen
waren sehr differenziert, allerdings war keiner von den Anwesenden auf
meiner Seite. Es gab regelrecht feindselige Blicke. Die Landtagsabgeordnete
sagte dann, das ist eben unsere Friedenspolitik. Ich erzählte von Freunden,
die im Knast waren, die wußten, daß die Angst der potentiellen Folterknechte
dort vor Übergriffen schützt. Da gab es von den wenigen Arbeitern in der
SPD, einem alten Sozialdemokraten vom Kieler rechten Ufer, wo einmal
der Matrosenaufstand losbrach, HDW-Arbeiter-Viertel, die Bemerkung: „Ach,

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

Junge, ich war ja auch einmal so ein Rechter, aber ich bin der Meinung, das
bringt alles nichts.“ Er meinte so etwas wie Salzgitter.

Das war also ein resignativer Standpunkt. Ein anderer Standpunkt war der:
Keinen kalten Krieg, nicht provozieren, außerdem gibt es ja noch ganz
andere Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel die Verletzung von sozialen
Rechten hier im bösen Westen, wo viele Menschen arbeitslos sind. – Dieses
komische, verschwiemelte Denken hat eben auch zur Stabilisierung der SED-
Diktatur beigetragen, und es muß diskutiert werden.

Ich hatte damals gesagt: „Ihr könnt euch doch nicht mit einer Kraft verbünden,
die historisch zum Untergang verurteilt ist, und Leute ignorieren, denen
die Zukunft gehört.“ Das war also sehr kühn, klingt jetzt vielleicht sogar
unglaubwürdig. Es haben auch viele gelacht, als ich das gesagt habe.

Ganz zum Schluß möchte ich aber, weil heute ein paar mal gesagt wurde,
daß auch die Gruppe um Havemann eher nur den Sozialismus verbessern
wollte, daran erinnern: Ich denke, daß aus dieser marxistischen Tradition
der Opposition in der DDR durchaus auch eine gewisse revolutionäre
Vernunft oder Intelligenz kam, denn man kann nachlesen: Jemand wie Robert
Havemann hat nie an die Überlebensfähigkeit des Sowjetsystems geglaubt. Er
hat wörtlich immer wieder geschrieben, am Schicksal der politbürokratischen
Diktaturen werde sich der Grundsatz der griechischen Tragödie bewahrheiten:
Die Menschen führen ihr Schicksal herbei, indem sie es abzuwenden trachten.
Er hat gesagt, es ist nicht die Frage, ob dieses System zusammenbricht,
sondern wie, ob es Krieg gibt, unter welchen Schlägen oder Erdbeben das
zusammenbricht.

Gut, er hat an den demokratischen Sozialismus geglaubt, ich tue es heute
nicht mehr. Ich halte auch zum Beispiel Aktiengesellschaften nicht unbedingt
für Teufelswerk. Ich bin eher Sozialdemokrat in dem Sinne, wie es einmal
der schwedische Finanzminister gesagt hat: „Was ist demokratischer Sozialis-
mus? – Kapitalismus mit menschlichem Antlitz.“ Aber auch dafür lohnt es
sich ja. (Lebhafter Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Gert Weisskirchen (SPD): Das zeigt, daß noch eine
ganze Menge, insbesondere im Westen Deutschlands, aufzuarbeiten ist.

Roland Jahn und Jürgen Fuchs, was denkt ihr dabei, wenn ihr jetzt von Berlin
auf eure ehemalige Heimatstadt, die es immer noch ist, blickt? Vielleicht habt
ihr auch sonst noch am Schluß etwas zu sagen.

Roland Jahn: Ich glaube, man hat sich diese Stadt über Jahre hinweg sehr
verklärt. Als ich das erste Mal wieder zurückkam, hatte ich immer noch
die Bilder von damals, als ich gefesselt im Polizeiauto Richtung Westgrenze
abtransportiert worden bin, im Kopf – schönes Wetter, das Saaletal –, und als
ich zurückkam, als die Mauer fiel, habe ich eine kleine, graue, dreckige Stadt
gesehen. Man hat nicht mehr gewußt, in welcher kleinen, grauen, dreckigen