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Uwe Thaysen
Fortwirkende Maßnahmen der Regierung Modrow
Diese Themenstellung enthält einen prognostischen Akzent, der zunächst
grundsätzlich bedacht sein will. Prognosen – so hat der große dänische
Physiker Niels Bohr gesagt – sind immer riskant, besonders dann und
weil sie sich auf die Zukunft beziehen! Wieviel mehr gilt das für den
Sozialwissenschaftler. Und wieviel mehr gilt es für den Sozialwissenschaftler,
der von den Finalitäten respektive Gesetzmäßigkeiten von Geschichte nicht zu
überzeugen ist, der vielmehr davon überzeugt ist, daß der Zusammenbruch der
sowjet-sozialistischen Systeme gerade in diesem Irrglauben an eine Doktrin
der Gesetzmäßigkeiten des Geschichtsablaufes begründet ist. Sie sehen, ich
möchte mich selber bewahren vor der Überzeugung, daß es leicht wäre,
irgendetwas (absolut) Gesichertes über die zukünftige Wirkung auszusagen.
Dennoch will ich es versuchen.
Das Thema enthält aber nicht nur prognostische Versuchungen und Gefähr-
dungen. Es ist darin von „Maßnahmen“ die Rede, das soll heißen: von Anord-
nungen, Entscheidungen mit oder ohne Gesetzesform, von Vereinbarungen,
von Verträgen verschiedenster Art, von Verordnungen etc., die beschlossen
bzw. geschlossen worden sind. Als solche kommen in Betracht:
- Von der Regierung Modrow erlassene Rechtsakte, die über den 3. Oktober
1990 hinaus Gültigkeit behalten haben (z. B. Bestimmungen über die
Zulassung von Rechtsanwälten, die Führung akademischer Titel etc.), das
heißt, die durch den Einigungsvertrag explizit durch Aufführung in Anlage
II des Vertrages übernommen worden oder auch implizit dadurch, daß sie
nicht genannt wurden, bestätigt worden sind. - Rechtsakte oder Verordnungen der Regierung Modrow, die zwar durch
die Regierung de Maizière oder durch den Einigungsvertrag aufgehoben
wurden, deren Rückabwicklung aber nicht oder kaum möglich bzw. noch
im Gange ist (z. B. der noch im einzelnen von mir anzusprechende Freibrief
zur Reinigung von Kaderakten, die Vernichtung von MfS-Unterlagen,
Gesetze über Grundstücks- oder Firmenverkäufe, -vermögen). - Allgemeine politische Maßnahmen und Strategien der Regierung Modrow,
die den Verlauf des Umbruchs beeinflußt haben (z. B. das Vorziehen des
Wahltermins mit immensen Folgen für die gesamte politische Landschaft
in der DDR und damit auch über die DDR-Zeit hinaus, Einbindung
- der Oppositionsgruppen, insbesondere der SPD, in die „Regierung der
nationalen Verantwortung“).
Historiographisch gesehen ist es noch viel zu früh, endgültig Gesichertes sagen
zu können.
Dennoch wollte ich dieser Kommission keine Absage geben, aus Gründen,
die der Vorsitzende eben hier schon z.T. genannt hat. Ich wollte mir das nicht
leisten, eben weil es nach meiner Überzeugung darum geht, der Wahrheit
des Vergangenen auf jeder Stufe, also auch auf nur vorbereitender Stufe,
auf der Spur zu bleiben, weil dies die Wahrheitsfähigkeit für die Zukunft
sichert und die Voraussetzung dafür ist – das kann nicht nachhaltig genug
auch zur Verteidigung der Arbeit dieser Kommission gegenüber manchem,
der da anderes im Sinne hat, hervorgehoben werden. Dies ist eine immer
und immer wieder von wissenschaftlicher Seite zu wiederholende Maxime,
zumal nachdem der in Osteuropa und in Mittelosteuropa erfahrene Sozialismus
letztlich an seinem „Leben in der Lüge“ (Václav Havel) zugrunde gegangen
ist. Das ist der letzte Grund. Der Wissenschaftler kann nicht durchgehen
lassen, daß dies – dieses Nachfragen nach der Wahrheit – zu einer Frage
des „ethischen Rigorismus“ deklariert und insoweit auch degradiert wird. Es
ist vielmehr auch sehr pragmatisch eine Frage des besseren sozialen und
ökonomischen Lebens, das mit der Wahrheit zu gewinnen ist. Und deshalb
darf, wer sich dem Bemühen stellt, den rauchenden Colts hinter dem Qualm
auf die Spur zu kommen, sich nicht verblüffen lassen damit, daß ihm „ethischer
Rigorismus“ unterstellt wird. Es ist vielmehr darüber hinaus auch eine Frage
der Politik, eine Frage der Zukunftsgestaltung.
Ich wollte dieser Kommission auch deshalb keine Absage erteilen, weil nach
meiner Überzeugung die derzeitige Spurensicherung über das unmittelbar
Vergangene Voraussetzung für die Ergiebigkeit der weiteren Historiographie
ist. Das ist der Punkt, den Herr Eppelmann eben schon erwähnte. Außerdem,
weil nach meiner Überzeugung die unmittelbar bevorstehenden wie die lang-
fristigen politischen Probleme der Bundesrepublik Deutschland auf einigen
der Maßnahmen der Regierung Modrow (wie im übrigen selbstverständlich
auch der Regierung Kohl) fußen und weil schließlich die Politik gut daran tut,
sich dieser „Maßnahmen“ zu vergewissern, um darauf reagieren zu können.
Insoweit weiß ich mich heute primär als citoyen gefordert, der sich gezwungen
sieht, vorab mit Nachdruck auf die grundsätzlichen Grenzen und Schwierigkei-
ten des Wissenschaftlers im Umgang mit dem Thema aufmerksam zu machen.
Der Politiker muß auch dort noch entscheiden, wo der Wissenschaftler keine
Gewißheit mehr haben kann. Zu den Pflichten des Wissenschaftlers gehört
es gleichwohl und gerade deshalb, die seiner Analyse zugänglichen Fragen
zu stellen. Um Fragen, um Hypothesen geht es mir heute im folgenden in
allererster Linie.
Vorab sei des weiteren klargestellt: Ich werde hier nicht Modrow als Person zur