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Wahlperiode 12, Band VII/2, Seiten 2014 und 2015
2014
Peter Siebenmorgen (Vortrag)

im Marschgepäck mit uns herumtragen. Das wird beispielsweise an der
von der Bundesanwaltschaft als „Wundertüte“ bezeichneten Agentenkartei
deutlich, wo nach wie vor ein hohes Maß von Verunsicherung da ist,
eben auch deswegen, weil in dieser Zeit die ersten Aktenvernichtungen in
großem Umfang stattgefunden haben, insofern eine nur sehr eingeschränkt
aussagefähige Kartei heute vorliegt, die demnächst in ersten Strafprozessen
ihre erste entscheidende Relativierung finden und in einer ziemlichen Blamage
enden wird. Sie wirkt aber insofern fort, als nicht nur ein hohes Maß an
Verunsicherung – was kann noch alles kommen? – da ist, sondern auch ein
ganz beachtlicher Teil von Sicherheitsgefährdungen.

Nur als Stichwort der Vollständigkeit halber will ich erwähnen, was Herr
Thaysen sehr höflich, sehr taktvoll und damit dem Unternehmen des Deutschen
Bundestages durchaus angemessen mit der Rolle der Staatssicherheit am
Runden Tisch umschrieben hat. Das ist in der Tat eine Frage, die man nicht en
passant erwähnen kann, die aber, glaube ich, eine der zentralen überhaupt ist
und auf die zu gegebener Zeit noch etwas intensiver einzugehen sein wird.

Eines der interessantesten und problematischsten fortwirkenden Resultate der
Modrow-Regierung, die in engem Zusammenhang mit der – um es sehr wohl-
wollend zu formulieren – Halbherzigkeit im Versuch der Systemerneuerung
steht, ist der Umstand, daß die PDS heute in – wie wir ja im Laufe des Jahres
sehen werden – mehr oder weniger großem Umfang durchaus eine gewisse
Glaubwürdigkeit hat, um aufzutreten im Sinne dessen, was de Maizière im Ver-
einigungsprozeß als „in Würde beitreten“ formuliert hat. Gerade die Mischung
aus Halbherzigkeit und vergleichsweise kommoder Erscheinungsweise von
Herrn Modrow zeigt, wie aus Halbherzigkeit Glaubwürdigkeit wachsen kann –
auch politikwissenschaftlich ein hochinteressantes Phänomen. Jedenfalls ist es
erläuterungsbedürftig und erklärungsbedürftig, warum die PDS nicht nur in
Potsdam oder in Brandenburg, in wichtigen Regionen plötzlich als der Anwalt
der Würde der Menschen aus „Neufünfland“ gilt. Das ist eine Erscheinung,
die sehr eng mit den zuvor beschriebenen Dingen zusammenhängt.

 

Hartmut Jäckel

Fortwirkende Maßnahmen der Regierung de Maizière

 

Eine ganz kurze persönliche Bemerkung vorab: Ich bin dankbar für die
Einladung, hier referieren zu können. Als jemand, der die Staatssicherheit
durch sein Verhalten veranlaßt hat, über die Jahre hinweg über 1.000 Seiten
Akten über ihn zusammenzutragen, fühle ich mich hier in dieser Kommission
als Gast durchaus gut aufgehoben, und nur der Kuriosität halber möchte ich aus
einer Akte, die mir vor drei Tagen erst zugeschickt worden ist, etwas zitieren,
weil sie das Vorurteil widerlegt, die Staatssicherheit sei humorlos gewesen. In
diesem Papier aus dem Jahre 1977 lautet die Überschrift: „Personen, zu denen
Fahndungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Robert Havemann eingeleitet
worden sind“, und an erster Stelle heißt es hier: „Prof. Jäckel, Hartmut, WB
(was West-Berlin heißt), mit dem Decknamen Brunnen (den ich auch erst seit
drei Tagen kenne), erfaßt für die Hauptabteilung XX/5“, und derjenige, der mit
den Fahndungsmaßnahmen zu meiner Person beauftragt worden ist, ist hier als
„Genosse Jäckel“ mitgeteilt, genauso geschrieben, wie das auch bei meinem
Namen der Fall ist. Man hätte auch ein paar andere Fahnder nehmen können,
aber offenbar hat man hier die Namensgleichheit zum Anlaß genommen, diese
Verbindung herzustellen. Der letzte dieser sechs Personen, gegen die hier
Fahndungsmaßnahmen beschlossen worden sind, ist übrigens Lucio Lombardo
Radice, das Mitglied des Politbüros der Italienischen Kommunistischen Partei,
der sich ja frühzeitig dadurch ausgezeichnet hat, daß er in Italien den
Eurokommunismus befördert und in Deutschland den Genossen Havemann
besucht hat, ohne einen Besuch bei der Bruderpartei SED zu machen. In
diesem Zusammenhang – mir war schon vorher aus den Akten bekannt,
daß die Fahndung gegen Herrn Lombardo Radice und meine Person sich
soweit erstreckte, daß ein Bericht über meinen Besuch an der Universität Rom
über das Zusammentreffen zwischen mir und Lombardo Radice vorgelegen
hat. Ich habe ihn damals eingeladen, dem Wunsch Robert Havemanns zu
entsprechen, ihn in Berlin zu besuchen, und dieser Besuch hat dann auch
stattgefunden.

Nun aber zum Thema: Ich bin Herrn Thaysen dankbar, daß er den Untersu-
chungsgegenstand unserer Beiträge im Blick auf die zu erforschenden Quellen
und Maßnahmearten so treffsicher beschrieben hat. Ich mache mir diesen
Teil seiner Bemerkungen ausdrücklich zu eigen. So habe ich den Auftrag der
Kommission ebenfalls verstanden, und so habe ich mein Referat angelegt.

Als Walter Ulbricht im September 1957 dem „Spiegel“ ein Interview gab,